China beschließt Hongkong-Gesetz: Europa-Grüne fordern Anklage Pekings
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Polizeibeamte stehen in Hongkong in Bereitschaft und halten ein Schild mit einem Warnhinweis bei einem Protest gegen das umstrittene nationale Sicherheitsgesetz hoch (Archivfoto).
© Quelle: Vincent Yu/AP/dpa
Peking/Hongkong/Washington. Ungeachtet weltweiter Kritik hat China das kontroverse Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong erlassen. Der Ständige Ausschuss des Volkskongresses habe das Gesetz am Dienstag einstimmig angenommen, berichteten übereinstimmend mehrere Hongkonger Medien. Tam Yiu-Chung, der Vertreter Hongkongs beim Ständigen Ausschuss des Volkskongresses, bestätigte der Nachrichtenagentur AP, dass es verabschiedet wurde.
Das Gesetz richtet sich gegen Aktivitäten, die von Peking als subversiv, separatistisch oder terroristisch angesehen werden. Auch soll es “heimliche Absprachen” mit Kräften im Ausland bestrafen. Die demokratische Opposition fürchtet, zum Ziel des Gesetzes zu werden.
China verabschiedet Sicherheitsgesetz für Hongkong
Nach Medienberichten hat das Parlament in Peking einen entsprechenden Beschluss gefasst.
© Quelle: Reuters
Die große Geheimhaltung um das in nur wenigen Wochen durchgesetzte neue Sicherheitsgesetz dauerte auch am Dienstag an. So lag eine offizielle Bestätigung der Verabschiedung vorerst nicht vor. Selbst Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, die kurz nach den Medienberichten vor die Presse trat, wollte sich nicht zu dem Gesetz äußern. Es soll nach unbestätigten Berichten als Höchststrafe lebenslange Haft vorsehen. Der genaue Text ist bislang nicht bekannt.
Europa-Grüne: China vor Internationalen Gerichtshof anklagen
Der Vorsitzende der China-Delegation im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, kritisierte China scharf für die Verabschiedung des Gesetzes. “Durch die einseitige Verhängung des Gesetzes zerstört die Führung der VR China die Autonomie Hongkongs”, sagte Bütikofer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Das Versprechen “Ein Land, zwei Systeme” sei gebrochen worden und die Freiheiten, die den Bürgern Hongkongs bislang garantiert wurden, würden grundlegend beschnitten.
Hongkongs Polizei geht massiv gegen Demonstranten vor
Seit einem Tag gilt das neue Sicherheitsgesetz in der chinesischen Sonderverwaltungszone und die Bevölkerung demonstriert trotz Verbotes auf Hongkongs Straßen.
“Das geheimniskrämerische Verfahren, das noch nicht einmal den Peking-Loyalisten in Hongkong vor der Verabschiedung des Gesetzes vollständige Informationen zugestand, spottet Pekings Behauptung, die Rechtstraditionen Hongkongs zu respektieren”, sagte der Grünen-Politiker. “Das Hongkong, das wir kannten, ist jetzt tot.”
Bütikofer, der auch außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament ist, forderte eine scharfe Reaktion Europas: “Verteidiger von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie weltweit dürfen sich nicht darauf beschränken, nur das illegale Vorgehen Pekings zu beklagen”, sagte er dem RND.
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Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation des Europa-Parlaments und außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, war zuvor auch deutscher sowie europäischer Grünen-Chef.
© Quelle: Bernd Wüstneck/dpa
Die Europäische Union und insbesondere ihre Mitgliedstaaten sollten die Vorschläge aufgreifen, die das Europäische Parlament zu den Übertretungen Pekings gemacht hat, forderte Bütikofer: “Peking sollte vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden. Der UN-Generalsekretär sollte einen Sondergesandten für Hongkong ernennen. Handelsprivilegien, die auf dem Grundsatz ‚Ein Land, zwei Systeme’ beruhten, sollten zurückgezogen werden.”
Zudem sollten Personen, die Menschenrechtsverletzungen begehen, sanktioniert werden und Demokratie-Aktivisten aus Hongkong von demokratischen Ländern Asyl angeboten bekommen, so Bütikofer. “Jetzt ist es an der Zeit, für das einzutreten, woran wir glauben, und Peking zu verstehen zu geben, dass es sich nicht über internationale Verpflichtungen hinwegsetzen kann, ohne einen Preis zu zahlen.”
Seit einem Jahr kommt es in Hongkong wiederholt zu Demonstrationen
Die USA reagierten bereits auf die Verabschiedung des Gesetzes: Als Reaktion darauf stoppten sie den Export von Rüstungsgütern nach Hongkong. Zudem wird die Ausfuhr von Technologien, die dem Militär dienlich sein könnten, künftig den gleichen Beschränkungen unterliegen wie Exporte nach China. “Wir können nicht mehr unterscheiden zwischen dem Export kontrollierter Waren nach Hongkong oder auf das chinesische Festland”, sagte US-Außenminister Mike Pompeo. Die USA könnten nicht das Risiko eingehen, dass solche Güter Chinas Militär in die Hände fielen, dessen wichtigste Aufgabe es sei, “die Diktatur” der kommunistischen Partei aufrechtzuerhalten.
Dutzende Festnahmen bei Schweigemarsch in Hongkong
Beamte der Bereitschaftspolizei setzten Pfefferspray ein, als es zu einigen Rangeleien kam.
© Quelle: Reuters
Die US-Regierung hatte bereits Ende Mai angekündigt, der chinesischen Sonderverwaltungsregion wegen der zunehmenden Einmischung Pekings einen vorteilhaften Rechtsstatus streichen zu wollen. Neben den Exportkontrollen soll dies auch Zölle und die Vergabe von Visa betreffen, wie es damals hieß. Die USA sehen in dem Sicherheitsgesetz eine klare Verletzung von Hongkongs Autonomie und Freiheitsrechten.
Seit einem Jahr kommt es in Hongkong wiederholt zu Demonstrationen, bei denen gegen den Einfluss Pekings oder gegen Polizeibrutalität protestiert wird. Die Demonstranten fordern auch freie Wahlen, wie es ihnen bei der Rückgabe 1997 an China in Aussicht gestellt worden war. Aus Sicht Deutschlands und der anderen sechs Mitglieder der Gruppe der großen Industrienationen (G7) steht das neue Sicherheitsgesetz nicht im Einklang mit Hongkongs Grundgesetz und der Verpflichtung Pekings aus der chinesisch-britischen Vereinbarung.
Aktivist Joshua Wong erklärt Rücktritt aus seiner Partei
Joshua Wong und andere Führer der Demokratiebewegung haben derweil den Rücktritt aus ihrer Partei verkündet. Mit dem Sicherheitsgesetz vor der Tür sei es “kein Unsinn” für Anhänger der Demokratiebewegung, sich um Leben und Sicherheit zu sorgen, schrieb Wong am Dienstag auf Facebook und teilte seinen Rücktritt als Generalsekretär der 2016 gegründeten Partei Demosisto mit.
Der weltweit bekannte Aktivist schrieb weiter, er glaube nicht, dass sich an der Beharrlichkeit der Hongkonger durch das neue Gesetz oder andere “drakonische Gesetze” etwas ändern werde. Er wolle weiterhin in Hongkong bleiben, “bis sie mich zum Schweigen bringen und auslöschen.” Auch die führenden Protest-Gesichter Nathan Law und Agnes Chow kündigten ihren Rücktritt an.
Aktivisten und Menschenrechtspolitiker fordern Sanktionen
Als Reaktion auf das Gesetz fordern Aktivisten und Menschenrechtspolitiker internationale Sanktionen. So sollte der wegen der Corona-Krise verschobene, aber weiter geplante EU-China-Gipfel unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft abgesagt werden, forderte die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Gyde Jensen (FDP). Es müsse auf deutscher oder besser noch auf europäischer Ebene Strafmaßnahmen gegen China geben.
Der EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, Manfred Weber, erhofft sich von der am 1. Juli beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch ein selbstbewussteres Auftreten gegenüber China. "Unsere Werte sind massiv unter Druck geraten", sagte Weber der "Rheinischen Post". "Ich möchte nicht, dass China der Gewinner aus der Krise ist und sein autoritäres Staatssystem fälschlicherweise als das bessere propagiert." Die EU müsse ihre Werte besser verteidigen. "Hongkong ist heute das neue Berlin. John F. Kennedy hat gesagt: Ich bin ein Berliner. Ich sage heute: Ich stehe an der Seite der Bürger in Hongkong."
RND/dpa/AP