Halle-Prozess: Angeklagter nutzt Gericht als Bühne - Richterin ermahnt ihn

Neun Monate nach dem antisemitischen Anschlag von Halle hat der Prozess gegen Stephan B. begonnen.

Magdeburg. Um kurz vor 12 Uhr ist es so weit. Spezialkräfte des SEK kommen mit Sturmhauben in den Sitzungssaal in Magdeburg. Minutenlang ist es ganz still – bis Stephan Balliet von weiteren Vermummten hereingebracht wird: Ein kleiner, blasser junger Mann mit Glatze, ganz in Schwarz. Hand- und Fußfesseln sollen Fluchtversuche verhindern. Ernst blickt sich der Angeklagte im Saal um, ruhig schaut er in die Kameras.

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Bundesanwalt sieht "Neue Dimension von Menschenverachtung" bei Stephan Balliet
21.07.2020, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Stefan Schmidt (l), Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof, und Bundesanwalt Kai Lohse warten im Landgericht auf den Prozessbeginn. Hier startet der Prozess gegen den Attent���ter von Halle. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mann 13 Straftaten vor, unter anderem Mord und versuchten Mord. Der Attent���ter hatte am 09. Oktober 2019 am h���chsten j���dischen Feiertag Jom Kippur versucht, in der Synagoge in Halle ein Blutbad anzurichten. Foto: Ronny Hartmann/AFP/POOL/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Bundesanwalt gibt eine kurze Erklärung zum Prozessauftakt ab.

Nun kann der Prozess gegen den Halle-Attentäter beginnen – nach gut zweistündiger Verzögerung. Die Sicherheitsvorkehrungen mit Kontrollen von Besuchern und Medienvertretern hatten mehr Zeit beansprucht als zuvor angenommen, wie ein Gerichtssprecher sagte. Bereits am frühen Morgen hatten sich lange Warteschlangen vor dem Magdeburger Landgericht gebildet. Der Andrang auf den Prozess ist riesig.

Stephan Balliet werden zwei Morde und mehrere Mordversuche unter anderem an 52 Gläubigen in einer Synagoge in Halle vorgeworfen.

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Er soll am 9. Oktober 2019 in Halle eine 40 Jahre alte Passantin und in einem Dönerimbiss einen 20 Jahre alten Mann erschossen haben. Aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus soll er einen Mordanschlag auf Juden in der Synagoge in Halle geplant haben. Er versuchte, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in das abgeschlossene Gebäude zu gelangen, in dem sich zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur 52 Gläubige aufhielten. Er scheiterte aber an der Tür.

Stephan Balliet droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Zudem kommt eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht.

Balliet will sich nicht zu Privatleben äußern und tut es dann doch

Die Befragung des Angeklagten dauert schon mehr als eine Stunde, geduldig hakt Richterin Mertens immer wieder nach, will alles möglichst genau erörtern - wie er aufgewachsen ist, wie er sich radikalisiert hat, wann und warum er seinen Plan fasste, die Synagoge anzugreifen. Stephan Balliet zeigt sich ambivalent: Abweisend, wenn es um persönliche, familiäre Umstände geht. Ausführlich, wenn es um seine Tat und die Vorbereitungen geht.

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Wie sein Leben abgelaufen sei, sei unwichtig, erklärt Balliet. “Was unwichtig ist, das entscheiden wir”, sagt die Vorsitzende Richterin. “Es geht Ihnen doch darum, wie man Taten verhindern kann.” Daran, erwidert der Angeklagte, habe er aber kein Interesse. Er wolle zu seiner Familie und seinem Privatleben nichts sagen. Bei Fragen, ob ihn etwa die Scheidung seiner Eltern getroffen habe oder wie das Verhältnis zur Schwester sei, betont er nachdrücklich: “Das hat nichts mit der Tat zu tun!”

Dann äußert er sich allerdings doch zum Verhältnis zu seiner Familie und seinem Privatleben. Auf Nachfragen der Richterin sagt er widerwillig, seine Eltern hätten sich getrennt, als er 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Das Verhältnis zu beiden Eltern und Schwestern sei gut.

Keine Freunde oder Hobbys

Sein Lieblingsfach in der Schule sei Biologie gewesen, Englisch seine Schwäche, sagte Balliet weiter. Er habe nie Freunde gehabt, keine Hobbys, war nie in Vereinen. Seine Freizeit habe er im Internet verbracht. “Warum?”, fragt die Richterin. “Weil das in Deutschland die einzige Möglichkeit ist, sich frei zu unterhalten.”

Nach dem Abitur habe er einen verkürzten Wehrdienst absolviert, sei sechs Monate Panzergrenadier in Niedersachsen gewesen. Er habe den Wehrdienst anstrengend und doof gefunden, es sei “keine richtige Armee” gewesen. Zum Studium sei er nach Magdeburg gegangen. Er habe es aber wegen einer Krankheit abgebrochen.

Richterin weist Balliet zurecht

Geradezu stolz wirkt, als er erklärt, welche Waffen er wie selbst gebaut hat. Über drei Jahre lang habe es gedauert, sich selbst, wie er sagt “ausreichend” zu bewaffnen, um sich “selbst verteidigen” zu können, gegen die “Millionen Muslime”, die seit 2015 das Land “besiedeln”. Als Balliet eine rassistische Beleidigung verwendet, wird Richterin Mertens deutlich und fordert ihn auf, das zu unterlassen. “Ich kann Sie andernfalls auch von der Verhandlung ausschließen. Ich dulde das nicht. Diese menschenverachtenden Äußerungen möchte ich hier nicht hören.”

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”Es hat sich doch nichts geändert”, sagt die Richterin: “Sie sitzen in Ihrem Kinderzimmer, Ihre Mutter kocht und sie gucken in Ihren Computer. Wo ist Ihr Problem?” Balliet aber ist völlig überzeugt davon, aus der Gesellschaft herausgedrängt worden zu sein von den Flüchtlingen. “Sie sind noch hier, und es werden immer mehr.”

Balliet rechtfertigt Mord an Passantin als “Kurzschlussreaktion”

Auch zu seiner Tat selbst äußert sich Balliet bereitwillig. Den Schuss auf die 40-jährige Passantin bezeichnet er als “Kurzschlussreaktion” – “hätte ich es nicht gemacht, hätte man mich ausgelacht”, glaubt er. “Alles was reicht, einen Rechten zu stoppen, wäre dann ein dummer Kommentar gewesen.” Und er schiebt nach: “Wenn sie nichts gesagt hätte, wäre sie noch am leben. Wenn man etwas anfängt, muss man es zu Ende bringen.” Es scheint, als wollte er auf keinen Fall aufgehalten werden. Im Nachhinein aber tue es ihm leid, dass er sie erschossen habe. “Das war nicht geplant und nicht gewollt. Ich bereue das.”

Vor dem Prozess hat der forensische Psychiater Norbert Leygraf Balliet eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit autistischen Zügen bescheinigt. Demnach habe der 28-Jährige nicht im Wahn gehandelt. Das Unrecht seiner Taten sei Balliet bewusst gewesen. So steht es in der vorläufigen Einschätzung des Psychiaters.

Über die Todesschüsse auf seine beiden Opfer in Halle habe Balliet ohne emotionale Regung gesprochen. Leygraf schrieb weiter, der Rechtsextremist schien enttäuscht gewesen zu sein, bei seinem eigentlichen Ziel, dem Anschlag auf die Synagoge, gescheitert zu sein.

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RND/cle/dpa/epd/cz

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