Weniger Frauen und aggressive Sprüche - Sexismus im Bundestag

Nicht einmal ein Drittel der Bundestagsabgeordneten sind derzeit Frauen.

Nicht einmal ein Drittel der Bundestagsabgeordneten sind derzeit Frauen.

Berlin. Wer wissen will, wie es früher mal gewesen ist im Hohen Haus, dem hilft ein Blick auf das Jahr 1983. Damals trat die Grünen-Abgeordnete Waltraud Schoppe ans Rednerpult und hielt eine bemerkenswerte Rede. Anlässlich der Debatte über den Abtreibungsparagraphen 218 sagte die 41-jährige Frau aus Bremen: “Eine wirkliche Wende wäre es, wenn hier oben zum Beispiel ein Kanzler stehen und die Menschen darauf hinweisen würde, dass es Formen des Liebesspieles gibt, die lustvoll sind und die die Möglichkeit einer Schwangerschaft gänzlich ausschließen.”

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Gemeint war Helmut Kohl, der in jener Zeit eine “geistig-moralische Wende” propagierte. Schoppe sagte auch: “Wir fordern Sie alle auf, den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen.”

Den Sexismus erfuhr die Öko-Fraktion derweil am eigenen Leib. Denn sie hatte mit Klaus Hecker einen Abgeordneten, der mehreren Kolleginnen ungefragt an die Brüste fasste. Zunächst erklärte Hecker, neun von zehn Frauen hätten so etwas doch gerne. Später entschuldigte er sein Verhalten als “Ausdruck von Verlassen-Sein und den Versuch, sich Menschen näher zu bringen”. Doch es nutzte nichts: Der bärtige Ingenieur musste gehen – während es im Bundestag hieß: “Das sind Sachen, die andauernd passieren.”

1983: Grüner Busen-Grabscher

Zuletzt ist der Sexismus in der deutschen Politik wieder ins Gerede gekommen. Anlass waren anzügliche Bemerkungen des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner bei der Verabschiedung der Generalsekretärin Linda Teuteberg (“ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen”), Äußerungen des CDU-Vorsitzenden-Kandidaten Friedrich Merz über Homosexuelle (“Solange es nicht Kinder betrifft”) und die öffentliche Herabwürdigung der SPD-Politikerin Sawsan Chebli (“nur den G-Punkt als Pluspunkt”) im Printerzeugnis “Tichys Einblick”. Das Jahr 1983 eignet sich nicht zuletzt deshalb als Maßstab, weil es zeigt, was sich geändert hat – und was nicht.

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Waltraud Schoppe sagte seinerzeit: “Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, die Lebensverhältnisse normiert, auf Einheitsmoden, Einheitswohnungen, Einheitsmeinungen, auch auf eine Einheitsmoral, was dazu geführt hat, dass sich Menschen abends hinlegen und vor dem Einschlafen eine Einheitsübung vollführen, wobei der Mann meist eine fahrlässige Penetration durchführt.” Sie erlebte eine “durch und durch patriarchalisch strukturierte Gesellschaft”.

Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar

Bis 1977 galt in der alten Bundesrepublik – ganz anders als in der DDR – ein Gesetz, wonach Männer ihren Frauen verbieten konnten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wenn die Hausarbeit darunter litt. Nur etwa jede zweite Frau ging arbeiten. Beim Kieler CDU-Parteitag 1979 traten Tänzerinnen oben ohne auf. Erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Der Frauenanteil im Bundestag lag in den 1980er-Jahren bei knapp zehn Prozent.

All das ist heute nahezu unvorstellbar. Unvorstellbar ist auch, dass ein CDU-Bundestagsabgeordneter heute im Plenum sagen würde: “Wir haben weder etwas gegen alte Frauen. Wir haben auch nichts gegen junge Frauen; sie schauen sich zum Teil ganz passabel an.” Genau diese Sätze sprach kein Geringerer als Heiner Geißler – jener Geißler, der heute als fortschrittlicher Christdemokrat gilt.

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Abhängige Mitarbeiterinnen

Das wiederum bedeutet nicht, dass Sexismus in der deutschen Politik bereits Geschichte wäre. Er äußert sich mittlerweile nur anders. Einiges davon hat mit der Existenz der AfD zu tun.

Wenn man mit der FDP-Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann über das Thema spricht, dann verweist sie zuerst auf die Mitarbeiterinnen der 709 Abgeordneten. Sie sind Angestellte der Parlamentarier – und damit von ihnen abhängig. Belästigungen würden “oft gar nicht gemeldet – aus Angst der Betroffenen, den Job zu verlieren”, weiß die Liberale.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

In der FDP-Bundestagsfraktion gebe es für die Mitarbeiterinnen eine Ansprechpartnerin. Im Übrigen sei die Geschichte des Bundestages “eine Fundgrube an Sprüchen”, fährt sie fort – betont jedoch, dass man dabei auch “genau hinhören” müsse. Sie empfand die Worte von Lindner beim FDP-Parteitag an Teuteberg gerichtet als verunglückte Formulierung, aber nicht als sexistisch. “Christian Lindner ist kein Chauvi”, betont Strack-Zimmermann. “Und er denkt auch nicht so.”

So oder so gibt es gegenwärtig zwei Kernprobleme, die das Hohe Haus betreffen – und die die Lage verschärfen. Ein Problem ist der Anteil der weiblichen Abgeordneten. Er war Ende der 1990er-Jahre auf rund 30 Prozent gestiegen und in der vorigen Wahlperiode noch einmal auf den bisher höchsten Wert von 36,5 Prozent angewachsen.

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Bei der Bundestagswahl 2017 war er dann aber mit 30,7 Prozent wieder unten den Wert von 1998 gefallen. Dabei sagt nicht allein die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann: “Da, wo mehr Frauen sind, da ändern sich die Umgangsformen; das ist einfach so.”

Unterdessen ist der Frauenanteil in den Top-Etagen deutscher Dax-Unternehmen erstmals seit Jahren ebenfalls wieder gesunken. So saßen einer Untersuchung der Allbright Stiftung zufolge am 1. September 2020 in den 30 Dax-Konzernen 23 Managerinnen im Vorstand. Vor einem Jahr waren es noch 29. Das entspricht einem Anteil von 12,8 Prozent – gegenüber 28,6 Prozent in den Top-Wirtschaftsetagen der USA, 24,9 Prozent in Schweden, 24,5 Prozent in Großbritannien oder 22,2 Prozent in Frankreich.

“Was auch immer Aufsichtsräte dazu veranlasst, in der Krise nun sogar noch verstärkt auf Männer in den Vorständen zu setzen – es ist ein kurzsichtiger Reflex, der zeigt, wie wenig verankert die Vielfalt von Perspektiven an deutschen Unternehmensspitzen ist”, kritisierte Wiebke Ankersen, Co-Geschäftsführerin der Stiftung. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beklagte, der Trend sehe in anderen europäischen Ländern deutlich besser aus.

Wenn Frauen ans Pult treten

Der nachlassende Frauenanteil im Bundestag führt zum zweiten Kernproblem: der besagten AfD. Zwar sind weibliche Parlamentarierinnen auch bei CDU, CSU und FDP in der Minderheit, während sie bei Grünen und Linken in der Mehrheit sind und die SPD bei rund 40 Prozent Frauenanteil rangiert. Freilich ist nirgends der Anteil von Frauen so gering wie in der AfD-Bundestagsfraktion; hier beträgt er gerade mal elf Prozent. Das hat Folgen.

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Der Geräuschpegel werde aus den Reihen der AfD-Fraktion höher, wenn Frauen ans Pult träten, sagt Haßelmann. Strack-Zimmermann bekommt das noch genauer mit, weil die FDP-Fraktion direkt neben der AfD-Fraktion sitzt und der Abstand im Plenum bisweilen nur 30 Zentimeter beträgt. Sie berichtet von unflätigen Bemerkungen, vor allem wenn linke und grüne Frauen sprächen – aber mitunter auch gegen die eigenen AfD-Frauen – und bilanziert: “Die AfD ist gnadenlos primitiv.”

Auf Äußeres reduziert

Haßelmann und Strack-Zimmermann haben dies schon persönlich erfahren. Die Grüne hat es häufiger mit Stephan Brandner zu tun, dem abgesetzten Vorsitzenden des Rechtsausschusses. Nachdem sie öffentlich die fehlende Corona-Disziplin der AfD-Abgeordneten moniert hatte, fragte er bei Twitter: “Wann hört das Gekreische, dieses Gepetze und Gehetze dieser unappetitlichen Person mit Blockwartmentalität endlich mal auf?” Haßelmann sagt: “Da wird gezielt mit sexistischen Zuschreibungen gearbeitet.” Frauen würden absichtsvoll “auf Äußerlichkeiten reduziert”.

Britta Hasselmann im Plenum bei der Haushaltsdebatte.

Britta Hasselmann im Plenum bei der Haushaltsdebatte.

Strack-Zimmermann informierte einmal das Tagungspräsidium - aufgrund verbaler Ausfälle der AfD-Fraktion gegen die Grünen-Rednerin Claudia Müller. Der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun sagte überdies in Anspielung auf Strack-Zimmermanns Lederjacke: “Da fehlt nur noch die Peitsche.” Sie erwiderte prompt: “Haben Sie Notstand zu Hause?” Danach war Ruhe im Karton.

Donald Trump als Warnung

Einerseits demonstriert die AfD zugespitzt, was lange nur unter der Oberfläche schlummerte. Andererseits ist ihr Erstarken nach Einschätzung von Experten auch eine Reaktion auf das Erstarken von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und damit ein Zeichen von Schwäche.

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Zwar ist also vieles nicht mehr so wie vor 37 Jahren, als Waltraud Schoppe im Bundestag sprach. Statt in Hausfrauen-Ehen unterzugehen, sind Frauen heute zu 75 Prozent erwerbstätig. Sie lassen sich nicht mehr so ohne Weiteres aus Arbeit, Politik und Kultur drängen, wie sie 1983 argwöhnte – zu “Kinder, Küche, Kabelfernsehen”. Auch ist Sexualität im Jahr 2020 in der Regel nicht mehr ein “Akt von Herrschaft”.

Allerdings dürften manche die Rede der Grünen-Politikerin als Warnung begreifen: Dass das, was war, wieder kommen kann. Marie-Agnes Strack-Zimmermann verweist auf Donald Trump, dessen Sexismus keine Grenzen kenne. Und Britta Haßelmann findet: “Frauen und Männer müssen gegen Antifeminismus und Sexismus zusammen stehen.” Sie müssten sagen: Nein.

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