SED-Opferbeauftragte Zupke: „Oft wollen Betroffene ein E-Bike“
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Die neue SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke bei ihrer Wahl im Bundestag.
© Quelle: imago images/Political-Moments
Berlin. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Evelyn Zupke wurde am 10. Juni vom Bundestag zur ersten SED-Opferbeauftragten des Parlaments gewählt; vorher waren sich die Koalitionsfraktionen monatelang nicht einig geworden, wer das Amt übernehmen solle. Mittlerweile hat die 59-Jährige ihre Arbeit aufgenommen. Ihr werden neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Seite stehen.
Frau Zupke, Sie sind relativ überraschend ins Amt gekommen. Wie fühlen Sie sich jetzt damit?
Ich wurde von den Koalitionsparteien gefragt. Dann habe ich mir das reiflich überlegt – und ja gesagt. Am Ende habe ich mich gefreut, dass ich deutlich mehr Stimmen bekommen habe, als die Koalitionsfraktionen Mitglieder haben.
Erfahrungen aus der Sozialarbeit helfen
Und Sie sehen sich ausreichend befähigt, das Amt auszuüben?
Ja, denn gewisse Kompetenzen, die man dazu braucht, die kann man sich ranholen. Keiner kann alles, was dieses Amt erfordert. Außerdem bringe ich einiges mit aus der Sozialarbeit, etwa meine Spezialisierung auf Traumata. Das hilft mir. Ein Trauma ist ja nichts DDR-Opfer-Spezifisches, sondern läuft als Schema ab.
Ich empfinde mich als „Täterin“. Denn wir haben in der DDR-Opposition etwas getan.
Evelyn Zupke,
Ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und erste SED-Opferbeauftragte des Bundestages
Sie waren selbst in der DDR-Opposition aktiv. Empfinden Sie sich als Opfer?
Nein, ich empfinde mich nicht als Opfer wie andere, die Schlimmes erfahren haben – wie eine Zersetzungsgeschichte, Haft oder Jugendwerkhof. Im Gegenteil, ich empfinde mich als „Täterin“. Denn wir haben in der DDR-Opposition etwas getan. Opfer impliziert im Übrigen immer etwas Ohnmächtiges.
Wissen Sie überhaupt, wie viele tatsächliche DDR-Opfer es gibt?
Nein, eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht sagen. Was man weiß, ist, dass 250.000 bis 300.000 DDR-Bürger in Haft gesessen haben, von denen viele aus den ersten Jahren nicht mehr leben. Dann gibt es Hunderttausende Heimkinder, Zwangsausgesiedelte, Dopingopfer, Zwangsadoptierte. In jedem Fall nimmt die Zahl der lebenden Opfer ab – und das ist tragisch. Eine Hilfe, die zu spät kommt, ist nämlich keine Hilfe mehr. Hinzu kommt, dass die Begutachtung von Haftschäden oft unendlich dramatisch ist. Sie betrifft Leute, die ja sowieso schon krank sind und dadurch nicht gesünder werden. Die Betroffenen liegen mir sehr am Herzen.
Was schlagen Sie vor?
Mein Ziel ist, dass man diese Begutachtungen möglichst bald vereinfacht, entbürokratisiert und verkürzt. Am Ende sollten wir zu einer Vermutungsregel kommen. Wenn es eine Repressionserfahrung und eine physische oder psychische Erkrankung des Betroffenen gibt, dann lässt sich wohl vermuten, dass das eine mit dem anderen zu tun hat. Das muss ausreichen. Und es braucht Gutachter, die entsprechend qualifiziert sind. In jedem Fall ist Eile geboten.
Was wollen Sie noch?
Wir sollten darüber nachdenken, ob die SED-Opferrente bei 330 Euro bleiben kann; immerhin steigt die Inflation. Die Rente sollte dynamisiert werden. Das sind auch Themen für die Koalitionsverhandlungen. Und schließlich gibt es Dinge, die aus dem aktuellen Bundestag übriggeblieben sind, etwa der Härtefallfonds. Den hat der Bundestag im Grundsatz begrüßt und eine Prüfung beschlossen. Die Beweislastumkehr bei Gesundheitsschäden zu prüfen, wurde ebenso vor zwei Jahren vom Bundestag beschlossen. Anscheinend ist dann aufseiten der Bundesregierung nichts passiert.
Was würde der Härtefallfonds genau beinhalten?
Es gibt in drei ostdeutschen Ländern bereits Härtefallfonds: in Brandenburg, Berlin und Sachsen. Thüringen kommt jetzt dazu. An diese Fonds können Menschen herantreten, die rehabilitiert sind. Entsprechende Anträge werden dann geprüft. Dabei muss eine Bedürftigkeit vorliegen. Es gibt zum Beispiel viele Leute, die aufgrund der Repressionserfahrung soziale Ängste haben und mehr am Leben teilnehmen möchten. Sie können nicht U-Bahn, S-Bahn oder Bus fahren. Fahrrad fahren können sie ebenfalls nicht mehr. Die wollen dann ein E-Bike. Das kommt oft vor und ist die höchste Ausgabe. Sie wird mit 4.000 Euro veranschlagt.
Bisherige Härtefallfonds an Wohnort gebunden
Fest steht, dass viele DDR-Opfer materiell schlechter gestellt sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das hat eine Studie in Brandenburg gezeigt. Die Idee eines gesamtdeutschen Härtefallfonds bedeutet, dass jeder von überall Zugang haben soll. Denn wenn ich in Berlin lebe, dann kann ich hier einen Antrag stellen. Aber wenn ich in Torgau im Jugendwerkhof gewesen bin und jetzt in München lebe, dann gucke ich in die Röhre.
Über wie viel Geld müsste so ein Fonds verfügen?
In Berlin haben wir 100.000 Euro im Jahr. Bundesweit müssten es schon ein paar Millionen Euro sein.
Wie viele SED-Opfer leben eigentlich in Westdeutschland?
Wenn man bedenkt, wie viele DDR-Bürger vor und nach dem Mauerbau geflohen sind, dann reden wir über Millionen von Menschen und deren Nachkommen. Diese Gruppe darf man nicht vernachlässigen. Denn Traumata werden ja über Generationen weitergegeben. Der Bedarf ist auch in Westdeutschland da und wird artikuliert. Manche SED-Opfer dort sind organisiert, in Niedersachsen etwa oder in Schleswig-Holstein.
Ich sehe keinen Schlussstrich.
Evelyn Zupke,
Ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und erste SED-Opferbeauftragte des Bundestages
Gibt es sonst noch offene Baustellen?
Es gibt viele. Eine Baustelle sind die Rehabilitierungsverfahren von Menschen, die im Jugendwerkhof waren. Viele davon laufen schlecht. Da benutzen Staatsanwälte die Begründungen von Jugendämtern aus der DDR, um heute Rehabilitierungsanträge abzulehnen. Selbst wenn Menschen in der DDR mit 16 gesagt haben, „ich will in den Westen“, was als politische Äußerung zu verstehen war, werden Anträge abgelehnt. Oft werden Antragsteller auch animiert, Anträge zurückzuziehen. Manche Betroffene resignieren dann. Dem will ich etwas entgegensetzen.
Wie lange wird uns die DDR-Aufarbeitung noch beschäftigen?
So lange es Betroffene, Nachfahren und Täter gibt, also noch Jahrzehnte.
Einen Schlussstrich sehen Sie nicht?
Ich sehe keinen Schlussstrich, nein.