Österreichs Kanzler in der Krise: Was wird aus dem „Wunderwuzzi“?
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Österreichs Kanzler Sebastian Kurz bekommt wegen der Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Gegenwind von vielen Seiten. Demonstrierende in Wien zeigten Kurz in Handschellen.
© Quelle: imago images/SEPA.Media
Brüssel. Die Regierungskrise in Österreich spitzt sich zu. Nach schweren Korruptionsvorwürfen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz von der konservativen Partei ÖVP könnte es am Dienstag bei einer Sondersitzung des Parlaments in Wien auf einen Bruch der Koalition mit den Grünen hinauslaufen.
Es gab zunächst keine Anzeichen, dass die ÖVP auf die Grünen-Forderungen eingeht und Kurz durch eine „untadelige Person“ ersetzt, um das schwarz-grüne Regierungsbündnis zu retten. Kurz selbst lehnt bislang einen Rücktritt ab und weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vehement zurück.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kurz und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue. Das Team soll den Aufstieg von Kurz an die Spitze von Partei und Regierung seit 2016 durch geschönte Umfragen und gekaufte Medienberichte abgesichert haben. Dafür seien Steuermittel geflossen. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe, die am Mittwoch nach einer Razzia im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Parteizentrale bekannt geworden waren.
Sebastian Kurz: steiler Aufstieg in österreichischer Politik
Der Aufstieg und der jetzt möglicherweise bevorstehende Fall von Sebastian Kurz sind ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte Österreichs. Als 24 Jahre alter Jurastudent und Vorsitzender der ÖVP-Jugendorganisation machte sich Kurz im Jahr 2010 landesweit bekannt.
Vor den Landtagswahlen in Wien heischte er damals mit der außergewöhnlichen Parole um Aufmerksamkeit: „Der Wahlkampf wird geil werden, weil jeder weiß in der Jungen ÖVP: Schwarz macht geile Politik, Schwarz macht geile Partys und Schwarz macht Wien geil und daher starten wir die Jugendkampagne ‚Schwarz macht geil‘.“
Österreichs Kanzler Kurz tritt nicht zurück: „Handlungsfähig und handlungswillig“
In einem Statement am Freitagabend in Wien betont Sebastian Kurz, dass die Regierung weiter handlungsfähig ist.
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Die damalige ÖVP-Führung sah in dem selbstbewussten jungen Mann mit Gel im Haar ein politisches Naturtalent und beförderte ihn alsbald. Schon 2011 wurde Sebastian Kurz Staatssekretär für Integration in der schwarz-roten Bundesregierung, die der Sozialdemokrat Werner Faymann anführte.
Kurz wurde „Wunderwuzzi“ genannt. So nennt man in Österreich eine Person mit außergewöhnlichen Fähigkeiten – im Falle Kurz’ war es offenbar die Fähigkeit, sich in Szene zu setzen, die Bewunderungsstürme hervorrief.
Der nächste Karrieresprung ließ nicht lange auf sich warten. 2013 wurde Kurz im Alter von nur 27 Jahren zum Außenminister ernannt. Zunächst hielt er Distanz zur Innenpolitik. Doch spätestens 2015, als viele Flüchtlinge über die Balkanroute nach Österreich kamen, erkannte Kurz, dass er sich mit Außenpolitik sehr wohl profilieren könnte.
Er verbot dem türkischen Präsidenten Erdogan Wahlkampfauftritte auf österreichischem Boden, verurteilte die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel und lobte die harte Migrationspolitik von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.
Sebastian Kurz: Ibiza-Affäre war erster Karriereknick
Als sich in den Jahren 2016 und 2017 die schwarz-rote Koalition in Wien in Dauerfehden zerrieb, nutzte „Wunderwuzzi“ die Gunst der Stunde. Er übernahm handstreichartig den ÖVP-Vorsitz und wurde schließlich 2017 Bundeskanzler – im Alter von nur 31 Jahren. Dass er dafür ein Bündnis mit den Rechtspopulisten von der FPÖ eingehen musste, störte Kurz überhaupt nicht.
Die Ibiza-Affäre der FPÖ im Frühjahr 2019 sollte den ersten Karriereknick für Kurz bedeuten. Damals wurde ein heimlich aufgenommenes Video veröffentlicht, das ein Treffen zweier hochrangiger FPÖ-Politiker mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen zeigte. Die FPÖ-Männer besprachen mit der Frau mögliche Spenden an die FPÖ und mögliche Gegenleistungen.
Kurz kündigte das Bündnis mit den Rechtspopulisten umgehend auf. Bei der Neuwahl im September 2019 wurde die ÖVP wieder stärkste Kraft, Kurz musste sich aber neue Regierungspartner suchen – und fand diese mit den Grünen.
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Die Einigung steht, doch was steckt inhaltlich im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen? Die Parteichefs wollen am Nachmittag Details präsentieren.
© Quelle: dpa
Die ungewöhnliche Koalition arbeitete bis zuletzt relativ störungsfrei. In Europa galt Kurz als ein Modernisierer im konservativen Lager. Noch wenige Tage vor der Bundestagswahl Ende September ließ sich etwa Manfred Weber (CSU) in höchsten Tönen über Kurz aus.
„Sebastian hat es geschafft, der ÖVP einen neuen Schliff zu geben und sie näher zu den Menschen zu bringen“, sagte der Vorsitzende der Konservativen im Europaparlament der österreichischen Zeitung „Die Presse“. Kurz habe „viele Ideen, wie wir die EU voranbringen können“.
Doch seit vergangenem Mittwoch sind keine Lobeshymnen mehr auf „Wunderwuzzi“ zu hören. Das war der Tag, an dem die Staatsanwaltschaft Razzien in Kurz’ Kanzleramt und im ÖVP-Hauptquartier machte.