Schwangerschaft: Wenn die Corona-Impfung zur persönlichen „Risiko-Nutzen-Abwägung“ wird
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/NRLK6J4NZVDYXDUYE7W5OV3DSQ.jpg)
Eine Frau erhält eine Impfung (Symbolbild).
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Janna B. möchte sich nicht impfen lassen. Jetzt noch nicht, sagt sie. „Frühestens am Anfang des dritten Trimesters.” Noch lieber wäre es ihr direkt nach der Entbindung: „Da würde es sich für mich sicher anfühlen.”
Ginge es nur um sie, wäre sie schon geimpft, sagt B. Aber die 36-Jährige ist im fünften Monat schwanger. „Ich weiß, dass es gut wäre für mich, aber ich will nicht, dass meinem Kind etwas passiert.”
Über 773.000 Kinder werden in Deutschland jährlich geboren, und so wie Janna B. geht es zurzeit vielen Schwangeren: Während in einigen EU-Ländern die Impfung von Schwangeren bereits empfohlen wird, besteht in Deutschland noch keine Einigkeit darüber, ob und wann sie geimpft werden sollten.
Schwangere Kathrin H. lässt sich impfen
Vor der Entscheidung stand auch Kathrin H., auch sie erwartet ein Kind. „Ich habe mich sehr früh dazu entschieden, mich impfen zu lassen”, sagt die 39-Jährige, die mit ihrer Familie in München lebt. „Als mir bewusst geworden ist, dass durch die Schwangerschaft mein Risiko für eine schwere Corona-Infektion steigt, war ich schockiert”, sagt sie. Mit Beginn der Schwangerschaft habe sie sich sehr genau informiert. Berichte über schwere Krankheitsverläufe bei Schwangeren, über Trennungen von Neugeborenen von ihren infizierten Eltern – all das hätte ihr Angst gemacht, erinnert sie sich.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZBUMAKXIEVG55G5MXAL23UX25Y.jpg)
Die Pandemie und wir
In unserem Newsletter ordnen wir die Nachrichten der Woche, erklären die Wissenschaft und geben Tipps für das Leben in der Krise – jeden Donnerstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Das Ausbleiben der Empfehlung durch die Ständige Impfkommission (Stiko) habe sie zunächst verunsichert, sagt Kathrin H. Die Kommission gibt bislang keine generelle Empfehlung für die Impfung von Schwangeren: wegen der dünnen Studien- und Datenlage. Wie bei Jugendlichen beschränkt sich die Empfehlung der Stiko zurzeit auf Impfungen für Schwangere, die durch Vorerkrankungen einen schweren Krankheitsverlauf oder eine schnellere Ansteckung fürchten müssen.
Kathrin H. trifft Risiko-Nutzen-Abwägung
Kathrin H.s Sorge vor einer Infektion war schlussendlich größer: „Ich habe eine persönliche Risiko-Nutzen-Abwägung getroffen.” Ausschlaggebend war auch ihre Tochter: „Sie geht in den Kindergarten, allein dadurch bestand immer die Gefahr, dass das Virus den Weg in unser Zuhause findet.”
Aiwanger verteidigt Entscheidung gegen Corona-Impfung
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat seine bisherige Entscheidung gegen eine Corona-Impfung erneut verteidigt.
© Quelle: dpa
Nach Absprache mit ihrer Gynäkologin wurde H. am letzten Tag ihres ersten Schwangerschaftstrimesters von ihrer Hausärztin geimpft. Diese habe kurz gezögert und noch einmal nachgefragt, ob sie das auch wirklich wolle. Wichtiger war für H. aber die Aufklärung ihrer Gynäkologin, erzählt sie. Hätte die ihr abgeraten, hätte die werdende Mutter womöglich auf die Impfung verzichtet.
Fachverbände kritisieren Stiko
Die Fachverbände kritisieren die Stiko für ihre Zurückhaltung. Sie empfehlen bereits seit Mai eine generelle und bevorzugte Impfung von Schwangeren: „In informierter partizipativer Entscheidungsfindung und nach Ausschluss allgemeiner Kontraindikationen wird empfohlen, schwangere und stillende Frauen priorisiert mit mRNA-basiertem Impfstoff gegen Covid-19 zu impfen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), Anton Scharl, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bedauert die Haltung der Stiko, nimmt sie aber mit großem Respekt entgegen.”
Auch der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, rät Schwangereren zu einer Impfung - vor allem mit Blick auf die Delta-Variante. „Gerade da die inzwischen verbreitete Delta-Variante nach internationalen Berichten mit einer hohen Infektiosität und mit einer erhöhten Erkrankungsrate auch bei Schwangeren einhergeht, ist nach Ansicht der Gynäkologenverbände eine Impfung vor und in der Schwangerschaft sowie im Wochenbett und in der Stillzeit sinnvoll”, sagte Albring dem RND. „Rechtlich sind Ärztinnen und Ärzte und die Schwangere bei diesen Impfungen inzwischen durch das Infektionsschutzgesetz geschützt”, so der niedergelassene Frauenarzt weiter.
Albring bedauerte, dass bislang keine Empfehlung der Ständige Impfkommission (Stiko) für die Impfung von Schwangeren vorliege. „Viele Ärztinnen und Ärzte sehen das Fehlen einer generellen Impf-Empfehlung durch die Stiko als ein Signal an, dass vielleicht doch ein Risiko in der Impfung verborgen sein könnte”, klagte er.
Großbritannien bietet Schwangeren Impfung
Anders ist die Situation in Großbritannien, wo Schwangeren schon seit April die Impfung angeboten wird. Die Gesundheitsbehörden rufen sogar vermehrt werdende Mütter auf, sich impfen zu lassen.
Hintergrund ist eine aktuelle Studie britischer Wissenschaftler, die eine steigende Gefahr für Schwangere durch die Ausbreitung der Delta-Variante nahelegt. Eine im Juli auf der Seite „medRxiv” vorveröffentlichte Studie, für die britische Forscher Daten von mehr als 3000 im Krankhaus behandelten Frauen analysierten, lässt erkennen, dass durch die verschiedenen Virusvarianten der Anteil von Schwangeren mit schweren Krankheitsverläufen deutlich zunahm – aber keine einzige vollständig geimpfte Schwangere im Krankenhaus behandelt werden musste.
Impfung in Deutschland ist generell möglich
In Deutschland scheinen die Gesundheitsministerien von Bund und Ländern dagegen keinen Handlungsbedarf zu sehen. Eine Impfung ist generell möglich, und Impfärzte und Gynäkologen müssen im Rahmen ihrer Therapie- und Behandlungsfreiheit eigenverantwortlich entscheiden, ob sie Schwangere impfen, erklärt etwa Niedersachsens Gesundheitsministerium.
Marianne Röbl-Mathieu, Ärztin und Mitglied der Stiko, sagte dem RND: „Die Stiko arbeitet die vorliegenden Daten für eine Covid-19-Impfung in der Schwangerschaft systematisch auf.” Im Mittelpunkt stünden dabei die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe sowie die Erkenntnisse zu Corona-Erkrankungen in der Schwangerschaft. Die Ergebnisse seien für Ende August zu erwarten.
Bis dahin bleibt die Entscheidung für schwangere Frauen wie Janna B. und Kathrin H. und ihre Ärzte eine individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung.