Scholz’ Indien-Mission: von Rüstung bis Cricket
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Bundeskanzler Olaf Scholz besucht am Wochenende Indien.
© Quelle: IMAGO/Chris Emil Janßen
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn Sie dieser Newsletter erreicht, ist Olaf Scholz schon seit vielen Stunden in Neu-Delhi unterwegs. Nach deutscher Zeit hat ihn Premierminister Narendra Modi um 5.30 Uhr mit militärischen Ehren empfangen. Es ist bereits das vierte Treffen der beiden Regierungschefs, seitdem Scholz Bundeskanzler ist. Indien wird nach seiner festen Überzeugung als größte Demokratie der Welt eine wichtige Rolle in der künftigen Weltordnung spielen, die nicht mehr nur maßgeblich von den USA und China bestimmt sein werde. Jedenfalls hofft Scholz das.
Indien hat mit seinen 1,4 Milliarden Menschen fast so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie China. Es trennt die beiden Staaten nur etwa eine Größenordnung Deutschlands. Das darf man nie vergessen bei aller kritischen Einstellung zur Politik beider Länder. Wer sich für so viele Menschen um Nahrung, Sicherheit und Frieden kümmern muss, hat ganz andere Probleme als ein deutscher Bundeskanzler mit seiner Verantwortung für gut 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Und das ist schon schwer genug. Erst recht in einer Demokratie, in der Meinungsfreiheit herrscht.
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Treffen sich am Wochenende schon zum vierten Mal: Narendra Modi und Olaf Scholz. Fragen sind trotzdem wohl keine erlaubt.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Die Arbeit der Presse nimmt Modi allerdings nicht ganz so wichtig. Es soll zwar eine Pressekonferenz mit ihm und Scholz geben, aber Fragen finde man in der größten Demokratie der Welt „jetzt nicht ganz so passend“, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Deshalb werde es wohl keinen Raum für Fragen beim gemeinsamen Auftritt der beiden geben. „Da ist die indische Seite sehr bärbeißig“, prognostizierte ein Scholz-Vertrauter.
Dann kann man allerdings auch nicht von „Pressekonferenz“ sprechen. Es sind dann eben nur Äußerungen von Regierungschefs, die sagen, was sie möchten. Das ist oft nicht das, was Bürgerinnen und Bürger hören wollen. Scholz will sich später aber allein den Fragen der mitreisenden Journalistinnen und Journalisten stellen.
Auf diesen Reisen wird der Kanzler stets auch von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation begleitet. Die Plätze im Regierungsflieger sind heiß begehrt. Genau zwölf Topmanager und -managerinnen sind diesmal dabei. Als heikelstes Geschäft wird sich voraussichtlich eine Lieferung von U‑Booten anbahnen. Über Rüstungsgeschäfte schweigen die Beteiligten so lange wie möglich, um öffentliche Diskussionen zu verhindern, bevor die Unterschrift nicht trocken ist.
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Bekommt Indien U‑Boote? Ein im Bau befindliches U‑Boot liegt in der Werft von Thyssenkrupp Marine Systems.
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Die Bundesregierung steht zu Waffenlieferungen an Indien unter anderem aus diesem Grund: Bisher wird es maßgeblich von Russland beliefert. Auch das dürfte ein Grund sein, warum Indien zu der kleinen Minderheit gehört, die sich in der Abstimmung der Vereinten Nation über eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine enthalten hat. Es will sich Russland gewogen halten. Schließlich lebt es auch selbst in Feindschaft zum Nachbarn Pakistan.
Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt will nun seinen Beitrag leisten, dass Indien als inzwischen fünftgrößte Volkswirtschaft weniger auf Russland angewiesen ist. Es wird als Hoffnungsschimmer gewertet, dass Modi beim G20-Gipfel im vorigen November auf Bali mit dafür gesorgt hat, die Erklärung der so unterschiedlichen Staats- und Regierungschefs zu Russland so kritisch wie möglich ausfallen zu lassen. In diesem Jahr hat Indien selbst die G20-Präsidentschaft.
Und Indien, das sich in Rekordzeit vom „Agrarland zum Serviceland“ entwickelt habe, wie deutsche Regierungsvertreter sagen, könnte Deutschland helfen, sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China zu lösen. Es gibt aber erheblichen Unmut auch bei der deutschen Wirtschaft darüber, dass Indien seine Märkte nicht öffne, Barrieren errichte, Zölle erhebe. Scholz will sich deshalb für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien starkmachen. Verhandeln kann er es nicht. Das ist die Sache von Brüssel.
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Will um Indien für seinen Klimaclub werben: Bundeskanzler Olaf Scholz.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Seinen Klimaclub, den Scholz mit willigen Staaten plant, die den Klimawandel effektiv bekämpfen, möchte er Modi auch empfehlen. Dieser Klimaclub will bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden – Indien hat sich das Jahr 2070 vorgenommen. Die Inder werden zurückhaltend sein, sich mit einem festen früheren Datum selbst unter Druck zu setzen, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Aber das bevölkerungsreiche Indien wäre ein wichtiger Partner – Scholz will um ihn werben.
Dringlich ist für Deutschland auch ein Fachkräfteaustausch – Indien hat viele sehr gut ausgebildete Männer und Frauen, Deutschland braucht dringend Fachkräfte.
Um besondere Fachkräfte geht es zum Abschluss von Scholz’ Reise am Sonntag in Bangalore. Dann wird der Kanzler noch schnell ein Cricketstadion besuchen und mit der Frauen- sowie der Männermannschaft der Royal Challengers Bangalore sprechen. Nicht wichtig? „Alle Experten wissen: Das ist in etwa das, was Bayern München in Deutschland für den Fußball ist“, hieß es vorab aus Scholz’ Umfeld. Und damit sich dessen Delegation auf diesen Termin genauso gut vorbereitet wie auf die anderen Treffen, wurde nicht ausgeschlossen, dass Regierungssprecher Steffen Hebestreit anschließend die Cricketregeln abfragt.
Vereinfacht gesagt treten bei der Schlagballsportart Cricket zwei Mannschaften in einer Kombination aus Schlagen, Fangen und Laufen gegeneinander an. Wie schön, wenn so etwas einfach nur in einem Stadion stattfindet und beide Seiten nur spielen wollen.
Machtpoker
„Wir machen kein Schwarz-Grün in Bayern.“
Markus Söder,
bayerischer Ministerpräsident
Der CSU-Chef hat beim Politischen Aschermittwoch erwartungsgemäß vom Leder gezogen und dabei die Grünen zum Riesen gemacht. Nicht die AfD, nicht die „Reichsbürger“, auch keine Putin-Fans in Deutschland, sondern die Grünen sind für ihn der „ideologische Feind“. Ganz besonders Außenministerin Annalena Baerbock. Sie sei ein „Sicherheitsrisiko für Deutschland“. Söder ist schon im Wahlkampf, im Oktober will er bei der Landtagswahl sein Amt als Ministerpräsident verteidigen. Die Grünen empfindet er offensichtlich als so gefährlich, dass sie ihm seine bisherige Koalition mit den Freien Wählern vermasseln könnten. Also lieber rechtzeitig vor ihnen warnen. Der 56-Jährige ist aber für spektakuläre Wendungen bekannt. Einst hatte er AfD-Sprech übernommen, um deren Anhänger auf CSU-Seite zu ziehen. Später umarmte er Bäume, um sich „grün“ zu geben. Ihm fällt das leicht. Sollte es nötig sein oder er seine Meinung ändern, wird aus dem ideologischen Feind eben schnell ein Freund.
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Zog mal wieder vom Leder: Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen
An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:
Eberhard Rumpf aus Burgdorf zum Kommentar „Kampf der Systeme um die Weltordnung“:
„Die Analyse ist vermutlich realistisch. Nur ihrem letzten Satz – „Nur ist die Menschheit für eine Welt ohne Waffen offensichtlich nicht gemacht“ – ist entschieden zu widersprechen. Sowohl aus evolutionsbiologischer wie christlich-religiöser Sicht ist in uns Menschen auch das Gute angelegt. Das Problem ist, dass seelisch-geistig (und auch körperlich) ein breites Spektrum an Möglichkeiten in uns angelegt ist; auf der Gefühlsebene von großer umfassender Liebe bis zum tiefen zerstörerischen Hass.
Wir haben die grundsätzlich angelegte Freiheit, uns dazwischen zu bewegen und für unser Handeln zu entscheiden. Der Philosoph Rüdiger Safranski sagte dazu: „Das Böse ist der Preis der Freiheit.“ Was aus dieser Freiheit in der individuellen Entwicklung wird, hängt von unüberschaubar vielen Einflussfaktoren ab, vor allem in Kindheit und Jugend, aber auch schon vorgeburtlich. Da liegen nach wie vor unsere Aufgaben als Gesellschaft. Es gibt Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass menschheitlich eine Entwicklung zum Guten hin stattfindet; allerdings sehr, sehr langsam.“
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Wie viele Waffen sollten geliefert werden? Hier ein Panzer bei einer Übung.
© Quelle: Ann-Marie Utz/dpa
Birgit Olschok zum selben Thema:
„Noch mehr und immer noch mehr Waffen? Dafür ist die Menschheit nicht gemacht. Waffen töten und zerstören. Nur eine Welt ohne Waffeneinsatz kann die Menschheit schützen. Es gibt keine Feindschaft zwischen den Völkern, es gibt nur Feindschaft zwischen Regierungen. Es sind und waren immer die privilegierten Herrschenden, welche die Völker für ihre Gier nach Reichtum und Macht bluten ließen. Wir sollten Vertrauen haben. Vertrauen in liebende Mütter und Väter, die um ihre gefallenen Kinder weinen, in mitfühlende und hilfsbereite Menschen, die Solidarität mit den Hilfsbedürftigen und Schwachen zeigen, egal, ob sie russisch, chinesisch, amerikanisch oder europäisch sind. Regierungen sind immer auch auf ihr Volk angewiesen. Und die Völker der Welt wollen Frieden.“
Mark Jehner aus Frankfurt zu „Russland und der Westen stehen vor Eskalation des Kriegs“
„US-Präsident Joe Biden sollte erneut klarstellen, dass die westliche Hilfe für die Menschen in der Ukraine keinesfalls auf einen Machtwechsel in Moskau abzielt. Angesichts unverantwortlicher Diskussionen unter seinen Nato-Partnern, wie und wo sie den russischen Präsidenten am besten vor Gericht stellen, sollten die USA die Ziele des Bündnisses transparent machen: Welchen für Putin politisch verkraftbaren Status der Ukraine strebt der Westen genau an? Welches für alle Seiten akzeptable Verhältnis der Nato zu Russland? Zum Beispiel von solchen Klarstellungen hängt ab, ob unsere – auch weiter massiv notwendige – Waffenhilfe für Kiew den Kreml eher zu weiterer Eskalation bewegt oder in Richtung einer Verständigung mit dem Westen über eine freie Ukraine.“
Das ist auch noch lesenswert
Zum ersten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine haben wir ein großes Berichterstattungspaket zusammengestellt – unter anderem aus der Ukraine („Ein Jahr des Schmerzes“ von Can Merey ), aus Deutschland (Ein neues Leben ohne Putin – „Uns wurde unsere Zukunft gestohlen“ von Hannah Scheiwe), über den Aggressor („Die fünf Irrtürmer von Wladimir Putin“ von Matthias Koch) oder die Scorpions („Neuer Text für ‚Wind of Change‘: Warum die Scorpions nicht mehr mit Russland-Konzerten rechnen“ von Stefan Gohlisch (RND+)). Alles sehr traurig. Aber es mehrt das Wissen und schärft die Sinne.
Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen auch dringend den künftigen Newsletter „Krisen-Radar“ von Can und seinem Investigativteam ans Herz legen. Er beobachtet Katastrophen, Konflikte und Kriege dort, wo sie geschehen. Er berichtet aus der Ukraine, Afghanistan, Taiwan, aus Erdbebengebieten und aus allen anderen Ländern, die in unseren Krisenfokus geraten.
Meine Kollegin Daniela Vates hat sich das ZDF-Interview mit Olaf Scholz angesehen und beschreibt in der ihr eigenen süffisanten Art (ich finde das immer großartig), wieso der Kanzler findet, dass es zum Glück diesen Kanzler gibt.
Die Ampelkoalition streitet über Geld. Dazu gehört auch die im Koalitionsvertrag verankerte Kindergrundsicherung. Warum Kinderarmut in Deutschland eine Schande ist, kommentiert mein Kollege Markus Decker.
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Dienstag wieder. Dann berichtet mein Kollege Markus Decker. Bis dahin!
Herzlich
Ihre Kristina Dunz
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