Zwischen links und rechts: Sahra Wagenknecht und die Angst vor dem großen Knall
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Nicht erst seit Russlands Überfall auf die Ukraine laufen die Ansichten von Wagenknecht und großen Teilen der Partei völlig auseinander.
© Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler
Berlin. Sahra Wagenknecht ist seit Jahren Fluch und Segen zugleich für die Linke. Sie ist eine begnadete Rednerin, die es permanent in die Talkshows schafft, und sie spricht auch ein Publikum an, mit dem die Partei eigentlich gar nicht in Berührung kommen will. Zuletzt geschehen auf der von ihr und Alice Schwarzer organisierten „Friedensdemo“ am vergangenen Samstag in Berlin, auf der neben AfD-Mitgliedern auch Neonazis und Verschwörungstheoretiker anwesend waren.
Sie bringt argumentativ den Reizstoff mit, den Medien brauchen, um Einschaltquoten zu erzielen, sonst könnte man sich fragen, warum sie nach all der öffentlichen Kritik an dem von ihr und Schwarzer verfassten „Manifest für Frieden“ am Montagabend schon wieder bei „Hart aber fair“ in der ARD zu Gast sein musste.
Wagenknecht: Immer wieder bringt sie den Parteiapparat an den Rand eines Nervenzusammenbruchs
Nicht erst seit Russlands Überfall auf die Ukraine laufen die Ansichten von Wagenknecht und großen Teilen der Partei völlig auseinander. Immer wieder sorgt sie mit Aufrufen, Thesenpapieren oder Reden für Aufsehen und bringt dabei den Parteiapparat an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Etwa als sie 2021 mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ mit „Lifestyle-Linken“ abrechnete, die auf „biologisch einwandfreie Ernährung“ achten und „Dieselautofahrer“ als ein Graus empfinden.
Dabei ist sie selbst keineswegs der Typ proletarische Straßenkämpferin in Turnschuhen und abgerissenen Jeans, sondern absolviert öffentlichen Auftritte immer gut gestylt in perfekt sitzenden Kostümen. Geboren 1969 in der thüringischen Universitätsstadt Jena als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter, wuchs Wagenknecht in Ostberlin auf und trat im Frühsommer 1989 in die SED ein, als viele das sinkende Schiff schon verließen.
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Von der Kommunistischen Plattform bis in den Parteivorstand der Linken
In den 1990er- und 2000er-Jahren trat sie vor allem als Speerspitze der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform (KPF) in der Partei in Erscheinung, die ein Sammelbecken orthodoxer Mitglieder ist und am Marxismus festhält. Später stieg sie in den Parteivorstand und dort bis zur Vizevorsitzenden sowie in der Bundestagsfraktion gemeinsam mit Dietmar Bartsch zur Co-Fraktionschefin auf.
Inzwischen ist sie zu einer Art linkspopulistischen Ikone mutiert, die zuweilen Thesen aufwirft, die auch rechts anschlussfähig sind. Als „einfache“ Bundestagsabgeordnete hat sie in der Fraktion keine spezielle Funktion mehr, aber immer noch die höchste mediale Anziehungskraft. Und das hängt damit zusammen, dass Wagenknecht schon lange gewissermaßen „auf eigene Rechnung“ arbeitet und die Linke als Bühne benutzt. Dennoch bringt die Partei trotz großer innerer Frustration bisher nicht die Kraft auf, sich von ihr zu trennen. Das Gleiche gilt umgekehrt auch.
Ihre Sammlungsbewegung scheiterte kläglich
2018 startete sie die Sammlungsbewegung „Aufstehen“, mit der sie weit über die Linke hinaus mobilisieren wollte. Schon damals ging in der Partei die Angst um, „Sahra“ wolle eine neue Partei gründen. Doch „Aufstehen“ scheiterte kläglich, unter anderem am Unvermögen der Mitstreiter, feste Strukturen aufzubauen. Wagenknecht meldete sich mit der Diagnose Burn-out ab, um bald danach weiter in der Bundespolitik mitzumischen.
Im Mai 2022 folgte der Aufruf „Für eine populäre Linke“, mit dem Wagenknecht versuchte, der Partei vor dem Erfurter Parteitag im Juni einen Richtungswechsel zu verordneten – weg von einer Verengung „auf bestimmte Milieus“ und wieder hin zu einer „glaubwürdigen sozialen Alternative, die die Menschen nicht von oben herab belehrt“. Parteiinterne Kritiker sagten: „Nichts Neues.“
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Wie Russlands Krieg an der Weltordnung rüttelt
Putins Krieg gegen die Ukraine teilt die ganze Welt neu ein. Die Frontlinie verläuft nicht nur zwischen Russen und Ukrainern, sondern zwischen Demokratien und Diktaturen. Auf bittere Weise muss auch Deutschland wieder aufrüsten, um Kriegsverbrecher auf Abstand zu halten.
Als sie am 8. September 2022 im Bundestag indirekt Russland in Schutz nahm, indem sie der Bundesregierung vorwarf, „einen bespiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen“, wofür sie von der AfD Beifall bekam, liefen Parteimitglieder Sturm, sodass der Bruch zwischen Star und Partei zumindest medial schon mit Händen zu greifen war.
Wagenknecht und die Linke: Zu groß ist die Angst vor dem finalen Knall
Aber sowohl Wagenknecht als auch die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan trieben es nicht auf die absolute Spitze. Zu groß ist wohl gegenseitig die Angst vor dem finalen Knall, zu viel steht auf dem Spiel: Mit einem Austritt Wagenknechts und drei, vier Getreuer würde die Linke im Bundestag ihren Status als Fraktion verlieren, was mit vielen Nachteilen, nicht zuletzt finanzieller Art, verbunden ist.
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Sahra Wagenknecht auf ihrer Demo am vergangenen Samstag in Berlin.
© Quelle: IMAGO/serienlicht
Wagenknecht wiederum liefe Gefahr, das Schicksal von Frauke Petry zu teilen, die 2017 mit der AfD in den Bundestag einzog, dann austrat und danach mit ihrer Neugründung Die blaue Partei in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwand. Im Gegensatz zu ihrem Mann Oskar Lafontaine (79), der im März 2022 aus der Linken austrat und heute Pensionär ist, hat Wagenknecht offensichtlich noch einiges vor.
Ohne Wagenknecht verliert die Linke Stimmen, mit ihr auch. Ein Parteiausschlussverfahren hat sie 2021 überstanden, für ein weiteres fehlt der Partei wohl die Entschlossenheit. Beide Seiten versuchen, sich irgendwie mit der Situation zu arrangieren und die Linke über die Legislaturperiode zu retten.