Keine Solidarität mit der Ukraine? Linke streitet erbittert nach Wagenknecht-Vorstoß
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Sahra Wagenknecht spricht während einer Sitzung des Deutschen Bundestags am 12. Mai in Berlin.
© Quelle: IMAGO/Christian Spicker
Berlin. Neuer Streit in der Linken: Eine Gruppe um die prominente Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht sorgt mit einem Änderungsantrag im Vorfeld des Parteitags am 25. und 26. Juni in Erfurt für Wirbel. „Wir sind entsetzt“, heißt es im Apparat der Partei, es ist von „Schande“ die Rede und von „Moskaus fünfter Kolonne“. Warum geht es?
Mit einem Leitantrag will die Linke in Erfurt klar Position zum „verbrecherischen Angriffskrieg Russlands“ beziehen und ihre volle Solidarität mit der Ukraine bekunden. Eine Gruppe um Wagenknecht hat dazu nun einen Änderungsantrag eingereicht, der diese klare Position massiv abschwächt und die russische Aggression stark in den Kontext der „völkerrechtswidrigen Kriege der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und anderswo“ stellt. „Wir schweigen nicht zur wortbrüchigen Nato-Osterweiterung“, heißt es etwa in dem Änderungsantrag, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt.
Gestrichen aus dem Leitantrag hat die Wagenknecht-Gruppe beispielsweise eine längere Passage zur Solidarität mit der Ukraine, in der es heißt: „Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands aufs Schärfste. Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen. Unsere Solidarität gehört ebenso den Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg stellen, desertieren und dafür Verfolgung befürchten müssen.“
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Auch die Passage, in der Russlands imperiales Streben angeprangert wird, ist komplett gestrichen. Dort heißt es etwa: „Seit Jahren betreibt Russland eine Politik, die darauf zielt, die postsowjetischen Staaten unter dem Einfluss Russlands zu halten: Indem versucht wird, autoritäre Vasallenregime einzurichten oder – wo das nicht gelingt –, die Staaten zu destabilisieren.“
Wagenknecht sorgt erneut für Aufruhr
Nachdem Wagenknecht bereits Ende Mai mit einem „Aufruf für eine populäre Linke“ für Aufregung gesorgt hatte, bringt nun der Änderungsantrag neue Unruhe in die um Stabilität ringende Partei, die sich in einer ernsthaften Existenzkrise befindet. Während es in dem dreiseitigen Aufruf um allgemeine Kernpunkte ging, damit die Partei aus Sicht der gut 80 Erstunterzeichner um Wagenknecht „politisch überleben“ könne, macht der Änderungsantrag noch einmal explizit die generelle Haltung der Linken zu Russland zum Thema, was gewiss Sprengstoff für den Parteitag in sich birgt.
Die bislang vier auf auf dem Parteitag für den Parteivorsitz kandidierenden Bewerber dürften über den Änderungsantrag ebenso entsetzt gewesen sein, wie die Kollegen aus dem Apparat, äußern sich jedoch vorsichtig, um öffentlich nicht noch mehr Porzellan zu zerschlagen. So sagte der Leipziger Bundestagabgeordnete Sören Pellmann, der medial häufig dem Wagenknecht-Lager zugerechnet wird, gegenüber dem RND: „Es ist kein Zufall, dass ich diesen Änderungsantrag nicht mit unterzeichnet habe. Die Solidarität mit der Ukraine steht nicht infrage.“
Die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek hielt sich ebenfalls mit direkter Kritik zurück und sagte dem RND: „Antragsdiskussionen sollten auf dem Parteitag und nicht in der Presse geführt werden.“ Allerdings setzte Reichinnek indirekt nach und positionierte sich, indem sie formulierte: „Ich habe den russischen Angriffskrieg von Beginn an verurteilt und für mich gilt, dass eine Linke für Menschenrechte kämpfen muss – ohne doppelte Standards.“
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Wohin geht es für die Linke? Sahra Wagenknecht scheint die Partei zu spalten.
© Quelle: imago images/Rainer Unkel
Der EU-Fraktionsvorsitzende Martin Schirdewan erklärte sich so gegenüber dem RND: „Es ist doch klar, dass eine Verurteilung des russischen Angriffskrieges und gelebte Solidarität mit der Ukraine in Anbetracht der von Putin entfesselten Gewalt und des Leidens der Zivilbevölkerung jedem vernünftigen Menschen eingängig sein muss.“
Die amtierende Parteichefin Janine Wissler, die erneut für den Vorsitz kandidiert, positioniert sich in einem Thesenpapier, das sie für den Parteitag vorbereitet hat. Dort heißt es: „Russland verfolgt mit dem Krieg gegen die Ukraine imperiale und nationalistische Ansprüche.“ Das sei nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine der Fall, schreibt Wissler und erinnert an von Russland geführte Kriege in Tschetschenien, Georgien und Syrien.
Was für die Linke bei der Kritik an Kriegen der USA oder der Nato immer selbstverständlich war, müsse auch für Russland gelten, heißt es weiter in Wisslers Thesen. „Wenn die Ukraine angegriffen und überfallen wird, gilt unsere Solidarität der ukrainischen Bevölkerung, die unter diesem Krieg leidet. Wir messen nicht mit zweierlei Maß.“