„Wille von Millionen Menschen“

Nach Scheinreferenden: Putin unterzeichnet Dokumente zu Annexion von vier ukrainischen Gebieten

Kremlchef Wladimir Putin hat im Kreml die vier teils besetzten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zu russischem Staatsgebiet erklärt.

Kremlchef Wladimir Putin hat im Kreml die vier teils besetzten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson zu russischem Staatsgebiet erklärt.

Moskau. Kremlchef Wladimir Putin hat vier besetzte ukrainische Gebiete zu russischem Staatsgebiet erklärt. Die Aufnahme von Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson solle noch heute vertraglich besiegelt werden, sagte Putin am Freitag bei einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede. Die Annexionen werden international nicht anerkannt.

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„Wir nehmen vier neue Regionen in die Russische Föderation auf. Denn das ist der Wille von Millionen Menschen“, sagte er. „Die Leute haben ihre Wahl getroffen.“ Damit bezog er sich auf die zuvor in den vier Regionen abgehaltenen Scheinreferenden über den Beitritt zur Russischen Föderation. Denen von Russland eingesetzten Wahlbeamten zufolge stimmten in Saporischschja 93 Prozent, in Cherson 87 Prozent, in Luhansk 98 Prozent und in Donezk 99 Prozent für einen Beitritt in die Russische Föderation. Dass die russische Seite derartige Ergebnisse verkünden würde, galt bereits vorab als sicher.

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Anschließend an Putins Rede haben der Kremlchef sowie die Statthalter der russisch besetzten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson die Verträge über den Beitritt der Regionen zu Russland unterzeichnet. Moskau schließt mit den eigens eingesetzten russischen Führungen der vier ukrainischen Gebiete auf deren Antrag Verträge über die Aufnahme in sein Staatsgebiet. Im Anschluss müssen die Dokumente vom russischen Verfassungsgericht geprüft und kommende Woche vom russischen Parlament – der Staatsduma –, und dem Föderationsrat – dem Oberhaus – besiegelt werden.

Putin fordert von Kiew Waffenruhe und Verhandlungen

Putin rechtfertigte die Annexionen mit den Rechten der UN-Charta, weil es der Wille der Menschen sei. „Das ist deren Recht.“ Dass er mit dem Schritt das Völkerrecht bricht, erwähnte er nicht. Auch nicht, dass die Scheinreferenden teils unter Zwang durchgeführt worden sind. Putin berief sich auf das „Selbstbestimmungsrecht“ der Völker. Allerdings hatten auch die Vereinten Nationen von einer klaren Verletzung des internationalen Rechts gesprochen.

Der Kremlchef ehrte in seiner Rede zudem die Soldaten, die in dem Krieg, den er als „Spezialoperation“ bezeichnet, beteiligt und gefallen sind. „Sie sind Helden“, sagte er und bekam dafür stehende Ovationen der zahlreichen Gäste. Anschließend ordnete er eine Schweigeminute für die Gefallenen an.

News Bilder des Tages Russia Putin Northwestern Federal District 8279450 21.09.2022 Russian President Vladimir Putin delivers a speech during an event to celebrate the 1160th anniversary of Russian statehood in Veliky Novgorod, Russia. Ilya Pitalev / Sputnik Veliky Novgorod Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xIlyaxPitalevx

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Putin forderte die ukrainische Regierung auf, das Feuer einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. „Wir sind dazu bereit“, sagte er. Über die vier annektierten Gebiete ließe sich aber nicht verhandeln. Er betonte, dass die Menschen in diesen Regionen nun „für immer unsere Bürger sind“.

Putin macht Westen für Sabotage an Gas-Pipelines verantwortlich

Der Kremlchef machte zudem den Westen für die Lecks an den Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 verantwortlich. „Sie (die Angelsachsen) sind zu Sabotage übergegangen. Unglaublich, aber wahr. Indem sie Explosionen an den internationalen Gasleitungen Nord Stream organisiert haben (...), haben sie faktisch mit der Zerstörung der gemeinsamen europäischen Energie-Infrastruktur begonnen“, sagte Putin am Freitag bei einer Zeremonie zur Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete. Mit dem Begriff „Angelsachsen“ können im Russischen die US-Amerikaner, die Briten oder beide Nationen zusammengefasst gemeint sein.

Bereits zuvor hatte Putin mit Blick auf die Lecks von einem „Akt des internationalen Terrorismus“ gesprochen, aber keine möglichen Drahtzieher genannt. Russland hat dazu für diesen Freitag auch eine Dringlichkeitsdebatte im UN-Sicherheitsrat beantragt.

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Putin begründet Annexion mit Schutz der dortigen Zivilbevölkerung

Putin begründet die Annexionen mit dem angeblichen Schutz der dortigen Zivilbevölkerung vor Angriffen ukrainischer Nationalisten. Zweieinhalb Millionen Menschen hätten wegen der Kämpfe fliehen müssen. „Diejenigen, die geblieben sind – etwa fünf Millionen Menschen – sind nun ständigen Artillerie- und Raketenangriffen von neonazistischen Kämpfern ausgesetzt. Sie greifen Krankenhäuser und Schulen an und verüben Terroranschläge gegen Zivilisten“, behauptete Putin in seiner Mobilmachungsrede. Inzwischen sagen auch viele russische Soldaten, dass sie dort keine ukrainischen Nazis gefunden hätten.

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Biden: „Die sogenannten Referenden waren eine Farce“

Die britische Premierministerin Liz Truss verurteilte die voraussichtlich bevorstehende Annexion der vier ukrainischen Gebieten durch Russland scharf. „Das Vereinigte Königreich wird niemals den souveränen Willen dieser Menschen ignorieren und wird die Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja niemals als etwas anderes als ukrainisch akzeptieren“, sagte die konservative Politikerin einer Mitteilung vom Freitag zufolge.

Besetzte ukrainische Gebiete melden Zustimmung für Anschluss an Russland

Der ukrainische Präsident Selenskyj kritisierte die Referenden als „Farce“. Die Ukraine werde ihre Bevölkerung in den russisch besetzten Regionen verteidigen.

Auch US-Präsident Joe Biden machte am Donnerstag deutlich, dass die Vereinigten Staaten die vier ukrainischen Regionen niemals als russisches Territorium anerkennen würden. „Die sogenannten Referenden waren eine Farce, eine absolute Farce“, erklärte Biden bei einem Treffen mit Staatschefs von Pazifiknationen. „Die Ergebnisse wurden in Moskau fabriziert.“

Moskau droht mit Atomwaffen

Für den Krieg in der Ukraine könnte das ein neues Eskalationsniveau bedeuten, denn die Ukraine kontrolliert einen Teil der nun von Russland annektierten Gebiete und will sie mithilfe westlicher Waffen vollständig befreien. Allerdings hat die Atommacht Russland damit gedroht, alle verfügbaren Mittel zur Verteidigung der Gebiete zu nutzen. Kremlsprecher Dmitri Peskow legte am Freitag mit einer indirekten Atomdrohung nach. Nach der Annexion der besetzten ukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson sowie Donezk und Luhansk werde Moskau den Beschuss jener Gebiete als „Aggression gegen Russland“ betrachten, sagte er.

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Problematisch ist zudem, dass Moskau als Mindestziel die komplette Eroberung des Gebiets Donezk genannt hatte. Bisher kontrollieren russische Truppen 58 Prozent dort. Kremlchef Wladimir Putin lässt bei einer umstrittenen Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einziehen, die dann die besetzten Gebiete halten sollen.

Es geht um eine Fläche von über 108.000 Quadratkilometern. Das entspricht der Größe von Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Einschließlich der bereits auf ähnliche Weise 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim hat die Ukraine die Kontrolle über fast 20 Prozent ihres Staatsgebiets verloren. Wie schon damals ist eine internationale Anerkennung auch diesmal nicht in Sicht. Eine Rückgabe der Gebiete über diplomatische Verhandlungen schließt Moskau aus.

Russische Vertreter der ukrainischen Halbinsel Krim unterzeichnet im März 2018 gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (2. v. r.) ein Abkommen über den Anschluss an die Russische Föderation. (Archivbild)

Russische Vertreter der ukrainischen Halbinsel Krim unterzeichnet im März 2018 gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (2. v. r.) ein Abkommen über den Anschluss an die Russische Föderation. (Archivbild)

Anders als im Falle der Annexion der Krim hält sich die russische Bevölkerung angesichts der neuerlichen Annexionen mit der Euphorie zurück. Dazu trägt auch die kürzlich von Putin angeordnete Teilmobilmachung bei, die den Krieg in die breite Gesellschaft Russlands trägt.

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RND/jst/sic/dpa

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