Russland-Expertin: Mehr Druck auf Moskau von außen kann zu Verhärtungen führen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/2H5E777FYVBEZMHBGOJ5E72XAI.jpeg)
Wladimir Putin, Präsident von Russland.
© Quelle: Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kre
Berlin. Die Nato-Außenminister haben sich bei ihrem Treffen in Brüssel in dieser Woche darauf geeinigt, im Umgang mit Russland weiter auf eine Mischung aus Abschreckung und Dialog zu setzen. Die Expertin Katharina Bluhm, seit 2011 Professorin am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, warnt indes vor der Annahme, mit mehr Druck von außen, könne man den Regimewechsel in Moskau beschleunigen. „Das kann auch zu Verhärtungen führen“, sagt Bluhm, die sich seit Jahren mit dem Transformationsprozess in den ehemaligen Ostblockländern beschäftigt und auch fachliche Expertisen für die Politik abgibt, wie zuletzt im Wirtschaftsausschuss des Bundestages zum Thema „Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen“. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit ihr.
Frau Prof. Bluhm, der Ruf nach stärkeren Sanktionen gegen Russland wird immer lauter. Sie vertreten die Auffassung, dass höherer Druck von außen nicht zum Regimewechsel im Inneren führen muss. Warum nicht?
Man weiß vorher nicht, was passiert, wenn man den Druck erhöht. Ich halte das insgesamt für eine schwierige Strategie, die im schlimmsten Fall auch zu stärkeren Verhärtungen führen kann. Das zeigen Beispiele aus der Geschichte, nehmen Sie nur Nordkorea. Andererseits kann es auch geschehen, dass man eine Dynamik auslöst, die zum Zerfall des Regimes führt. Aber die Richtung ist auch dann offen.
Hinzukommen die Erfahrungen der 1990er Jahre, die zumindest bei den russischen Eliten noch recht lebendig sind. USA, IWF und Weltbank haben die Gewährung von Krediten und andere Hilfen benutzt, um Reformen voranzutreiben und Russlands Regierung auf Kurs zu halten. Sie verhalfen 1996 Boris Jelzin zur Wiederwahl, und zwar mit demokratisch sehr fragwürdigen Mitteln. Das ist nicht vergessen. Auf äußeren Druck nachzugeben, ist für Wladimir Putin innenpolitisch sehr schwierig, zumal er spätestens seit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 eine „souveräne Außenpolitik“ propagiert.
Das heißt, es muss beim Wechsel nicht zwangsläufig um Demokratisierung gehen.
Genau, die Richtung ist immer offen. Insofern, muss man bei Anwendung solcher Instrumente immer auch die langfristigen Auswirkungen mit bedenken. Ein neuer Eiserner Vorhang zwischen Russland und der Europäischen Union ist keine gute Lösung, übrigens auch nicht für die Länder Osteuropas. Gerade für Staaten, die sich dann am Rande zweier Wirtschaftsblöcke befinden würden, wie zum Beispiel die Ukraine, wird das dann ein ganz schwieriger Prozess.
Bewirken die Sanktionen denn gar nichts?
Natürlich gibt es Effekte. Aber es hat in Russland auch eine gewisse Abkehr vom Westen als Modell stattgefunden – ideell, im Handel und auch technologisch. Wenn China bereit steht, bestimmte technologische Lücken zu schließen, dann ist das klassische westliche Instrument des Technologieentzugs hinfällig. Es findet eine Umorientierung nach Osten statt, die auch von einem erheblichen Teil der Elite mitgetragen wird. Dahinter steht die Erwartung, dass die Zukunft wirtschaftlich eher im Osten liegt.
Biden droht Putin – Russland beordert Botschafter zurück
Nach vernichtender Kritik von US-Präsident Joe Biden an Kremlchef Wladimir Putin eskaliert der Streit zwischen Washington und Moskau.
© Quelle: dpa
Das bedeutet eine stärkere Hinwendung nach China.
Ja, aber nicht nur. Die Führung in Moskau ist sich sehr wohl bewusst, dass man einen Großmachtanspruch auf Dauer ohne eigenes wirtschaftliches Fundament nicht aufrechterhalten kann. Die Abhängigkeit von Gas und Öl, das Fehlen eines dynamischen Entwicklungsmodells ist als großes Problem erkannt. Und wenn der Westen dann die Fenster schließt, dann gibt es eine Umorientierung. Und die wird durch die Sanktionen noch verstärkt. Es ist viel staatliches Geld in die Entwicklung des Binnenmarktes und in Infrastrukturprojekte geflossen. Und letztlich wurde auch die Eurasische Wirtschaftsunion gegründet.
Aber ist das ein erfolgreiches Gegenmodell?
Ich denke, wir können nicht einfach ignorieren, dass es das gibt. Und wenn Russland Technologien aus Südkorea oder aus China einkauft, und zugleich immer stärker auf die Wertschöpfung im eigenen Land setzt, dann darf man schon fragen, wo Europa in diesem Prozess bleibt. Diese Stimmung der Abkehr vom Westen, hin zu einem eigenen Markt, gibt es. Und nicht nur in intellektuellen Zirkeln, sondern auch unter politischen Eliten.
Wie sollte man Ihrer Meinung nach die Beziehungen zu Russland gestalten?
Da gibt es keine fertigen Lösungen. Aber man kann schon darüber nachdenken, wie man eine gemeinsame Sprache findet, ohne dass man sich dem Regime andient. Sanktionen zu forcieren und auf der anderen Seite Gespräche in elitären Foren führen – das bringt nichts. Ich denke, man sollte versuchen, die Kooperation in konkreten Projekten auszuweiten, zum Beispiel beim Green Deal. Also, Russland beispielsweise in das Thema erneuerbare Energien mit einzubeziehen. Abzuwarten ist keine Lösung, weil die Wahrscheinlichkeit, dass ein radikaler Elitenwechsel vor der Tür steht, sehr gering ist.
Es gibt immer wieder Gerüchte, dass der Abgang Putins bevorsteht. Wie denken Sie darüber?
Das ist ganz schwer zu sagen. Das System in Russland sah eine ganze Weile demokratisch aus, aber die eigentliche Macht war und ist in informellen Elitenpyramiden organisiert. Mit Putin ist es gelungen, diese zu einer zu vereinen, die auf ihn ausgerichtet ist. Das heißt, es wird zu Elitenkämpfen kommen, und dann wird sich womöglich wieder einer durchsetzen, der seinen loyalen Unterstützern verpflichtet ist. Die Institutionen werden sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Aber trotzdem entsteht vielleicht eine Situation, in der Politikkorrekturen möglich sind. Und die können auch gravierend sein. Zum Beispiel eine Versöhnung mit der Ukraine in Angriff zu nehmen.
Wird Kreml-Kritiker Alexej Nawalny noch eine Rolle beim Change-Prozess spielen?
Nawalny war nie die große Integrationsfigur der Opposition, aber er ist jetzt für breitere Schichten akzeptabel geworden. Die Repressionen haben enorm zugenommen und das zeigt auch, dass die Gefahr als real wahrgenommen wird. Andererseits gibt es keine institutionalisierte Opposition. Das heißt, man ist immer auf Bewegung angewiesen, braucht Anlässe, die mobilisieren. Ich glaube, es ist eher unwahrscheinlich, dass neue politische Akteure von außen kommen, sondern dass das System eher selbst den Spitzenwechsel vollziehen wird. Im besten Fall kommt es zum Kompromiss und bisherige Gegeneliten werden integriert.
Prof. Katharina Bluhm lehrt seit 2011 am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Transformationsprozess in den ehemaligen Ostblockländern.
© Quelle: privat
Wie schätzen Sie denn die politische Stimmung in der russischen Gesellschaft ein?
Wir gucken immer auf die jungen Leute, und da ist auch viel Hoffnung, dass sich etwas bewegt. Dafür sprechen auch einige unabhängige soziologische Befragungen. Aber wie sie genau ticken, wissen wir nicht, zumal sie mit anti-westlicher Propaganda und einem russischen Zivilisationsdiskurs groß geworden sind Die Gesellschaft ist differenzierter als ihr derzeitiges ideologisches Abbild. Aber die Furcht vor Instabilität sitzt vor allem bei den Älteren immer noch tief.
Stichwort Belarus – wie wird es dort weitergehen?
Es ist wirklich bemerkenswert, wie hartnäckig die Opposition – unterstützt von breiten Bevölkerungsschichten – kämpft. Ich denke, dass die russische Führung eine Zeit lang mit dem Gedanken gespielt hat, Lukaschenko zu ersetzen, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Das ist nicht geschehen, und nun wird massiv die Integration von Belarus in die Eurasische Union vorangetrieben. Das Land ist ohnehin wirtschaftlich stark mit Russland verbunden. Die Zukunft von Belarus wird in Russland entschieden. Solange sich in Moskau nichts ändert, wird Belarus keine entscheidende Demokratisierung erfahren.