Putins nukleare Einschüchterungsversuche
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Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt atomar bestückbare Iskander-Raketen (SS26), die im Februar 2022 auf dem Truppenübungsplatz Osipovichi in Belarus versammelt sind. Russlands Präsident Putin hat die Stationierung taktischer Atomwaffen in der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus angekündigt.
© Quelle: --/Maxar Technologies/AP/dpa
Kremlchef Wladimir Putin hat mit der angekündigten Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus die nächste Eskalationsstufe gezündet. Der belarussische Machthaber Lukaschenko habe schon lange darum gebeten, atomare Waffen auf seinem Staatsgebiet zu stationieren, sagte Putin in einem Interview mit dem russischen Staatsfernsehen. Es soll sich dabei um Iskander-Raketen mit atomaren Sprengköpfen handeln. Zuvor hatte Moskau bereits ähnliche Raketen nach Minsk geliefert. Russland verstoße mit einer solchen Stationierung nicht gegen internationale Verträge, betonte Putin. Die Arbeiten für die Lagerplätze in Belarus sollen in wenigen Tagen beginnen und innerhalb von etwa drei Monaten fertiggestellt werden. Die Ukraine warf Putin vor, Belarus als „nukleare Geisel“ zu missbrauchen.
In der Vergangenheit habe man bereits Belarus beim Umbau von Kampfflugzeugen geholfen. Zehn modernisierte Maschinen seien nun in der Lage, taktische Nuklearwaffen abzufeuern, sagte Putin im Staatsfernsehen. Aus Belarus, das an die Nato-Staaten Lettland, Litauen und Polen grenzt, waren russische Soldaten auch in die Ukraine einmarschiert.
Heftige Kritik an der Ankündigung des Kremls kommt aus dem Westen. Die Schweizer Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) sprach von einer „unverantwortlichen und gefährlichen Eskalation“. Ein Einsatz dieser Waffen werde durch diesen Schritt wahrscheinlicher. „Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist das Risiko einer Fehleinschätzung oder Fehlinterpretation extrem hoch.“ Das US-Verteidigungsministerium erklärte, man beobachte die Lage in Belarus genau. Es gebe bisher jedoch keine Anzeichen, die auf die Vorbereitung eines Nuklearwaffeneinsatzes hindeuten oder Grund zur Änderung der eigenen Nuklearwaffenpolitik geben, so eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats. Ähnlich äußerte sich eine Nato-Sprecherin. Man sei jedoch wachsam und beobachte die Situation. Russlands nukleare Rhetorik sei gefährlich und verantwortungslos.
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Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von einem „weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung“. Belarus habe sich im Übrigen in mehreren internationalen Erklärungen festgelegt, frei von Nuklearwaffen zu sein. Allerdings hatte das Land unter Machthaber und Putin-Verbündeten Alexander Lukaschenko in einem Referendum nur wenige Tage nach der russischen Invasion in der Ukraine die Verfassung geändert, um die Stationierung russischer Atomwaffen zu ermöglichen. „Deshalb ist das nur die Umsetzung einer vor über einem Jahr getroffenen Entscheidung“, meint der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Die Nato sei darauf längst eingestellt. „Bislang wirken Putins Nukleardrohungen insbesondere bei uns in Deutschland“, so Kiesewetter zum RND. Putin versuche Angst und eine Selbstabschreckung des Westens durch die permanente Betonung eines völlig unrealistischen „Atomkriegs“ zu verbreiten. „Damit erreicht Russland das Ziel permanenter Verunsicherung.“
Gegen die Verfassungsänderung gab es in Belarus große Proteste. „Lukaschenko überstand zwar die lang anhaltenden Proteste, verliert aber durch die Nutzung der Militärbasen und Infrastrukturen für den russischen Angriffskrieg und die dauerhafte Stationierung russischer Truppen und Atomwaffen endgültig die Kontrolle über sein eigenes Land“, so Militärexperte Nico Lange, der bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium war. „Von psychologischer Kriegführung sollten wir uns nicht einschüchtern lassen“, warnte er nach Putins Ankündigung.
Nach Einschätzung von Marina Henke (Professorin für Internationale Beziehungen an der Hertie School und Direktorin des Centre for International Security) will Putin Unsicherheit verbreiten, indem er mit Belarus einen weiteren Akteur in das Kontrollsystem der Nuklearwaffen involviert. Gleichzeitig sichere er Lukaschenko zu, weiterhin ein enger Vertrauter Putins zu sein. Ein dritter Grund ist ihr aber wichtig: „Durch die Stationierung der Nuklearwaffen in Belarus erhöht Russland künstlich die Verhandlungsmasse für zukünftige Friedensverhandlungen mit der Ukraine“, sagt Henke im RND-Interview. Putin kalkuliere offenbar, die ukrainische Seite bei Verhandlungen zu besseren Konditionen bewegen zu können, wenn er die Rücknahme der taktischen Nuklearwaffen aus Belarus anbiete.
Die Expertin beobachtet, dass Russlands Drohgebärden zunehmend an Glaubwürdigkeit verlieren. Sie ist immer weniger überzeugt, dass der Kremlchef wirklich eine taktische Nuklearwaffe einsetzen wird. „Er weiß zu gut, dass er dann die Unterstützung Chinas und vieler weiterer Länder verlieren wird.“
Der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) hält die angekündigte Verlegung russischer Atomwaffen für einen weiteren Versuch, im Westen „Ängste vor einer nuklearen Eskalation auszunutzen“. Ziel des Kremls sei es, westliche Staaten unter anderem von weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine abzuhalten. Das Risiko eines Atomschlags halte man aber „nach wie vor für äußerst gering“. Putin sei ein „risikoscheuer Akteur, der immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, ohne jedoch die Absicht zu haben, sie auch einzusetzen“.
CDU-Politiker Kiesewetter kritisiert, dass Russland schon länger nuklear bestückte Mittelstreckenraketen in Kaliningrad stationiert hat. Diese könnten „in wenigen Minuten Berlin, Paris und London erreichen“. In Europa sind die Atomwaffen der Nato auf sechs Luftwaffenstützpunkten stationiert, in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei. Eine zusätzliche Stationierung von Nuklearwaffen in weiteren Nato-Staaten hält Kiesewetter derzeit nicht für notwendig. Langfristig sollte dies aber nicht ausgeschlossen werden.
Die nuklearen Drohungen Putins haben nach Einschätzung von Sicherheitsexpertin Henke aber durchaus einen Erfolg. „Der einzige Grund für die Zurückhaltung der USA und der anderen Nato-Mitglieder bei den Waffenlieferungen an die Ukraine ist der Atommachtstatus Russlands.“ Der Krieg würde sonst ganz anders geführt werden. Die Drohungen mit Atomwaffen seien auch der Grund, warum westliche Staaten bei der Lieferung von Kampfjets an die Ukraine weiterhin zögern.