Der Westen beherrscht die Ostsee
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Ein Bild aus dem Jahr 2022: Kriegsschiffe der russischen Marine im Fehmarnbelt.
© Quelle: Frank Behling (Archivfoto)
Wladimir Putin schickt dieser Tage wieder mal Kriegsschiffe in die Ostsee. 40 russische Boote, große und kleine, pflügen durchs Meer im Rahmen einer Seekriegsübung, die noch bis zum 15. Juni dauern soll. „Auch 25 Flugzeuge sind beteiligt“, trommelte am Montag die staatliche Moskauer Nachrichtenagentur Tass.
Jahrelang sorgten russische Manöver dieser Art bei den übrigen Ostseeanrainern immer wieder für ein Gefühl der Beklemmung. Im Jahr 2019 zum Beispiel entsandte Moskau sogar 69 Schiffe gleichzeitig, darunter große Landungsboote. Zeitweilig sah es so aus, als stehe Putin kurz davor, die gesamte Ostsee für russisch zu erklären.
Für Russland wird es in der Ostsee zunehmend gefährlich: Flosse des schwer zu ortenden neuen schwedischen U-Boots vom Typ Blekinge.
© Quelle: Saab
In diesem Jahr ist alles etwas anders. In Nato-Kreisen heißt es, man verzichte nach außen hin bewusst auf Triumphgeheul. Aber in der Ostsee habe sich mittlerweile die strategische Lage deutlich zulasten Russlands verschoben. Nato-Aufklärer beobachten dieser Tage die russische Marine in der Ostsee aufmerksam, aber ohne Angst: wie einen Käfer unterm Weckglas.
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Für St. Petersburg wird der Seeweg eng
Wer das Meer beherrscht, beherrscht die Länder: Dieses uralte Prinzip gilt bis heute.
So könnte plötzlich ein unscheinbares Seegebiet wie das zwischen der deutschen Insel Rügen und der schwedischen Hafenstadt Trelleborg strategische Bedeutung gewinnen: Gelänge es Russland, hier eine Seeblockade einzurichten, wären mit einem Mal Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland von ihren Seewegen abgeschnitten.
Hat Moskau so etwas vor? An manchen Tagen scheint es, als seien entsprechende Befürchtungen im Westen nicht aus der Luft gegriffen. „Die baltischen Staaten sind unsere Provinzen, sie gehören uns“, tönte Mitte Mai der für feurige Formulierungen bekannte Vorsitzende des russischen Verteidigungsrats, der frühere Premier Dmitri Medwedew.
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Der Ostseeraum: Im Norden wächst die Macht der Nato.
© Quelle: Google Maps
Doch bei kühler Betrachtung der Lage kann man Putin von Machtproben aller Art in der Ostsee nur abraten: Russland hat in der Region neuerdings militärisch so schlechte Karten wie noch nie.
Drei Faktoren haben, beflügelt durch Russlands Angriff auf die Ukraine, die Verhältnisse verändert:
- Finnland gehört neuerdings zur Nato. Damit wird es im Konfliktfall zum Beispiel eng für den Seeweg nach St. Petersburg, die mit 5,5 Millionen Einwohnern zweitgrößte Stadt Russlands. Im Süden der Schiffsroute liegt Estland, Nato-Mitglied seit März 2004. Im Norden liegt Finnland, Nato-Mitglied seit April 2023.
- Schweden hat sich ebenfalls nach langer Neutralität auf die Seite der Nato geschlagen. Der formelle Beitritt hängt noch an der Zustimmung der Türkei. Durch gemeinsame militärische Übungen besteht aber bereits, was im Nato-Jargon als „interoperability“ der Streitkräfte bezeichnet wird: die Fähigkeit zu einem bis in die Details hinein reibungslosen Zusammenwirken. Eine russische Flotte, die südwärts durch die Ostsee vordringen wollte, wäre also auch von Schweden her bedroht. Als unsinkbarer Flugzeug- und Raketenträger würde zudem die strategisch bedeutsame schwedische Insel Gotland fungieren.
- Die USA zeigen in der Ostsee eine Präsenz wie noch nie. Am Himmel über dem Baltikum ziehen nicht nur Aufklärer, sondern auch schwere Bomber ihre Bahn. In Estland und Polen sind neuerdings F-22-Jets (Raptors) am Start, sogenannte Luftüberlegenheitsjäger der fünften Generation. An einem bereits laufenden Ostseemanöver der Nato nimmt derzeit unter anderem der amerikanische Lenkwaffenzerstörer USS Paul Ignatius teil. In Oslo war Ende Mai erstmals seit dem Jahr 1959 ein amerikanischer Flugzeugträger zu Gast, die 333 Meter lange USS Gerald Ford, das größte Kriegsschiff der Welt.
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Ein ungewöhnliches Bild: Ende Mai 2023 zwängte sich die USS Gerald Ford, das größte Kriegsschiff der Welt, durch den Oslo-Fjord.
© Quelle: IMAGO/NTB
Dass es auf westlicher Seite so stark summt und brummt in letzter Zeit, hat nicht allein mit einer symbolischen „show of force“ zu tun. Der Ostseeraum ist in den vergangenen Monaten für die Nato zu einem so gut wie noch nie vernetzten „kohärenten Schauplatz“ geworden.
Eine schlechte Nachricht für Putin liegt zudem in den jüngsten nationalen Rüstungsanstrengungen diverser Ostseeanrainer, über die in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt ist.
Schweden setzt auf neue eigene Waffen
So hat die sozialdemokratische ehemalige Regierungschefin von Finnland, Sanna Marin, 64 Exemplare der modernsten amerikanischen Kampfflugzeuge (F-35 A) geordert. Das Land hat die Wehrpflicht nie aufgegeben und kann notfalls 280.000 Soldatinnen und Soldaten zusammenrufen, ausgerüstet mit einem der modernsten Waffenlager in Europa.
Schweden legt Wert darauf, auch durch immer neue eigene Rüstungsprodukte der russischen Seite zu zeigen, was eine Harke ist. Ein Beispiel dafür sind Schwedens neue U-Boote der Blekinge-Klasse, denen nachgesagt wird, sie seien ungewöhnlich leise und für den Gegner extrem gefährlich. In Marinekreisen gilt die Neuentwicklung des Saab-Konzerns als ideale Waffe gegen russische Schiffe, da man sich mit den U-Booten sehr gut in den teils flachen Gewässern der Ostsee verstecken kann.
Der spezielle schwedische Wehrwille kam auch durch jüngste Waffentests auf Gotland zum Ausdruck. Schwedens Armee ließ ihr neues Robot System 23 auffahren, das künftig die autonome Flugabwehr übernehmen soll. Als die Boden-Luft-Raketen über die Ostsee schossen, freuten sich Schwedens Offiziere.
Das Robot System 23 übernimmt die Flugabwehr: Waffentest auf Gotland im April 2023.
© Quelle: Swedish Armed Forces
Schon im Januar 2022, vier Wochen vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, brachte Schwedens Armee auf Gotland Panzer in Stellung.
Viele Europäerinnen und Europäer tippten sich damals an den Kopf: So viel „Russen-Angst“ galt damals noch als übertrieben.
Heute stellt sich alles etwas anders dar. Raunend heißt es in Nato-Kreisen, auch die beiden „sehr wachen Geheimdienste“ Schwedens und Finnlands seien für das westliche Bündnis ein erheblicher Gewinn.