Geschäftsaufgabe, Verkauf, Insolvenz?

Warum der Rückzug aus Russland für deutsche Firmen kompliziert ist

Im russischen Kaluga wird in der Endkontrolle im VW-Werk ein Fahrzeug kontrolliert. Der VW-Konzern verkauft seine wichtigste Fabrik in Russland und zieht sich bis auf Weiteres vollständig aus dem Land zurück.

Im russischen Kaluga wird in der Endkontrolle im VW-Werk ein Fahrzeug kontrolliert. Der VW-Konzern verkauft seine wichtigste Fabrik in Russland und zieht sich bis auf Weiteres vollständig aus dem Land zurück.

Berlin. Immer wieder stehen deutschen Unternehmen am Pranger, weil sie trotz des brutalen russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der verhängten westlichen Sanktionen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in Russland immer noch nicht eingestellt haben. Professoren der renommierten Universität Yale haben schon 2022 eine „Liste der Schande“ ins Internet gestellt, auf der jede Firma erfasst wird, die noch in Russland agiert. Die Geschäftsaufgabe, die von außen betrachtet recht einfach erscheint, stellt sich im Konkreten oft sehr schwierig dar. Gemeinsam mit Thomas Heidemann, dem Russland-Experten der international agierenden Wirtschaftskanzlei CMS mit 80 Standorten weltweit, hat das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) Fragen und Antworten rund um den Ausstieg aus Russland zusammengestellt.

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Was geschieht, wenn Firmen Lieferverträge einfach kündigen?

Da braucht man eine sehr gute Begründung, denn die Sanktionen der EU und der USA erkennt Russland rechtlich nicht an. Das heißt, wenn man keine nach russischem Recht haltbare Begründung für den Abbruch der Lieferbeziehungen geltend machen kann, wird man mit erheblichen Schadensersatzforderungen aufgrund von Vertragsverletzungen konfrontiert.

+++ Alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine im Liveblog +++

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Wie gefährlich ist das für ein deutsches Unternehmen?

Wenn die Firma ihren Sitz in Deutschland hat, kein Vermögen in Russland hält und international nicht weiter tätig ist, ist das relativ unproblematisch, weil deutsche Gerichte keine russischen Urteile vollstrecken. Aber sobald ein Unternehmen über Russland hinaus Geschäftsbeziehungen unterhält, kann es Ärger geben, weil eine ganze Reihe von Ländern Rechtshilfeabkommen mit Russland abgeschlossen haben und russische Urteile auch vollstrecken. Das trifft beispielsweise auf China zu und auf fast alle Länder im postsowjetischen Raum, wie etwa Kasachstan, Armenien oder Georgien.

Wie sieht es aus mit Serviceleistungen?

Deutschland hat viel aus dem Bereich Maschinenbau nach Russland geliefert, oft verbunden mit langjährigen Serviceverträgen. Auch da ist es schwierig herauszukommen. Russische Vertragspartner bieten alle rechtlichen Möglichkeiten auf, dass deutsche Unternehmen den vereinbarten Service in Russland weiter erbringen oder, wenn das nicht erreicht werden kann, zumindest einen größtmöglichen Schaden erleiden. Im Eisenbahnsektor haben deutsche Unternehmen beispielsweise Züge inklusive Service für den russischen Markt geliefert. Seit Kündigung der Verträge wird intensiv prozessiert. Im Automobilsektor haben viele Unternehmen ihre Aktivitäten in Russland komplett eingestellt und liefern auch keine Ersatzteile mehr. Auch das führt zu rechtlichen Konflikten.

Warum sind Unternehmensverkäufe schwierig?

Seit September 2022 ist jeder Verkauf einer Firma durch einen „unfreundlichen Ausländer“ genehmigungspflichtig. Zuständig dafür ist die Regierungskommission für ausländische Investitionen. Dort muss man einen Antrag stellen. Ohne Entscheidung dieser Kommission kann kein Unternehmensverkauf mehr stattfinden, da Notare und Registrierungsbehörden ohne diese Entscheidung nicht mehr tätig werden.

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Für den Antrag muss der Unternehmenswert ermittelt werden. Dazu muss ein russischer Wertgutachter, der beim Finanzministerium gelistet sein muss, eine Expertise abgeben. Der Kaufpreis darf höchstens 50 Prozent des im Wertgutachten ermittelten Unternehmenswertes betragen. Zudem muss der Käufer 5 bis 10 Prozent Steuern auf den Unternehmenswert zahlen. Das ist eine zusätzliche Hürde, da der Käufer meist vom Verkäufer fordert, diesen Betrag vom Kaufpreis abzulassen. Das heißt, mehr als 40 Prozent des Wertes, der im Gutachten festgestellt wurde, lassen sich kaum erzielen.

Kein Herankommen: Die futuristische 600-Millionen-Dollar-Segelyacht „A“ des russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko wurde 2022 von den italienischen Behörden in Triest beschlagnahmt.

Pure Angst oder Schulterschluss mit Putin? Die Oligarchen suchen den sicheren Hafen

Nicht alle russischen Oligarchen sind enge Putin-Freunde, einige von ihnen sind dem Westen zugewandt, gelten als liberal. Doch immer mehr Eliten halten zum Kreml und kehren zurück in die Heimat – trotz des brutalen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sind die westlichen Sanktionen eine treibende Kraft?

Das Verfahren ist weiterhin reichlich undurchsichtig; Entscheidungskriterien sind wenig transparent und die spärlichen rechtlichen Grundlagen ändern sich ständig. Das führt dazu, dass wieder vermehrt sogenannte Berater auftauchen, die versprechen, mit guten Beziehungen zu Personen in der Regierungskommission eine Lösung herbeiführen oder beschleunigen zu können. Dieser Ansatz führt aber selten zum gewünschten Erfolg.

Mit einer behördlichen Entscheidung zum Verkaufsantrag kann man nach drei bis fünf Monaten rechnen – positiv, negativ oder mit Auflagen.

Wer kommt als Käufer infrage?

Als Käufer kommen fast ausschließlich russische Interessenten infrage, weil derzeit kaum ein westlicher Käufer in Russland einsteigt. Oft handelt es sich um die Manager des betreffenden Unternehmens, die zwar Ahnung vom Geschäft haben, aber nicht über das notwendige Kaufkapital verfügen. Dann kommt es zu langwierigen Finanzierungsversuchen. Der russische Staat tritt kaum als Kaufinteressent in Erscheinung, sondern lässt dann lieber Oligarchen zum Zuge kommen, weil klar ist, dass sie bei Übernahme einer Firma ohnehin im Interesse des Kremls handeln.

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Dr. Thomas Heidemann ist 58 Jahre alt und von Beruf Rechtsanwalt. Er hat den größten Teil seiner Karriere seit Mitte der 1990er-Jahre in Russland verbracht und war als Berater für die Wirtschaftskanzlei CMS in St. Petersburg und Moskau, aber auch in der Ukraine, in Kiew, tätig. Mit Beginn des Ukraine-Krieges hat CMS ihr Geschäft in Russland eingestellt, berät aber weiter von Deutschland aus Firmen, die aus dem Russlandgeschäft aussteigen wollen. „Wir helfen Unternehmen beim Ausstieg, aber beraten nicht, wie man jetzt möglichst noch viel Geld in Russland machen kann“, betont Heidemann.

Dr. Thomas Heidemann ist 58 Jahre alt und von Beruf Rechtsanwalt. Er hat den größten Teil seiner Karriere seit Mitte der 1990er-Jahre in Russland verbracht und war als Berater für die Wirtschaftskanzlei CMS in St. Petersburg und Moskau, aber auch in der Ukraine, in Kiew, tätig. Mit Beginn des Ukraine-Krieges hat CMS ihr Geschäft in Russland eingestellt, berät aber weiter von Deutschland aus Firmen, die aus dem Russlandgeschäft aussteigen wollen. „Wir helfen Unternehmen beim Ausstieg, aber beraten nicht, wie man jetzt möglichst noch viel Geld in Russland machen kann“, betont Heidemann.

Was ist mit Rückkaufoptionen?

Bis vor einem halben Jahr war es noch sehr populär, sich in einen Kaufvertrag notariell beglaubigt ein Rückkaufsrecht, beispielsweise nach fünf Jahren, eintragen zu lassen. Heute geht auch das kaum noch, denn inzwischen ist auch die Rückkaufoption genehmigungspflichtig geworden, und in der Praxis werden diese Genehmigungen nicht erteilt.

Möglich ist derzeit lediglich eine informelle, rechtlich unverbindliche Vereinbarung („gentlemen‘s agreement“).

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Was geschieht, wenn man einfach Insolvenz anmeldet?

Wenn die Probleme der russischen Tochtergesellschaft zu groß werden, kann man darüber nachdenken, diese in die Insolvenz gehen zu lassen. Das ist prinzipiell möglich, birgt aber auch Risiken: wenn die Insolvenz sich auf Entscheidungen des Gesellschafters zurückführen lässt – was aktuell in der Regel der Fall sein wird –, haftet neben der insolventen Gesellschaft auch der Gesellschafter. Damit wird ein Zugriff auf das Gesellschaftervermögen möglich und das Ziel, mit der Insolvenz der Tochter deren Verbindlichkeiten loszuwerden, wird nicht erreicht.

Kann es helfen, ein internationales Schiedsgericht anzurufen?

Das war früher ein gangbarer Weg. Aber im Zuge des Ukraine-Krieges hat Russland Gesetze erlassen, die den Weg zu den Schiedsgerichten versperren. Vereinbarte Schiedsklauseln in Verträgen können für unwirksam erklärt und stattdessen die Zuständigkeit der russischen Gerichte verfügt werden. Die Entscheidungskompetenz wird damit komplett nach Russland gezogen. Da die westlichen Sanktionen in Russland als rechtlich unwirksam behandelt werden, ändert diese Verschiebung des Gerichtsstands auch das materielle Recht, nach dem der jeweilige Streit entschieden wird. Dadurch werden russische Kläger regelmäßig bessergestellt.

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