Das Jahr 2020: Corona – und sonst?

Die ersten Wochen eines neuen Jahres sind gewöhnlich keine guten Zeiten für Nachrichtenredakteure. Die Politik befindet sich im Tiefschlaf. Die meisten Deutschen erholen sich von den Feiertagen oder denken darüber nach, wann sie ihren guten Vorsätzen nachtrauern werden. Es ist aber auch die Zeit der interessanten Geschichten aus dem Ausland, die es in anderen Zeiten kaum in die deutschen Medien schaffen.

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Am 12. Januar 2020, es war ein trüber Sonntag, kam eine Kollegin mit einer solchen Auslandsgeschichte an den Newsdesk, den zentralen Redaktionstisch. Die Geschichte spielte zwar im fernen China, aber das Thema klang interessant. Und so erschien am nächsten Tag ein Text mit der Schlagzeile: „Rätselhafte Lungenkrankheit beunruhigt die Chinesen“. Die Ortsmarke am Anfang des Berichts wies eine bis dato in Deutschland unbekannte Stadt namens Wuhan als Zentrum des Geschehens aus.

Das Nachrichtenjahr sprengte alle Dimensionen

Es war der Anfang eines Nachrichtenjahres, das alle Dimensionen sprengen sollte. Und das alles in den Schatten stellt, was sich in mehr als 25 Berufsjahren als Nachrichtenmensch an Erfahrungen angesammelt hat. Die Wucht von Nachrichtenlagen misst sich heutzutage in der Zahl von Pushmeldungen, die von digitalen Portalen aufs Handy geschickt werden. Weltweit versandten Medien, darunter auch das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit seinem Onlineportal RND.de, 2020 Abertausende Eilmeldungen zum Thema Corona. An manchen Tagen geschah dies im Sekundentakt.

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Ein klassischer Indikator für die Bedeutung von Nachrichten ist hingegen die Eilmeldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Ein „dpa Eil“ besteht aus maximal drei Sätzen und soll die „kompakteste Form der Kurzinformation“ zu einem Thema liefern. Im TV kennt man das als Breaking News. 615 Corona-Eilmeldungen hat dpa bis Mitte Dezember an die Redaktionen verschickt, ein einsamer Rekord. 31 Eilmeldungen erschienen allein am 12. März, als sich die Hinweise verdichteten, dass Deutschland in einen Lockdown gehen wird. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 gab es zum dominierenden Thema Brexit gerade einmal 80 Eilmeldungen.

Doch diese Zahlen sind nur eine Möglichkeit, das Ausmaß der Pandemie auszudrücken. Von Tag zu Tag, von Woche zu Woche grub sich das Coronavirus mehr in das Bewusstsein der Menschen. In Deutschland, in Europa, überall. Weltumspannend. Denn das Virus betraf im Laufe dieses Jahres in der einen oder anderen Form – buchstäblich – die ganze Welt.

Die Sorge um Angehörige mischte sich mit der Notwendigkeit, eigene Gewohnheiten infrage stellen zu müssen. Plötzlich sollte man keine Hände mehr schütteln, keine Freunde mehr umarmen, keine Partys mehr feiern. Existenzen standen (und stehen) auf dem Spiel, Unternehmen wackeln, Menschen verlieren Jobs, Einkommen, Sicherheiten.

Es schien kein anderes Thema mehr zu geben als Corona

Es schien nahezu kein anderes Thema im Leben und in der Welt der Nachrichten mehr zu geben. Der Krisenmodus auch der Medien hatte dazu geführt, dass andere, ebenfalls relevante Themen häufig in den Hintergrund rutschten. Nie zuvor in den vergangenen 25 Jahren dominierte ein Thema die Berichterstattung so wie Corona im Jahr 2020. Allenfalls die US-Wahl konnte im Sommer und Herbst ernsthaft mit der Pandemie konkurrieren.

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Dabei begann die Corona-Karriere höchst untypisch. Normalerweise entwickelt sich ein Krisenthema aus einem dramatischen Ereignis, aus einer Katastrophe oder aus einem politischen Erdbeben. Bei der Pandemie verhielt es sich vollkommen anders. Die Katastrophe kam schleichend von Asien nach Europa, und sie wurde auch schleichend zu einem Nachrichtenthema.

So dauerte es, bis die Krankheit auch in den Köpfen der Deutschen ankam. Auf den Text vom 13. Januar – „Rätselhafte Lungenkrankheit beunruhigt die Chinesen“ – folgte lange Zeit nichts. Die Informationspolitik in Peking war, vornehm ausgedrückt, sehr zurückhaltend. Selbst im Westen sahen führende Virologen keine Gefahr auf uns zukommen.

Läuft man nicht immer Gefahr, Panik zu schüren?

Noch am 21. Januar bestand die Eilmeldung von dpa aus einer Nichtnachricht („WHO ruft wegen Virus in China keine internationale Notlage aus“), eine Woche später aber änderte sich die Lage: „Erster Corona-Fall in Deutschland nachgewiesen“. Das unheimliche Virus war da – und die Redaktionen schalteten in den Krisenmodus um. Sehr langsam allerdings und mit gehöriger Vorsicht: Hatten wir nicht aus Seuchen wie der Schweinegrippe oder Ebola gelernt? Läuft man mit Berichten über rätselhafte Krankheiten nicht immer Gefahr, Panik zu schüren?

Spätestens aber, als die Ischgl-Skifahrer das Virus in Deutschland verbreitet hatten, war klar: Corona wird auch zur Herausforderung für die Informationsgesellschaft.

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Der Liveticker, einst erfunden für Fußballspiele oder Terrorereignisse, entwickelte sich von Ende März an zum Corona-Dauerangebot. Mit einer Informationsflut, die bisweilen selbst Profis an ihre Grenzen bringt.

Nicht alles, was unter dem Stichwort Corona in den verschiedenen Kanälen auftaucht, ist wichtig. Aber vieles hat direkte Bedeutung für das Leben von Millionen von Menschen. „News you can use“, die Nachricht mit dem direkten Nutzen, wird in diesem Jahr zu einem neuen Standard.

Namen sind Nachrichten, das lernt jeder Volontär. Im Jahr 2020 wurden die Namen von den Zahlen abgelöst. Fast jeder Tag begann mit der Veröffentlichung der aktuellen RKI-Infektionszahlen. Sieben-Tage-Inzidenzen, R-Werte und Herdenimmunität werden zum Kern von Nachrichtentexten, das „exponentielle Wachstum“ wird zur Kategorie von politischen Kommentaren. Zudem lernen wir immer neue Begriffe: Lockdown und Mund-Nasen-Schutz, AHA-Regel und Abstandsgebot, Lockdown und Social Distancing, Superspreader und Geisterspiele.

Drosten bekommt die negative Seite der Popularität zu spüren

Und noch eine Beobachtung aus diesem Jahr: Journalismus und Wissenschaft kommen sich näher, müssen sich aber noch einspielen. Christian Drosten, die wichtigste Stimme der Virologen in der Krise, bekommt die negative Seite der Popularität zu spüren und wird für Corona-Leugner zur Hassfigur. So wie die Journalisten, die von Querdenker-Demos berichten.

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Corona hat allein durch die Masse an Informationen neue Maßstäbe im Nachrichtenwesen gesetzt. Nicht alle Mechanismen aber wurden außer Kraft gesetzt: Die einzige „Blitzmeldung“ des Jahres, also die Nachricht mit der allerhöchsten Priorität, schickte die Agentur dpa am 7. November um 17.28 Uhr. „AP und CNN: Joe Biden gewinnt Präsidentenwahl in den USA“. Vier Jahre lag die letzte Blitzmeldung zurück, sie kündete vom Sieg Donald Trumps in den USA.

Der nächste „Blitz“ muss nicht wieder so lange auf sich warten lassen. Irgendwann im kommenden Jahr darf folgende Nachricht die erste Priorität bekommen: „WHO erklärt Corona-Pandemie für beendet“.

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