Anschlag in Berlin – der perfide Plan von Franco A.
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Der Fall Franco A. hat 2017 für viel Aufsehen gesorgt.
© Quelle: picture alliance / dpa
Der Mann mit dem Doppelleben hat einen Plan, und er hat ihn aufgezeichnet, alles im Detail. Mit seinem Motorrad, einer Suzuki GS 500 EU, will Franco A. losfahren, später das Auto nehmen. Er will von Offenbach nach Berlin fahren, quer durch die Republik, dann nach Frankreich ins Elsass und wieder zurück nach Deutschland, nach Bayern.
Franco A. hat aufgeschrieben, wie sein Weg verlaufen soll. Die Notizen liegen dem Bundeskriminalamt vor. Er hat seinen Weg geplant. Aber das dunkle Geheimnis, das hinter dem Weg steht, lässt sich selbst für die Ermittler nicht ganz sicher festlegen. Doch sie haben eine Hypothese.
Mit dem Motorrad habe der Soldat von Offenbach aus nach Berlin fahren wollen, um einen Terroranschlag zu verüben. Die mögliche Tatwaffe, eine Schrotflinte, hätte ein Komplize per Bahn in die Bundeshauptstadt bringen sollen. Nach der Tat wäre der Offizier mit dem Motorrad in die Kaserne bei Straßburg zurückgekehrt, um im Anschluss mit einem Wagen zunächst nach Bayreuth und später nach Erding zu fahren.
"Als Flüchtling verkleideter Hobbyermittler im deutschen Asylwesen“
Die Geschichte von Franco A. ist eine der dubiosesten Biografien in der jüngeren deutschen Geschichte. Es ist die Geschichte eines Bundeswehrsoldaten aus dem Jägerbataillon 291 im elsässischen Illkirch, der sich als Flüchtling ausgibt, um womöglich politische Morde Migranten in die Schuhe zu schieben. In Kirchdorf bei Erding bewohnt er offiziell ein Zimmer in einer Asylunterkunft – als anerkannter syrischer Flüchtling unter dem Namen David Benjamin.
Die Geschichte, die sich wie der Plot für einen schlechten Roman liest, lässt viele Fragen noch heute unbeantwortet. Wie konnte Franco A. über Monate unentdeckt ein Doppelleben führen? War er nur ein „als Flüchtling verkleideter Hobbyermittler im deutschen Asylwesen“, wie sein Verteidiger behauptet? Oder doch Mitglied einer klandestinen rechtsextremistischen Terroreinheit der Bundeswehr? Formiert sich in Deutschland eine Schattenarmee ähnlich der berüchtigten Schwarzen Reichswehr in der Weimarer Republik? Reichen die Wurzeln eines solchen Netzwerkes tief hinein in deutsche Sicherheitsbehörden und Geheimdienste? Vielleicht sogar bis hoch hinauf in Teile der Generalität?
Es sind Fragen, die auch die Ermittler im Fall von Franco A. noch nicht abschließend beantworten können. Aber sie sind im Besitz von umfangreichem Material. Zwei zentrale Vermerke liegen dem RedaktionsNetzwerk Deuschland (RND) vor. Es sind Dokumente, aus denen wegen laufender Ermittlungen nicht direkt zitiert werden darf. Deswegen kann auch dieser Text nur die zentralen Inhalte zusammenfassen.
Aber die Mitschriften und Kladden von Franco A. sind eindeutig. Und auch die Analysen der Beamten des Bundeskriminalamtes lassen keinen Zweifel daran, dass es sich bei Franco A. um keinen gewöhnlichen Fall in der deutschen Bundeswehr- und Kriminalgeschichte handelt.
Amadeu Antonio Stiftung im Visier
Der Fall beginnt in einer Tiefgarage in der Novalisstraße in Berlin-Mitte. Es ist der 22. Juli 2016, ein heißer Nachmittag in der Hauptstadt, die Temperaturen steigen bis auf 30 Grad. Doch hier unten in der Garage spürt Franco A. wenig von der Hitze. Es ist 16.13 Uhr, als A., Oberleutnant der Bundeswehr, sein Samsung Galaxy zückt und die Frontansichten von vier parkenden Autos fotografiert. Deutlich zu erkennen sind jeder einzelne Fahrzeugtyp, die Lackierungen, die Kennzeichen.
Die Wagen gehören Mitarbeitern der Amadeu Antonio Stiftung, deren Sitz sich im Gebäude über der Tiefgarage befindet. Die Organisation ist bekannt für ihren Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Genau aus diesem Grund war sie schon häufig Ziel von Hass und Anfeindungen aus der rechten Szene.
Die Geschichte klingt immer noch unglaublich: Ein Offizier und angeblicher Rechtsextremist, geboren im hessischen Offenbach, stationiert in einer deutsch-französischen Elite-Einheit im Elsass, soll die Stiftungsvorsitzende Anetta Kahane ausgekundschaftet haben, um sie zu ermorden. Neben detaillierten Angaben zu Kahane stehen noch die Adressen anderer prominenter Fürsprecher einer liberalen Flüchtlingspolitik im Notizbuch des Offiziers. Der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD), auch der Name des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck.
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Soll von Franco A. ausgekundschaftet worden sein: die Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane.
© Quelle: dpa
Neonazis in der Bundeswehr - vernetzt, gewaltbereit und umstürzlerisch? Angesprochen auf Rechtsextremisten in der Truppe, werden Generäle schnell schmallippig. Die Armee sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, da gebe es solche und solche, ist häufig zu hören. Die große Mehrheit der 185.000 deutschen Soldatinnen und Soldaten stehe auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
An dieser Aussage zweifelt kaum jemand. Doch selbst wenn zutrifft, dass der Prozentsatz von Radikalnationalisten, Rechtsextremisten, Neonazis und Terroristen unter Soldaten ähnlich hoch ist wie der unter Zivilisten, gibt es einen Unterschied: Soldaten tragen Waffen. Und sie wissen, wie man sie einsetzt.
Als Oberleutnant Franco A. mit möglichen Anschlagsplänen auffliegt und herauskommt, dass seine Vorgesetzten schon lange von den rechten Umtrieben des Offiziers gewusst und diese als „Spinnereien“ abgetan haben, bläst die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zum Kampf gegen „falsch verstandenen Korpsgeist“.
Rechtsradikales Netzwerk in der Bundeswehr: „450 Verdachtsfälle"
Sie attestiert der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“, kassiert den Traditionserlass der Truppe, lässt Wehrmachtssymbole aus Kasernen entfernen und setzt Generäle ab, die sich ihr widersetzen. Zum ersten Mal zieht eine Verteidigungsministerin die Existenz eines „rechtsradikalen Netzwerkes“ innerhalb der Bundeswehr in Betracht. Von Einzelfällen, so von der Leyen, könne keine Rede mehr sein.
Im März 2019 teilt ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages in einer vertraulichen Sitzung mit, dass der Geheimdienst der Truppe „450 Verdachtsfällen“ in der Bundeswehr nachgeht. Hinzu kommen nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden 12.700 gewaltbereite deutsche Rechtsextremisten. Zahlen, die beunruhigen.
In Kürze muss der Bundesgerichtshof darüber entscheiden, ob die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Franco A. wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zugelassen wird. In erster Instanz war die oberste deutsche Anklagebehörde vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) in Frankfurt im Juni 2018 gescheitert.
Das OLG konnte „keinen hinreichenden Verdacht“ feststellen, dass der Bundeswehrsoldat tatsächlich Terroranschläge begehen wollte. In Fällen wie diesen, ohne die Umsetzung einer möglichen Tatabsicht, balancieren Staatsanwälte wie Richter stets auf einem schmalen Grat der Abwägung.
Generalbundesanwalt Peter Frank ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass Franco A. morden wollte. Als Belege für das mutmaßliche Komplott gegen Kahane und andere Zielpersonen führt die Anklagebehörde in Karlsruhe zwei Vermerke des Bundeskriminalamtes (BKA) vom 3. Mai und 18. Dezember 2017 in ihren Akten.
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Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) soll auf der sogenannten Todesliste von Franco A. gestanden haben.
© Quelle: imago images / photothek
Sauerlandgruppe – Indizien führten zu Haftstrafen
Der eine Vermerk zeigt die Fotos aus der Tiefgarage und eine Zeichnung von der Umgebung der Amadeu Antonio Stiftung. Der andere, bislang unveröffentlichte Vermerk stützt sich auf einen doppelt gefalteten DIN A4-Notizzettel des Offiziers.
Die Richter müssen nun abwägen, ob Franco A. die Vorbereitung einer terroristischen Straftat so weit nachgewiesen werden kann, dass eine Anklage zulässig wird.
Vor neun Jahren wurden vier Mitglieder der islamistischen sogenannten Sauerlandgruppe zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie nach Auffassung des Gerichtes Wasserstoffperoxid für einen Sprengstoffanschlag gehortet hatten. Damals reichten Indizien aus, um die Vorbereitung einer schweren Gewalttat nachzuweisen.
Und bei Franco A.?
Für die Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommt dem Vermerk des BKA vom 3. Mai 2017 eine zentrale Bedeutung zu. Sind die Kürzel auf einem gefalteten DIN A4-Blatt wirre Kritzeleien, lose zusammengeschrieben, ohne die feste Absicht, sie jemals in die Tat umzusetzen? Oder sind sie das, was die Ermittler vermuten: das Drehbuch für einen politischen Mord.
Für diese These spricht, dass alle acht Notizen zueinander in Bezug stehen und ein schlüssiges Gesamtbild ergeben. Neben den möglichen Anschlagzielen und dem Drehbuch für ein Attentat finden sich Aufzeichnungen zu drei französischen Karabiner-Gewehren, eines davon ist nach Ansicht der Fahnder eine Schrotflinte.
Eine weitere Notiz deutet auf eine Veröffentlichung der geplanten Tat im Internet hin. Der Name „Xavier“ wird genannt. Nach Ansicht der BKA-Experten könnte Xavier für den deutschen Musiker Xavier Naidoo stehen, dem immer wieder eine gewisse Nähe zur sogenannten Reichsbürger-Bewegung nachgesagt werde. Reichsbürger bezweifeln die Existenz der Bundesrepublik und berufen sich auf das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937.
Ähnlichkeiten zu einem später geschehenen Anschlag, dem vom März dieses Jahres in der neuseeländischen Stadt Christchurch, drängen sich auf. Ein junger australischer Rechtsextremist tötet während des Freitagsgebets in einer Moschee 51 Menschen. Der Attentäter filmt das Massaker und überträgt es live auf Facebook im Internet – untermalt mit muslimfeindlichen Liedern eines serbischen Nationalisten.
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Christchurch: Ein Polizist steht in der Nähe der Al-Nur-Moschee Wache. Bei einem Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch im März 2019 sind 51 Menschen getötet worden.
© Quelle: dpa
Solche mit Songs unterlegte Internet-Filme von Anschlägen haben sich zu einer zentralen Kommunikationsform in digitalen rechtsextremistischen Foren entwickelt. Die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung rief erst kürzlich zum weltweiten „Meme-Krieg“ auf. Stets sind linke Politiker und Organisationen, Flüchtlinge und Muslime das Ziel dieser „Shitpostings“.
Der Attentäter von Christchurch pflegte enge Verbindungen zum Führer der rechtsextremistischen Identitären Bewegung (IB) in Österreich, Martin Sellner.
Pistole am Flughafen in Wien deponiert
Auch die Wege von Franco A. führen in die Alpenrepublik. Als die Planungen des deutschen Offiziers im Januar 2017 auffliegen, ist er gerade dabei, aus dem Putzschacht einer Behindertentoilette auf dem Wiener Flughafen Schwechat eine dort deponierte Pistole zu holen. Das Magazin ist geladen.
Er habe sie wenige Tage zuvor zufällig im Gebüsch gefunden, als er auf einem Kneipenbummel durch Wien gegen vier Uhr morgens alkoholisiert im Freien habe austreten müssen, gibt er später gegenüber einem Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu Protokoll. Wie glaubwürdig ist diese Aussage?
Unbestritten scheint zu sein, dass Franco A. auf Helfer aus der rechten Szene und aus der Truppe zurückgreifen konnte. Davon ist die Bundesanwaltschaft nach wie vor überzeugt.
Die Notizen auf dem Zettel, der bei Franco A. gefunden wird, stammen nicht allein aus der Feder des Oberleutnants. Sie gehen auch auf den Offizier Maximilian T. zurück. Dieser diente zusammen mit Franco A. in derselben deutsch-französischen Einheit. Beide kennen sich gut, verkehren gemeinsam in rechten Chat-Netzwerken, unter anderem auch mit zwei Bekannten aus Offenbach und Bayreuth, was die geplante Reiseroute für das Berliner Attentat erklären könnte.
T. bestreitet jeden Vorwurf einer möglichen Beteiligung. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wird im August dieses Jahres eingestellt. Er arbeitet zeitweise für den hessischen AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte, einen Reserveoffizier der Bundeswehr, - und hat Zugang zu vertraulichen Akten. Sehr zum Unmut des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das Noltes Mitarbeiter unumwunden für einen Rechtsextremisten hält. Es lägen „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor“, heißt es in einem Vermerk.
Plante Franco A. weitere Anschläge?
Ein mutmaßlicher Komplize sagte der NZZ, Franco A. habe Sicherheitslücken im Asylsystem aufdecken wollen. Er habe gedacht, er bekomme einen Orden für seinen Dienst für die Heimat. Seine Mutter sieht in ihm gar einen „Hauptmann von Köpenick“. Als 17-Jähriger sinniert er in seinem Tagebuch über einen Putschversuch mit ihm an der Spitze. Jahre später schreibt er eine Masterarbeit bei der Bundeswehr, in der er eine angeblich jüdische Verschwörung aufgedeckt haben will. Seiner Karriere als Elite-Soldat schaden diese kruden Theorien nicht.
Die Anwälte von Franco A. verteidigen die Linie, ihr Mandant habe lediglich Defizite im deutschen Asylsystem aufdecken wollen. Unklar bleibt, wie sie damit zwei weitere Einträge auf dem Zettel des Offiziers erklären wollen.
Zwei Tage nach den Fotos in der Berliner Tiefgarage treten im Rahmen des „Würzburger Hafensommers“ zwei deutsch-syrische Musikgruppen in der fränkischen Stadt auf. Für dieses Konzert hat sich der Offizier alle Details notiert; ebenso die Adresse und die Sendezeiten des Stuttgarter Radiosenders „Radio Good Morning Deutschland“, der sich auf ein mehrsprachiges Programm für Flüchtlinge spezialisiert hat. Galten auch Würzburg und Stuttgart als mögliche Anschlagziele?
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, erwartet Antworten. Er gehe davon aus, dass die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vollumfänglich geführt werden. „Dies gilt umso mehr, als zu befürchten steht, dass erhebliche Verquickungen zwischen Rechtsextremisten und Staatsdienern bestehen“, sagt Reinfrank dem RND.
Warum Franco A. und dessen mutmaßliche Komplizen ihre Pläne nicht in die Tat umsetzen, ist unklar. In den Notizen heißt es dazu sinngemäß, die Zeit sei noch nicht reif. Das Doppelleben von Franco A. bleibt unvollendet. Sein dunkelstes Geheimnis auch.
Lesen Sie auch Teil 2 der Reihe: