RKI-Studien: Deshalb erkranken und sterben sozial Benachteiligte häufiger an Covid-19

Armut als Risikofaktor: Laut Studien des RKI leiden Menschen in sozial benachteiligten Regionen mehr unter dem Coronavirus.

Armut als Risikofaktor: Laut Studien des RKI leiden Menschen in sozial benachteiligten Regionen mehr unter dem Coronavirus.

Berlin. „Das Virus eint alle, vor dem Virus sind alle gleich“, sagte der Psychologe Stephan Grünewald aus dem Corona-Expertenrat von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet vor rund einem Jahr – und meinte damit auch, dass jeder den gleichen Verzicht üben müsse. Der Satz wurde zu Beginn der Pandemie zu einem Mantra der Solidarität, des „Wir stecken hier zusammen drin“. Nach 13 Monaten Corona zeigt sich: Der Satz ist nicht gut gealtert.

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Auch in Deutschland spielt der soziale Status eine Rolle dabei, ob man die Pandemie überlebt – und wie hoch das eigene Infektionsrisiko ist. Das zeigen Ergebnisse aus zwei Studien des Robert Koch-Instituts (RKI). Sozialverbände fordern, ärmere Menschen besser vor dem Virus zu schützen.

Arme tragen höheres Covid-19-Sterberisiko

„In Regionen, wo Menschen überproportional an Armut leiden, ist das Risiko, an Corona zu sterben, um 50 bis 70 Prozent höher“, kommentiert Verena Bentele die Studien. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK beruft sich auf eine RKI-Untersuchung über die Corona-Todesfälle in Deutschland während der zweiten Welle im Dezember und Januar: In den sozial benachteiligten Regionen Deutschlands stiegen die Corona-Todeszahlen damals demnach am stärksten.

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Dort war die Corona-Sterblichkeit um 50 bis 70 Prozent höher als in privilegierten Regionen. Die in der Studie erwähnten sozialen Unterschiede orientieren sich am German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD). Der Index basiert auf Daten zu Bildung, Beruf und Einkommen der Deutschen.

Die RKI-Studie zur Sterblichkeit und zu sozialen Unterschieden war eine der ersten ihrer Art aus Deutschland. Untersuchungen aus den USA und Großbritannien zu Covid-Erkrankungen und sozialer Ungleichheit haben schon im vergangenen Jahr gezeigt, dass es dort einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Benachteiligung und schweren Covid-19-Verläufen und -Infektionen gibt. Mittlerweile belegt auch eine weitere Studie des RKI, die im März im „Ärzteblatt“ erschienen ist und sich mit der zweiten Infektionswelle befasst: In besonders benachteiligten Regionen Deutschlands wütete das Virus am heftigsten.

„Das ist eine Sache des Geldes“

Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands (der Paritätische), überrascht das nicht. „Je ärmer die Menschen sind, desto weniger Möglichkeiten haben sie, sich vor dem Virus zu schützen.“ Das fange beim Thema Wohnen an und gehe bei der Arbeit weiter. „Menschen bei der Wach- und Schließgesellschaft oder von einer Reinigungsfirma müssen nicht nur vor Ort sein, sondern fahren meistens auch in der U-Bahn gequetscht zur Arbeit und nicht im eigenen Pkw. Sie tragen ein höheres Risiko, sich anzustecken“, sagt Schneider. „Das ist eine klare Sache des Geldes.“

Vorerkrankungen sind eine weiterer Risikofaktor, den sowohl die Forschenden als auch VdK-Präsidentin Bentele und Schneider betonen. „Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Armut, Covid-Krankheitsverlauf und Vorerkrankung“, sagt Schneider. Ärmere Menschen litten häufiger an Vorerkrankungen, die auch einen Einfluss darauf haben, wie schlimm sie an Covid-19 erkrankten.

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Erst erkranken die Reicheren, dann die Ärmeren

Bemerkenswert an den Ergebnissen der RKI-Studien ist, dass es zu Beginn der Infektionswellen nicht die Menschen in sozial und finanziell schwachen Regionen waren, die am Virus erkrankten. Es waren die Reichen. Bis Mitte April letzten Jahres erkrankten laut RKI viel mehr Menschen aus sozioökonomisch bessergestellten Regionen an Covid-19. Die Forscher vermuten, dass das daran liegt, dass die Ausbreitung anfangs durch Pendler und Reiserückkehrer aus dem Skiurlaub vorangetrieben wurde. Bis August 2020 nahm der Anteil an Corona erkrankter Reicher rapide ab.

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„Die, die reisen konnten, brachten das Virus und die Armen baden es zunehmend aus“, kommentiert Schneider die Studienergebnisse, „zum einen aufgrund der steigenden Infektionen und schwereren Krankheitsverläufe, zum anderen weil sie durch die Pandemie eine viel höhere finanzielle Belastung haben.“

Auch während der zweiten Welle in Deutschland waren die Inzidenzraten in bessergestellten Regionen zunächst am höchsten. Mit Voranschreiten der Welle drehte sich das Infektionsgeschehen, sodass Menschen in sozioökonomisch abgehängten Regionen schließlich am häufigsten betroffen waren.

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Zu Beginn der zweiten Welle Anfang November betrug etwa der Inzidenzwert laut RKI bei ärmeren Menschen im Alter von 60 bis 79 Jahren rund 80. Bis Januar stieg er auf 190. Bei den bessergestellten Senioren im gleichen Alter fiel der Wert in der gleichen Zeit von rund 110 (November) auf rund 100 (Januar), also auf knapp die Hälfte der Inzidenz der Ärmeren.

Auch Forscher raten zu mehr Schutz für sozial Benachteiligte

Benachteiligte Bevölkerungsgruppen „sollten bei der Weiterentwicklung von Infektionsschutzmaßnahmen verstärkt berücksichtigt werden, um die gesundheitliche Chancengleichheit in der Covid-19-Pandemie und darüber hinaus zu fördern“, bilanzieren die RKI-Forscher in ihrer Studie. Der Paritätische und der VdK fordern seit Monaten 100 Euro im Monat extra für Sozialhilfeempfänger für FFP2-Masken und Desinfektionsmittel. Derzeit sind laut Schneider im Hartz-IV-Satz weniger als 5 Euro für Hygieneartikel vorgesehen.

Bentele forderte zudem die Politik auf, Unternehmen zu verpflichten, ihrer Belegschaft Corona-Tests zu ermöglichen, wenn die Belegschaft viel Kontakt hat und wenig Abstand halten kann: „Oft sind das Berufe, in denen nicht viel Geld gezahlt wird, etwa an Supermarktkassen, in der Pflege, in Großküchen, Fabriken und der Lebensmittelverarbeitung.“

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„Es ist skandalös, dass Arme monatelang im Stich gelassen wurden“, sagt Schneider. Die vom Bundesarbeitsminister für Mai 2021 versprochene einmalige Hilfe von 150 Euro für Grundsicherungsempfänger sei zu wenig und käme zu spät. Die zwölfte Kammer des Karlsruher Sozialgerichts hatte die von der Regierung beschlossene Hilfe als „zu gering und verfassungswidrig“ in einem Beschluss bezeichnet.

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Ein Richter hatte zudem in der Begründung des Beschlusses die Forderung der Sozialverbände unterstützt. Das Bundessozialministerium hat laut „Frankfurter Rundschau“ angekündigt, an der Hilfe festhalten zu wollen. „13 Monate nach Beginn der Pandemie bekommen die armen Menschen die ersten Hilfen, das ist unglaublich“, so Schneider.

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