Rita Süssmuth zum Paritätsgesetz: „Das Bundesverfassungsgericht ist gefragt“
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Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hält das Urteil des Brandenburger Verfassungsgerichts zum Paritätsgesetz für nicht nachvollziehbar.
© Quelle: imago images/Rainer Unkel
Berlin. Frau Süssmuth, das Landesverfassungsgericht Brandenburg hat das Paritätsgesetz des Landes für nicht verfassungsgemäß erklärt. Damit ist nach Thüringen im zweiten Bundesland ein Gesetz gekippt worden, mit dem die Parteien dazu verpflichtet wurden, ihre Wahllisten gleichmäßig mit Männern und Frauen zu besetzen. War es das jetzt mit dem Versuch, dies per Gesetz zu regeln?
Nein. Auch dieses Urteil ist nicht nachvollziehbar. Es argumentiert ausschließlich mit dem Gleichstellungsauftrag der Landesverfassung, der nicht auf das Parlament bezogen sei. Es kann nicht sein, dass die Freiheit der Parteien aus Artikel 21 und 38 des Grundgesetzes höherrangig eingestuft wird als der Gleichstellungsauftrag aus Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Hier wird der verbindliche Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes verkannt. Es muss nun grundsätzlich geklärt werden, wie der Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes zu bewerten ist.
Da ist das Bundesverfassungsgericht gefragt. Es muss deutlich machen, welche Spielräume der Gesetzgeber für die Herstellung von Chancengerechtigkeit hat. Dass Frauen und Männer nicht die gleichen Chancen haben, sehen wir auf allen Ebenen – nicht nur, aber eben auch in der Politik.
Warum kann man nicht auf Freiwilligkeit setzen?
Es hat sich gezeigt, dass es nicht ausreicht, auf Freiwilligkeit zu setzen. In bestimmten Parteien hat sich seit 30 Jahren nichts verändert. Der Anteil der Frauen in den Parlamenten ist sogar wieder gesunken – es gibt also Rückschritte statt Fortschritte. Dieser Zustand ist für eine parlamentarische Demokratie nicht akzeptabel. Der grundgesetzliche Auftrag zur Förderung der Gleichberechtigung hat lang anhaltende Auswirkungen auf die Politik.
Die Brandenburger Richter argumentieren auch, durch ein Paritätsgesetz würden Männer diskriminiert.
68 Prozent der Abgeordneten im Brandenburger Landtag sind Männer, im Bundestag sind es 70 Prozent. Wenn man von Diskriminierung sprechen will, dann ist es Diskriminierung von Frauen. Dazu gehört auch, dass der Abbau von Benachteiligung von Frauen Nachteile für Männer zur Folge hat. Diese wurden aber vom Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof bereits im Zusammenhang mit Quotenregelungen für den öffentlichen Dienst als zulässig deklariert. Frauen müssen mehr Einfluss nehmen können, nur so verändert sich etwas. Die höhere Altersarmut von Frauen zum Beispiel liegt auch an einem sehr männlich geprägten Blick auf die Gesellschaft: Männer und Frauen haben noch immer nicht die gleichen Chancen, Erwerbsarbeit und Rentenansprüche aufzubauen.
Sie bemühen sich seit Langem um mehr Gleichberechtigung. Wie frustrierend sind solche Urteile für Sie?
Es ist enttäuschend, es soll beim Alten bleiben. Dabei kann es nicht bleiben, die Empörung der Frauen wächst. Das ist wichtig: Wir brauchen einen breiten Zusammenschluss aller Frauen, damit wir die Realität verändern. Und dazu gehören die rechtlichen Grundlagen, wir geben nicht auf.
Rita Süssmuth hat gemeinsam mit den ehemaligen Verfassungsrichterinnen Christine Hohmann-Dennhardt und Renate Jäger sowie mehreren anderen Juristinnen ein Gutachten zum Thema Paritätsgesetz verfasst, das kommende Woche auf www.verfassungsblog.de veröffentlicht werden soll.