Reisen in Risikogebiete – auch eine Frage der Moral
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Nach der Reise zum Test: Urlauber, die aus Risikogebieten zurückkehren, müssen sich künftig auf Corona testen lassen.
Berlin. Angela Merkel thematisiert ihre ostdeutsche Herkunft nicht oft. Doch als die Kanzlerin sich Mitte März zu Beginn des Shutdowns per Fernsehansprache an die Bevölkerung wandte, nahm sie darauf Bezug: “Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen.”
Tiefer Eingriff in Grundrechte
Tatsächlich waren – und sind – die Reisebeschränkungen wohl die tiefsten Eingriffe in die Freiheitsrechte, die zur Bekämpfung des Virus verhängt wurden. Schutzmasken, Abstandhalten, Hygieneregeln – alles lästig, aber verschmerzbar. Doch die Einschränkung der Bewegungsfreiheit berührt unmittelbar die Grundrechte, nämlich die in Artikel 2 garantierte Freiheit der Person. Nicht reisen zu dürfen, fühlt sich an wie ein Leben in einer Diktatur. Für viele war und ist das schwerer hinzunehmen als etwa die verhängten Einschränkungen im öffentlichen Leben.
In Zeiten von Corona bedeutet Reisen aber nicht nur Erholung und Bildung, sondern vor allem eines: Risiko. Das Risiko, sich selbst mit dem Coronavirus anzustecken und nach der Rückreise zu Hause die Krankheit an andere zu übertragen. Liegt es da nicht nahe, ein Reiseverbot in Risikogebiete zu verhängen, wie es jetzt der Wirtschaftsrat der Union fordert?
Nicht kontrollierbar
Nein. Denn das wäre nicht nur schwer umsetzbar, sondern ganz und gar unverhältnismäßig. Da die Grenzen zumindest in der EU wieder offen sind, finden sich immer Wege, ans Ziel der Reise zu gelangen, ohne dass ein deutscher Beamter davon etwas erfährt. Und unverhältnismäßig wäre das Verbot, weil es mit der ab Samstag geltenden Testverpflichtung eine wesentlich mildere Form eines Eingriffs in die Freiheitsrechte gibt.
Eine Verbotsverfügung, weil sich ein Reisender infizieren und anschließend jemanden anstecken könnte, dürfte ohnehin rechtlich kaum haltbar sein. Bei derartigen Verboten muss es nach geltender Rechtsprechung um eine sehr klare individuelle Gefährdung durch den Reisenden gehen, etwa bei Hooligans, die zu Fußballspielen ins Ausland fahren oder bei gewaltbereiten Islamisten, die in den Krieg ziehen wollen.
Die Mehrheit der Menschen, die von einem Verbot betroffen wären, wären im Übrigen sicherlich nicht Weltenbummler, die unbedingt mitten in der Corona-Pandemie zum Bergsteigen nach Nepal wollen. Ein Reiseverbot würde wohl eher türkische Familien treffen, die ihre Angehörigen in Anatolien besuchen wollen.
Gleichwohl muss sich jeder selbst die Frage stellen, ob er in der aktuellen Lage in ein Risikogebiet fahren muss. Dabei geht es nicht nur um die Kosten für den Test von rund 50 Euro, die derzeit von allen Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden müssen. Es gibt auch immer ein Restrisiko, dass eine Infektion nicht erkannt wird, weil ein Test stets nur eine Momentaufnahme ist.
Im Vordergrund sollte aber folgende Überlegung stehen: Wer an Covid-19 erkrankt, braucht im Zweifel sehr schnell umfassende medizinische Hilfe. In Deutschland gibt es (noch) ausreichende Kapazitäten an Intensivbetten und Beatmungsplätzen. Das sieht in vielen Ländern der Welt – zumal in Risikogebieten mit hohen Infektionszahlen – ganz anders aus. Will man es wirklich darauf anlegen, die Behandlungssituation im Reiseland noch zu verschärfen?
Spätestens hierbei sollten einem moralische Bedenken kommen. Nicht jede Freiheit muss ausgenutzt werden. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte erst am Donnerstag seine Mahnung erneuert, die Pandemie ließe sich nur mit Besonnenheit und gegenseitiger Rücksichtnahme in den Griff bekommen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit.
RND