Schwarz-Weiß-Rot vor dem Reichstag: Das bedeutet die Reichsflagge

Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag in Berlin. Ein Teilnehmer hält eine Reichsflagge in der Hand.

Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen vor dem Reichstag in Berlin. Ein Teilnehmer hält eine Reichsflagge in der Hand.

Berlin. “Abscheulich und unerträglich”, mit diesen Worten hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier jene Bilder vom Wochenende kritisiert, auf denen rechtsextreme Demonstranten die Reichsflagge vor dem Reichstag schwenken. Politiker der meisten Parteien zeigten sich empört.

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Dabei ist die schwarz-weiß-rote Flagge selbst gar nicht verboten – und das ist offenbar auch der Grund dafür, warum sie sich in rechtsextremen Kreisen immer größerer Beliebtheit erfreut.

Bundespräsident Steinmeier zum Reichstagsvorfall
31.08.2020, Berlin: Bundespr��sident Frank-Walter Steinmeier trifft Polizistinnen und Polizisten, die am Samstag, 29.08.2020 im Rahmen von Anti-Corona-Demonstrationen am Reichstag  eingesetzt waren, zum Gespr��ch auf Schloss Bellevue. Am Reichstag hatten zun��chst nur drei��Polizisten mit M��he die andr��ngende Menge vom Eingang ins Plenargeb��ude ferngehalten. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das Vordringen von Demonstranten auf die Treppe des Reichstagsgebäudes in Berlin erneut scharf verurteilt.

“Neonazis würden natürlich gern die Hakenkreuzfahne schwenken, aber die ist nun einmal verboten, und das ist mit erheblichen Sanktionen belegt”, erklärt Michael Dreyer, Politikprofessor und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

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In die Reichsflagge als solche würden die meisten, die sie derzeit tragen, nicht so viel hineininterpretieren, glaubt der Forscher. Dabei böte sie dafür durchaus Anlass, denn auch die schwarz-weiß-rote Fahne steht für vieles, was den Werten der heutigen Bundesrepublik widerspricht.

Woher kommt die Reichsflagge?

In den 1860er-Jahren gab es die ersten Überlegungen, die Farben Preußens Schwarz-Weiß mit den Farben Weiß-Rot der Hanse zu kombinieren. Ein nationalistischer oder gar radikaler Hintergrund existierte folglich zunächst nicht. Die Kombination wurde die Flagge des Norddeutschen Bundes und später die Flagge des Deutschen Kaiserreiches. Damals begannen republikanisch Gesinnte die Farbzusammensetzung zu kritisieren und plädierten für die Farben Schwarz, Rot und Gold, weil diese nicht für einen Ausschluss des deutschsprachigen Österreichs aus dem deutschen Nationalstaat standen. Die Reichsflagge etablierte sich aber als patriotisches und nationalistisches Symbol – vor allem während des Ersten Weltkrieges.

Wofür stehen die Farben Schwarz-Weiß-Rot?

Seither ist die Abgrenzung in Deutschland eindeutig: Schwarz-Weiß-Rot steht für Obrigkeitshörigkeit und Nationalismus, Schwarz-Rot-Gold für Demokratie und Liberalismus.

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Folgerichtig wählte die 1919 entstandene Weimarer Republik die Nationalflagge Schwarz-Rot-Gold. Militärische und nationalistische Kräfte waren aber stark genug, um bei der Verfassunggebung durchzusetzen, dass die deutschen Handels- und Marineschiffe weiter unter der alten Reichsflagge fahren sollten – wenn auch mit einer kleinen schwarz-rot-goldenen Flagge in der oberen linken Ecke. Antidemokratische und rechtsradikale Bewegungen begannen schon damals, die Reichsflagge weiterhin als Symbol zu nutzen und so ihre politische Gesinnung auszudrücken.

Im Jahr 1926 führte der sogenannte “Flaggenstreit” zur Absetzung des Reichskanzlers Hans Luther und seines Kabinetts, weil die Regierung einen Erlass durchbringen wollte, neben der schwarz-rot-goldenen Fahne auch immer eine schwarz-weiß-rote zu platzieren. Das Vorhaben scheiterte, die Regierung stürzte.

Die Reichsflagge im Nationalsozialismus

Die Idee zweier Flaggen übernahm der Nationalsozialismus. Die Reichsflagge und die Hakenkreuzfahne wurden vorerst nebeneinander gehisst. Nachdem Adolf Hitler 1934 die politischen Spitzenämter Reichskanzler und Reichspräsident vereint hatte, legte er sich auf die Hakenkreuzfahne fest. Die Reichsflagge war nicht mehr Nationalflagge Deutschlands. Nach dem Ende des NS-Regimes gab es keine Diskussionen mehr über die Nationalflagge. Schwarz-Rot-Gold wurde die deutsche Flagge, wie wir sie heute kennen.

Wann ist die Reichsflagge verboten?

Obwohl die Reichsflagge zu Beginn des NS-Regimes gehisst wurde, ist ihre oder die Verwendung einer Reichskriegsflagge in Deutschland nicht verboten. Erst, wenn ein Hakenkreuz oder sonstiges klar als solches erkennbares nationalsozialistisches Symbol die Flaggen ziert, ist die Verwendung untersagt. Allerdings kann die Fahne sichergestellt werden, wenn sie “Kristallisationspunkt einer konkret drohenden Gefahr ist und diese sich dadurch beheben lässt”, sagt die Broschüre “Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen”. Vor allem der letzte Satz der Regelung zeigt: Eine Sicherstellung ist nur in sehr konkreten Einzelfällen legitim.

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Verbot der Reichsflagge würde Problem nicht lösen

Dass alle, die nun hinter dieser Flagge herlaufen, deren Geschichte und Bedeutung kennen, bezweifelt Experte Dreyer. “Die vermeintlich Wissenden sind die ideologischen Rädelsführer, die anderen geben ihnen die Masse, so aufzutreten und die Treppen des Reichstages zu stürmen”, sagt er. Besser mache das die Sache allerdings nicht. “Ein Führer ohne Geführte ist uninteressant, aber eine Herde von Schlafschafen, die sich nur führen lassen, wird mit ihm gefährlich”, warnt der Politikprofessor.

Und könnte man das Problem nicht einfach lösen, indem man auch das Zeigen der Reichsflagge verbietet? Da winkt Dreyer ab. “Es ist ja nicht so, als wäre die deutsche Geschichte arm an autokratischen Flaggen”, sagt er. “Würde man die Reichsflagge ebenfalls verbieten, würde es Minuten dauern, eine neue zu finden.”

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