Rücktritt oder nicht? Draghi macht es spannend
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Italiens Ministerpräsident Mario Draghi: Am Mittwoch wird er bekannt geben, ob er bei seinem Rücktrittsentscheid bleiben wird.
© Quelle: IMAGO/ZUMA Wire
Mario Draghi ist am Dienstagmorgen zum ersten Mal seit dem vergangenen Donnerstag, als er seinen Ministerinnen und Ministern seinen Rücktritt ankündigte, in den Palazzo Chigi, den Regierungssitz in Rom, zurückgekehrt. Danach hat er Staatspräsident Sergio Mattarella einen kurzen Besuch abgestattet.
In seinem Büro im Palazzo Chigi, berichten die italienischen Medien, gibt er seiner Erklärung, die er am Mittwoch im Parlament abgeben wird, den letzten Schliff. Über den Inhalt des mit Hochspannung erwarteten Diskurses sickerte bisher keine Silbe durch: Draghi bestätigt in diesen Stunden seinen Ruf als undurchschaubare Sphinx.
Rom hält den Atem an – und mit der italienischen Hauptstadt auch Brüssel und die europäischen Partner. Je nach Entscheid Draghis drohen dem Land Neuwahlen im Herbst und ein Rückfall in die politische Instabilität.
Niemand kann Draghi zum Weitermachen zwingen
Draghi hatte seinen Rücktritt erklärt, nachdem eine wichtige Partei seiner Regierungskoalition, die Fünf-Sterne-Protestbewegung, die Vertrauensabstimmung über ein 23 Milliarden Euro schweres Antikrisenpaket boykottiert hatte. Draghi hatte die Abstimmung trotzdem klar gewonnen, und deswegen wies Staatspräsident Mattarella den Rücktritt des Premiers in der Folge einstweilen zurück und wies ihn an, sich im Parlament zu erklären: Dieses sei der richtige Ort, um die Krise zu formalisieren.
Grundsätzlich kann Draghi am Mittwoch bei seinem Rücktritt bleiben, auch wenn seine Regierung im Parlament weiterhin das Vertrauen der Mehrheit der Parteien hat: Niemand kann den italienischen Ministerpräsidenten zwingen, gegen seinen Willen im Amt zu bleiben, auch der Staatspräsident nicht.
Präsident Mattarella lehnt Draghis Rücktrittsgesuch ab
Fachleute vermuten, dass Mattarella versuchen könnte, Draghi zur Bildung einer neuen Regierung zu bewegen.
© Quelle: Reuters
Die italienischen Zeitungen füllen ihre Seiten seit Donnerstag mit Spekulationen, ob und unter welchen Bedingungen Draghi möglicherweise doch noch weitermachen würde. Doch letztlich lässt sich keine Prognose stellen.
Der Ministerpräsident wird angefleht – kann aber auch Bedingungen stellen
Die Ministerin für regionale Angelegenheiten, Mariastella Gelmini, brachte die Situation so auf den Punkt: „Würde Draghi seinen Entscheid allein auf das Verhalten der politischen Parteien abstützen, dann würde er bei seinem Rücktrittsentscheid bleiben“, erklärte die Politikerin von der Berlusconi-Partei Forza Italia. Aber vielleicht lasse er sich ja von der Welle der Sympathie und Sorge aus dem In- und Ausland in letzter Minute noch umstimmen.
„Er könnte dann zum Beispiel mit einem Fünf-Punkte-Programm, das die wichtigsten Projekte und Notfälle abdeckt, weiter regieren“, mutmaßt Gelmini. Im Parlament würde sich dafür jedenfalls eine große Mehrheit finden.
Bloß: Draghi wird sich nicht mit einer numerischen Mehrheit zufriedengeben – in diesem Punkt sind sich alle Beobachterinnen und Beobachter einig. Vielmehr will er eine politische Mehrheit für seine Projekte und erwartet von den Parteien eine klare Verpflichtung auf ein Programm, mit dem der Mehrfachkrise, mit der Italien konfrontiert ist – Inflation, Energieengpass, drohende Rezession, Ukraine-Krieg, Klimawandel und Dürre, Rückkehr der Pandemie –, begegnet werden kann.
Loyalität und Verantwortung sucht man bei den Parteien vergeblich
Von der von Draghi verlangten Einigkeit unter den bisherigen Koalitionspartnern kann aber keine Rede sein: Die Parteien brachten es gestern sogar fertig, sich darüber in die Haare zu geraten, in welcher Parlamentskammer – Senat oder Abgeordnetenhaus – Draghi am Mittwoch zuerst auftreten soll.
Draghi sieht bei den Parteien und ihren Führern weder Einsicht, noch Loyalität, noch den Willen, das Wohl des Landes über ihre kurzfristigen Parteiinteressen und persönlichen Ambitionen zu stellen. Das betrifft insbesondere Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte, der die Regierungskrise losgetreten hat und von seinen Ultimaten und Bedingungen weiterhin nicht ablässt, sondern vielmehr den Ton noch täglich verschärft.
Aber es gilt auch für Lega-Chef Matteo Salvini, der seit Donnerstag auf Neuwahlen im Herbst – und damit auf ein Ende der Regierung Draghi – hinarbeitet und dabei von Silvio Berlusconi mehr oder weniger offen unterstützt wird.
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