Recep Tayyip Erdogan, der beleidigte Präsident

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

Athen. Genco Erkal ist kein Leisetreter. Seit 60 Jahren steht er auf der Bühne, vor allem in politischen Stücken. „Ich kämpfe gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Fanatismus, im Theater und in den sozialen Medien“, sagt der Schauspieler. Das bringt Erkal jetzt in Konflikt mit der Justiz. Die Staatsanwaltschaft Istanbul fordert vier Jahre und acht Monate Haft für den 83-Jährigen – wegen „Präsidenten­beleidigung”.

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Es geht um drei Posts aus den Jahren 2016 und 2017. In einem äußert Erkal Zweifel an der Echtheit des Universitäts­diploms von Staatschef Erdogan – eine alte Debatte in der Türkei. Politisch brisant ist sie, weil Erdogan ohne ein abgeschlossenes Hoch­schul­studium gar nicht hätte Präsident werden können.

In den anderen Posts mokiert sich Erkal über das Präsidialsystem, mit dem sich Erdogan eine nahezu unbeschränkte Macht­fülle verschaffte, und die ökologischen Folgen der Bauwut des Staatschefs.

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Was in demokratischen Ländern durch die Meinungsfreiheit gedeckt wäre, ist in der Türkei eine Straftat. Artikel 299 des Strafgesetzbuches sieht für „Beleidigung des Staatspräsidenten“ Haftstrafen zwischen einem und vier Jahren vor. Das kann sich läppern. 2017 wurde ein Angeklagter wegen sieben Erdogan-kritischer Posts zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Tausende Verurteilungen pro Jahr

Kein Präsident in der Geschichte der Türkei ist so schnell beleidigt wie Erdogan. In seinem ersten Amtsjahr als Staats­ober­haupt wurden 40 Personen wegen Präsidenten­beleidigung verurteilt. 2015 waren es bereits 238, im Jahr darauf 884. 2017 gab es 2099 Verurteilungen, und 2019 waren es 3831.

Italiens Ministerpräsident Draghi bezeichnet Erdogan als „Diktator“
 The Italian premier Mario Draghi during a press conference. Rome Italy, April 8th 2021 Pool Augusto Casasoli/Insidefoto SamanthaxZucchi

Die Äußerungen von Italiens Regierungschef Mario Draghi lösten in Ankara eine scharfe Reaktion aus.

Seit Erdogans Amtsantritt leitete die Justiz rund 174.000 Ermittlungsverfahren wegen „Präsidenten­beleidigung” ein. Davon führten etwa 10.000 zu einer Verurteilung. Zum Vergleich: In der siebenjährigen Amtszeit von Erdogans Vorgänger Abdullah Gül gab es nur 233 Verurteilungen. Viele der Verfahren gehen auf Anzeigen von Erdogans Anwälten zurück.

Der Oppositions­abgeordnete Sezgin Tanrikulu hat allein im vergangenen Jahr 45.000 Ermittlungsverfahren wegen „Präsidenten­beleidigung” gezählt. Gegen 9773 Personen wurde Anklage erhoben. Darunter waren 84 Kinder im Alter von zwölf bis 15 Jahren und 206 im Alter von 16 bis 18 Jahren.

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Wer einmal angeklagt ist, hat nur geringe Chancen auf einen Freispruch. Das zeigen die Zahlen, die der Oppositions­abgeordnete Tanrikulu zusammengetragen hat. 86 Prozent der Verfahren nach Artikel 299 enden mit einem Schuldspruch.

Es kann auch Urlauber treffen. Im November 2020 wurde der Wuppertaler Arzt Kristian B. am Flughafen von Antalya festgenommen, weil er sich in einem Wortwechsel beleidigend über Staatschef Erdogan geäußert haben sollte. Der Deutsche verbrachte einen Monat in Arrest, bevor er endlich ausreisen durfte.

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