Querdenken nach Ballweg-Rückzug: Radikalisiert sich die Corona-Protestszene weiter?
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Michael Ballweg, Gründer der Initiative Querdenken-711, bekommt Kritik für die angekündigte Demo-Winterpause.
© Quelle: imago images/Arnulf Hettrich
Berlin/Stuttgart. Nach der Absage an Großdemonstrationen im Winter bekommt Querdenken-Initiator Michael Ballweg Gegenwind aus der Bewegung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Der Stuttgarter Unternehmer hatte in einer am Heiligabend im Netz veröffentlichten Videobotschaft darum gebeten, „das Verbot der Demonstrationen in Berlin zu akzeptieren und am 30.12., am 31.12. und am 1.1. nicht nach Berlin zu fahren“. Ballweg kündigte in der Videobotschaft zudem an, zunächst keine großen Querdenken-Demonstrationen mehr anzumelden.
Zugleich rief er dazu auf, dass sich eine Organisation finde, die „in naher Zukunft“ eine Großdemonstration anmelde. Er freue sich zudem über alle, die selbst aktiv seien und die kleinere Versammlungen abhielten. Bei den radikaleren Teilen der Corona-Protestszene kommt Ballwegs Ankündigung nicht gut an. „Meine Güte, hat er jetzt kapituliert?“, fragt etwa der baden-württembergische Landtagsabgeordnete und ehemalige AfD-Politiker Heinrich Fiechtner in einem Video in seinem Telegram-Kanal. Er ruft dazu auf, Demonstrationen nicht mehr anzumelden, sondern einfach spontan zu demonstrieren.
Verfassungsschutz beobachtet Querdenken-Bewegung
Der Protest gegen die Corona-Auflagen treibt viele Menschen auf die Straße – darunter mischen sich auch Extremisten.
© Quelle: dpa
In einer Telegram-Nachricht, die auch der Hallenser Rechtsextremist Sven Liebich verbreitet, werden Ballweg und die von ihm organisierten Demonstrationen als „False Flag“, also als Geheimdienstinszenierung unter falscher Flagge bezeichnet. In einer von Attila Hildmann weiterverbreiteten Nachricht heißt es: „Das ganze Ding war von Anfang an eine Gelddruckmaschine für die Köpfe der Führung von Querdenken und kontrollierte Opposition.“
Einige Verschwörungsideologen wie Hildmann hatten Ballweg schon in den vergangenen Monaten kritisiert und Erzählungen über den Stuttgarter gesponnen – etwa, dass er von mysteriösen Freimaurerlogen gesteuert würde.
Ohne Ballwegs Finanzkraft keine Großdemos
Doch bei aller Kritik, allen wirren Erzählungen und allem Misstrauen: Die Großdemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen – etwa in Berlin am 1. und 29. August – wären ohne Ballwegs Organisation und Finanzkraft nicht möglich gewesen.
Geld von Unterstützern aus der gesamten Bundesrepublik floss – nicht als Spenden, sondern als private Schenkungen – zentral auf ein Volksbank-Konto, das auf Ballwegs Namen läuft.
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Die regionalen Querdenker-Gruppen wurden finanziell kurz gehalten. Ein besonders prägnantes Beispiel ist der Verkauf von Querdenken-Shirts, Kapuzenpullovern und anderen Protestklamotten. Die Gruppen vor Ort wurden dazu angehalten, auf jeden Fall mit dem Anbieter Merch You aus Nordrhein-Westfalen zu kooperieren, der einen Teil des Gewinns als Provision an die Bewegung zurückgebe. An „die Bewegung“ – das hieß konkret: an die Querdenken-Zentrale und Ballweg.
Gegenüber „netzpolitik.org“ sagt etwa Malin Joy Singh, die für die Gruppe in Frankfurt zuständig ist: „Wir bekommen davon nichts. Das Geld geht nach Stuttgart.“
In den Telegram-Gruppen der Querdenker gab es nach dem Rückzug auch Kritik an Ballwegs Finanzgebaren. „Hauptsache wir sind uns mittlerweile einig, dass Michael Ballweg sich einfach nur bereichert hat?“, schreibt eine Nutzerin oder ein Nutzer. Es gab aber auch Unterstützung von treuen Anhängerinnen und Anhängern. „Der größte Held von allen ist für mich Michael Ballweg“, schreibt der Leipziger Querdenker-Anwalt Ralf Ludwig. „Ohne dich, Michael, wäre Deutschland ein ganzes Stück dunkler.“
„Querdenken-30″ als Berliner Ableger könnte ohne finanzielle Unterstützung aus Stuttgart höchstwahrscheinlich weder Bühne noch Technik für eine Großdemonstration bezahlen. „Michael Ballweg und viele unserer anderen starken Kooperationspartner haben uns zu einer Winterpause bezüglich Großdemos geraten“, schreiben nun die Berliner Organisatoren auf Telegram.
Nürnberg-Demo am 3. Januar noch nicht abgesagt
Sie erkennen zudem „keine realistische Handhabe“, um gegen die Verbote der Demonstrationen am 30. und 31. Dezember vorzugehen. Noch vor Weihnachten aber bereitete sich Querdenken-Anwalt Ralf Ludwig darauf vor, ähnlich wie im August gegen das Verbot der Versammlung zu klagen. Am 29. August hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die zunächst verbotene Großdemo wieder erlaubt.
In seiner „Weihnachtsbotschaft“ ruft Ballweg alle anderen Querdenken-Gruppen auf, über den Winter auf Großdemonstrationen zu verzichten. Der Nürnberger Ableger machte über die Weihnachtstage aber weiter Werbung für eine Demonstration am 3. Januar, bei der auch Ballweg als Redner vorgesehen ist. Nach RND-Informationen steht aber auch diese Kundgebung vor der Absage.
Wie radikal wird die Bewegung?
Einzelne Nutzer kündigen in Telegram-Gruppen der Szene unterdessen an, trotz der Verbote und Ballwegs Absage am 30. und 31. Dezember nach Berlin zu kommen. Kleine, unangemeldete Aktionen sind ohnehin bereits in Planung. Droht der Hauptstadt mitten im Jahresendlockdown erneut eine unübersichtliche Versammlungslage?
Die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“ rechnete bereits vor Ballwegs erklärtem Rückzieher mit einer schwächeren Mobilisierung als beispielsweise im November, als Tausende gegen das neue Infektionsschutzgesetz demonstrierten und es zu Ausschreitungen und Wasserwerfereinsätzen der Polizei kam. Es fehle die vermeintliche Dringlichkeit, die am 18. November durch die zeitgleiche Gesetzesverabschiedung im Deutschen Bundestag gegeben war.
Doch auch von einer kleineren Zahl an Demonstranten könnte der Einschätzung der „Mobilen Beratung“ zufolge eine Gefahr ausgehen: „Unabhängig von der Größe der zu erwartenden Menschenmenge, die auch bei bestehendem Verbot im Regierungsviertel in und um den Tiergarten zusammenkommen wird, besteht die allgemeine Gefahr gewalttätiger Übergriffe auf Personen, die als Gegner verstanden werden” – darunter fielen neben Polizei und Presse auch alle, die eine Mund-Nasen-Bedeckung trügen.