Neue Mythen im Qanon-Kosmos: Verschwörungskult als Kunstprojekt

Die Messenger-App Telegram ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. Ein Berliner Künstler hat versucht, seinen eigenen Verschwörungskult zu kreieren und dabei antisemitische Propaganda an unzählige Telegram-Nutzerinnen und Nutzer verbreitet.

Die Messenger-App Telegram ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. Ein Berliner Künstler hat versucht, seinen eigenen Verschwörungskult zu kreieren und dabei antisemitische Propaganda an unzählige Telegram-Nutzerinnen und Nutzer verbreitet.

Berlin. Mehr als drei Jahre dauerte der Aufstieg der Qanon-Verschwörungserzählung, die in Donald Trump einen Kämpfer gegen eine finstere Weltverschwörung sieht. Nach der Abwahl Trumps als US-Präsident stürzte die Verschwörungserzählung in eine Krise.

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Ein Netzwerk aus Kanälen in der Messenger-App Telegram versuchte in den vergangenen Monaten mit mäßigem Erfolg, einen neuen Verschwörungskult als Qanon-Nachfolger zu etablieren: das „Sabmyk-Network“. Nun allerdings geschah Erstaunliches: Der Erfinder dieses neuen Netzwerks meldete sich zu Wort – und erklärte, alles sei nur eine Kunstaktion gewesen.

Bereits im Februar veröffentlichte die britische Nichtregierungsorganisation Hope not Hate einen Bericht, demzufolge der Berliner Künstler Sebastian Bieniek hinter dem Netzwerk auf Telegram stecke. „Dieses Netzwerk hat seine Kanäle getarnt, um Qanon-Anhänger und andere anzusprechen, scheint aber in Wirklichkeit für ein völlig neues quasireligiöses Narrativ zu missionieren“, schrieb die Organisation. Mehr als 100 Kanäle mit insgesamt fast 900.000 Abonnenten machte sie als Teil dieses Netzwerks aus.

Konfuse Geschichten und bekannte Verschwörungserzählungen

In regelmäßigen Posts entwickelte „Sabmyk“ eine absurd anmutende Erzählung über einen angeblichen Erlöser, eine in Deutschland lebende persische Prinzessin und ein mysteriöses mächtiges Schwert. Auch der Milliardär und Philanthrop George Soros kommt darin vor. Soros steht im Mittelpunkt diverser antisemitischer Verschwörungserzählungen der vergangenen Jahre.

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Seine eigene mythisch-spirituelle Erzählung dürfte wohl zu konfus gewesen sein, um damit eine große Gefolgschaft aufzubauen. Doch Bieniek verbreitete in seinen Telegram-Kanälen auch eine Vielzahl bereits bestehender Verschwörungserzählungen und versuchte so, an die Qanon-Szene anzudocken.

Nachdem der britische „Guardian“ und der österreichische „Standard“ die Recherchen von Hope not Hate aufgriffen, stritt Sebastian Bieniek zunächst ab, hinter dem „Sabmyk“-Netzwerk zu stecken. Am Karsamstag veröffentlichte er dann jedoch eine 76-seitige Erklärung – eine Mischung aus Bekennerschreiben und Autobiografie voller Rechtschreibfehler.

Alles sei bloß ein Experiment gewesen, schreibt Bieniek. Er glaube, „in mehrerlei Hinsicht etwas Großes geleistet“ zu haben. Offenbar ging es dem Künstler bei seinem „Experiment“ vor allem um sich selbst. „Ich glaube, dass das jeder will: ‚seinen Fußabdruck auf dieser Welt hinterlassen‘“, schreibt er.

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Kein harmloser Streich, sondern echter Antisemitismus

Gregory Davis von der Organisation Hope not Hate hält Bienieks Aktion jedoch nicht für einen „harmlosen Streich“. „Es ist wichtig zu verstehen, dass die ‚Sabmyk‘-Mythologie nur ein kleiner Teil der Veröffentlichungen von Bienieks Kanälen war“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die überwiegende Mehrheit der Beiträge unterstützte explizit bestehende Verschwörungstheorien wie Qanon und Anti-Impfstoff-Falschinformationen.“

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In einem Telegram-Beitrag sei etwa behauptet worden, Juden würden Corona-Impfstoffe ablehnen, weil die tödlicher seien als das Virus selbst. In einem weiteren, 250.000-mal angesehenen Beitrag habe Bieniek geschrieben, der jüdische Baron Rothschild habe Hitler bezahlt, damit er die Juden verfolgt und zur Gründung des Staates Israel drängt.

Solche Verschwörungserzählungen können ganz reale Folgen haben. Impfmythen verringern die Wirksamkeit der Pandemiebekämpfung und gefährden dadurch die öffentliche Gesundheit. Durch antisemitische Verschwörungserzählungen waren in den vergangenen Jahren mehrere tödliche Terroranschläge wie in Halle motiviert.

„Dass Bieniek diese Behauptungen vielleicht selbst gar nicht geglaubt hat, ändert nichts an dem Schaden, den er durch ihre Verbreitung verursacht hat“, sagt Gregory Davis. Im Gegenteil sei es sogar noch verwerflicher, „dass er dies nur tat, um seine eigene Karriere zu fördern“.

Dass ihm die Gefahren von Verschwörungserzählungen wie Qanon offenbar nicht bewusst sind, zeigt Bieniek auch in seinem 76-seitigen Schreiben. Den vermeintlichen Propheten der Qanon-Szene vergleicht er mit dem Graffiti-Künstler Banksy. In den USA stufte das FBI Qanon bereits 2019 als mögliches Terrorrisiko ein, nachdem mehrere Morde und andere Straftaten durch Anhänger der Verschwörungserzählung verübt wurden.

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