„Ich will jetzt Eishockey spielen“: Wie Putin Macron vier Tage vor Kriegsbeginn abblitzen ließ
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2019 in Paris noch persönlich nebeneinander: Emmanuel Macron (links), Präsident von Frankreich, und Wladimir Putin, Präsident von Russland, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Pariser Schloss Elysée.
© Quelle: Ludovic Marin/AFP Pool/AP/dpa
Die Szene spielt am 20. Februar dieses Jahres – vier Tage vor dem Überfall der Ukraine durch russische Truppen. Präsident Wladimir Putin will eigentlich Eishockey spielen und befindet sich in einer Sporthalle, als er mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron telefoniert. Dieser reagiert empört auf die Behauptung Putins, die russischen Separatisten in der Ukraine führten einen „konstruktiven Dialog“.
„Ich weiß nicht, wo dein Jurist studiert hat und welcher Jurist behaupten kann, dass die Gesetzestexte in einem souveränen Land von separatistischen Gruppen vorgeschlagen werden und nicht von einer demokratisch gewählten Regierung“, sagt Macron aufgebracht. „Das ist keine demokratisch gewählte Regierung“, erwidert Putin mit klarer, kalter Stimme. „Sie sind durch einen blutigen Putsch an die Macht gelangt, manche Menschen wurden bei lebendigem Leib verbrannt.“ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei einer der Verantwortlichen für dieses „Blutbad“. Dieser strebe übrigens nach der Atombombe. Als Macron ein baldiges Treffen mit US-Präsident Joe Biden in Genf vorschlägt, stimmt Putin „im Prinzip“ zu und bricht dann nach neun Minuten das Gespräch ab: Er müsse jetzt zum Eishockey.
Telefonat ohne Putins Wissen aufgezeichnet
Was der russische Präsident nicht wusste: Nicht nur Macrons diplomatischer Berater und drei seiner Mitarbeiterinnen waren anwesend, sondern auch der Journalist Guy Lagache, der in dieser Zeit einen Dokumentarfilm drehte und Macron mehrere Monate lang begleitete. Eigentlich sollte es darin um die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft gehen, die Frankreich noch bis Ende Juni innehat. Doch angesichts der Ereignisse heißt der Film „Ein Präsident, Europa und der Krieg“ und wird am Donnerstag im öffentlichen Fernsehsender France 2 ausgestrahlt. Er wirft ein Schlaglicht auf Macrons Rolle in diesem Krieg und seine Bemühungen, diesen bis zuletzt durch Dialog abzuwenden.
Auf Lagaches Frage, warum er weiterhin mit einem Mann rede, der lüge, sagte Macron, Putin sei zwar „in seiner eigenen Logik“, aber vielleicht könne man doch noch etwas bewegen. Hier bestehe ein Unterschied zur Einschätzung der Lage durch den britischen Premierminister Boris Johnson, sagte der Dokumentarfilmer in einem Interview. Zwei Tage vor Kriegsbeginn habe Johnson zu Macron gesagt, Putin werde immer aggressiver: „Ich finde, wir wirken ein wenig schwach. Er wird bekommen, was er will, er wird nicht aufhören.“
Dass die Details eines vertraulichen Gesprächs zwischen Staatschefs veröffentlicht werden, gilt als sehr selten und unüblich. Es zeigt zum einen, dass der französische Élysée-Palast das Engagement und die diplomatischen Bemühungen Macrons um Frieden herausstellen will, der am 7. Februar noch zu stundenlangen Gesprächen in Moskau war. Zum anderen sind die Beziehungen offensichtlich so zerrüttet, dass man diesen Vertrauensbruch in Kauf nimmt, wohl auch um Putins Zynismus zu offenbaren, der an Sport denkt, während er einen brutalen Krieg vorbereitet. Noch Anfang Juni warnte Macron in einem Interview davor, Putin zu „demütigen“. Doch die Vermittlerrolle, die der französische Staatschef einnehmen wollte, hat sich als äußerst begrenzt herausgestellt.
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