Kommentar zum Bataclan-Urteil

Wie vor Gericht die Menschlichkeit siegte

Der Horror und die Angst der Überlebenden der Pariser Anschläge standen wochenlang im Zentrum des Prozesses um die Terrornacht vom November 2015 (Archivbild).

Der Horror und die Angst der Überlebenden der Pariser Anschläge standen wochenlang im Zentrum des Prozesses um die Terrornacht vom November 2015 (Archivbild).

Paris. Die Attentate des 13. November 2015 tauchten Paris in tiefes Dunkel. Es war eine Nacht des unbeschreiblichen Horrors, für die unmittelbaren Opfer und ihre Angehörigen wie auch für das ganze Land. Frankreich wurde sich seiner Verletzbarkeit bewusst und schwer in seinem Selbstverständnis getroffen. Die Terroristen zielten auf die Pariser Lebens- und Ausgehfreude – auf Menschen, die Musik liebten, feierten, ein Fußballspiel besuchten. Auf „Ungläubige“, wie die Täter ihre blindwütige Mordlust rechtfertigten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es ist der Verdienst des nun zu Ende gegangenen Terrorprozesses, Lichtfunken in dieses Dunkel gebracht zu haben. Nicht nur hinsichtlich der Aufklärung der langwierigen Planung, Vorbereitung und Ausführung der Gräueltaten durch eine Terrorzelle, die den belgischen und französischen Behörden durchs Netz gegangen war. Das Licht strahlte auch von den Nebenklägerinnen und -klägern aus.

Ein Lichtfunken im Dunkeln: Für die Trauerbewältigung nach den Paris-Attentaten ist der Prozess sehr wichtig gewesen.

Ein Lichtfunken im Dunkeln: Für die Trauerbewältigung nach den Paris-Attentaten ist der Prozess sehr wichtig gewesen.

Berührende Erzählungen der Nebenkläger

Sie erhielten Raum und Zeit, um über die Verstorbenen zu sprechen, über ihre eigenen körperlichen oder seelischen Verletzungen und die Schwierigkeit, wieder in ein unbeschwertes Leben zurück zu finden. Ein halbwüchsiges Mädchen beklagte den frühen Tod ihres Vaters, eine Mutter den Mord an ihren geliebten Zwillingstöchtern.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ein Großvater erzählte von seinem damals fünfjährigen Enkel, der sich stundenlang unter dem Leichnam der eigenen Mutter versteckt hatte. Ärzte mussten „Kriegsverletzungen“ behandeln, die eine Gruppe Extremisten Zufallsopfern mitten in Paris zugefügt hatten.

Gerade junge, gut gebildete Frauen geraten dabei zuweilen in die Abhängigkeit.

Ich trinke, also bin ich: Warum erfolgreiche Frauen zur Alkoholsucht neigen

Es waren berührende Erzählungen von fürchterlichem Leid, aber auch von großer Menschlichkeit, Stärke und unendlicher Liebe – zu all denen, die getötet wurden und zum Leben, das – so sagten es viele – über die Mordlust und Zerstörungswut der Täter siegen soll. Indem das Gericht wochenlang geduldig zuhörte, ermöglichte es, die immensen Folgen dieser Taten für sehr viele Menschen, letztlich das ganze Land zu erfassen.

Keine Bühne für Terrorpropaganda

Dieser lange, schmerzhafte Prozess war notwendig für alle, für die seit dem 13. November 2015 nichts mehr ist wie vorher. Ihr Leid wurde anerkannt durch einen einfühlsamen Gerichtspräsidenten. Dieser legte den Fokus stärker auf die Opfer als auf die Angeklagten, die das Gericht somit kaum als Bühne für Terrorpropaganda nutzen konnten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Der Hauptangeklagte Salah Abdeslam sitzt am in Paris in dem eigens für den Prozess zu den Anschlägen von 2015 gebauten Gerichtssaal (Archivbild).

Der Hauptangeklagte Salah Abdeslam sitzt am in Paris in dem eigens für den Prozess zu den Anschlägen von 2015 gebauten Gerichtssaal (Archivbild).

Zwar zeigten sich viele von ihnen unkooperativ, schlichtweg stumpfsinnig oder versuchten wenig überzeugend, die Taten in einem geopolitischen Kontext als legitime Vergeltungsaktionen zu erklären. Doch schließlich äußerte fast jeder von ihnen tiefes Bedauern und erwähnte in der jeweils letzten Aussage die unschuldigen Opfer und ihre Angehörigen. „Das alles hätte nie passieren dürfen“, sagte einer der Hauptangeklagten und sprach damit einen Gedanken aller aus. Das ist bemerkenswert.

Einige Fragen blieben dennoch

Indem er einen neuen Saal im Justizpalast von Paris bauen ließ, unterstrich der französische Staat die Bedeutung dieses Prozesses und gab ihm einen angemessenen Rahmen. Er zeigte, dass die Antwort eines demokratischen Rechtsstaats auf Angriffe, wie brutal sie auch waren, immer in einer fairen Justiz besteht.

Vergeltung kann eine Rechtsprechung nicht bieten, ebenso wenig wie sie die Verstorbenen zurückbringt und die Verletzungen heilt. Aber auf dem langen Weg der Genesung, des Verstehen-Wollens und Damit-Lebens war dieser Prozess eine entscheidende Etappe.

Bataclan-Prozess: Hauptangeklagter zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt
Mit Kalaschnikow-Sturmgewehren feuerten Islamisten am 13. November 2015 auf die Besucher des Konzertsaals Bataclan in Paris und töteten 90 Menschen, 40 weitere an anderen Orten in der Stadt. Auf solch ein Szenario soll Brandenburgs Polizei besser vorbereitet sein: Sie darf künftig Sprengstoff einsetzen.

Bei den Anschlägen hatten Extremisten im November 2015 130 Menschen getötet und 350 weitere verletzt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Fragen bleiben trotzdem offen. Warum wurden in Europa aufgewachsene junge Männer zu barbarischen Terror-Mördern und zerstörten damit nicht nur die Leben ihrer Opfer, sondern auch die eigenen und die ihrer Familien? Antworten darauf zu finden, um eine Wiederholung solcher Taten um jeden Preis zu verhindern, bleibt eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft.

Laden Sie sich jetzt hier kostenfrei unsere neue RND-App für Android und iOS herunter

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Top Themen

Krieg in der Ukraine
 

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken