China-Experte über Corona-Proteste: „Menschen sind an ihrer Schmerzgrenze angekommen“
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Demonstrierende protestieren in Peking gegen die strikten Maßnahmen der chinesischen Null-Covid-Politik wie wiederholte Lockdowns, Massentests und Zwangsquarantäne.
© Quelle: Ng Han Guan/AP/dpa
Aus Protest gegen die Null-Covid-Strategie sind am vergangenen Wochenende in mehreren chinesischen Millionenmetropolen Tausende von Menschen auf die Straße gegangen. Seit Beginn der Pandemie werden in dem Land rigorose Maßnahmen und Lockdowns durchgesetzt.
Aktuell häufen sich wieder die Aufnahmen von Sicherheitsbeamten, die in weißen Schutzanzügen durch die Straßen patrouillieren, oder von umherfliegenden Kontrolldrohnen und Robotern. Hinzu kommen Berichte über den Bau neuer Quarantänelager und die Isolation sogar von Babys und Kleinkindern, die nach einem Positivtest von ihrer Familie getrennt werden. „Da werden die übelsten Science-Fiction-Fantasien wahr“, schreibt etwa der Reporter Fabian Eberhard in einem Twitter-Thread dazu, den er mit aussagekräftigen Videos bestückt.
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Sicherheitskräfte in Schutzmontur marschieren durch Straßen
Während die Bilder der Sicherheitskräfte in Schutzmontur – zumindest außerhalb von Corona-Stationen in Krankenhäusern – für uns in Deutschland immer noch skurril anmuten, gehören sie in China tatsächlich zur Realität, bekräftigt der China-Experte Prof. Eberhard Sandschneider, der seit 1998 Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt China-Politik an der Freien Universität (FU) Berlin ist, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Die Truppen in den weißen Schutzanzügen gehören in China zum Straßenbild“, sagt er. „Videos davon sehen wir schon seit Monaten.“ Auch ein Video des Journalisten Eberhard zeigt so einen Aufmarsch, bei dem Sicherheitskräfte laut rufend durch eine Straße laufen.
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Experte Sandschneider sieht die chinesischen Sicherheitskräfte in dem Land allerdings gut vorbereitet auf die Proteste, auch wenn das Land gerade die größten Unruhen seit dem Studentenaufstand von 1989 erlebt. Als Reaktion auf die Protestwelle hat die chinesische Führung zudem ein hartes Durchgreifen bei neuen Unruhen angedroht. „Was ich im Augenblick für einen Fehlschluss halte, ist zu glauben, dass die Freiheit in China ausbricht. Das ist keine grundsätzliche Antisystemopposition, sondern die Leute sind einfach an ihrer Schmerzgrenze angekommen“, sagt er dem RND.
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Eberhard Sandschneider lehrt seit 1998 als Professor für Politikwissenschaft, Schwerpunkt Politik Chinas und Internationale Beziehungen, an der Freien Universität Berlin.
© Quelle: picture alliance / dpa
Das habe damit zu tun, wie in China Lockdowns umgesetzt würden. „Dagegen ist all das, was wir mit dem Begriff Lockdown verbinden in Deutschland, lächerlich. In China werden die Hauseingänge abgeschlossen und dann bleiben die Menschen drinnen und wenn sie nix zu essen haben, haben sie nix zu essen, und wenn sie Medikamente brauchen, haben sie Pech.“ Er wundere sich, dass bei der rigorosen Durchsetzung dieser Lockdowns erst jetzt die Schmerzgrenze erreicht worden sei.
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Einschluss in Kaufhäusern oder Fabriken bei Corona-Ausbrüchen
Neben dem Einschluss der Menschen in ihren eigenen Wohnungen wurden Berichten zufolge auch im ganzen Land Quarantänelager gebaut. „Dass es solche Lager gibt, wissen wir“, sagt auch Sandschneider. Doch er sehe noch ein größeres Problem als die Lager – nämlich dass die Menschen zum Teil in Kaufhäusern oder auf der Arbeit eingesperrt würden, wenn es dort zu Corona-Fällen komme.
„Die Menschen können nur unter hohem Risiko in ein Kaufhaus gehen“, sagt er. „Denn sie wissen nicht, ob sie wieder herauskommen, weil sie vielleicht zwischendurch abgeriegelt werden, wenn irgendein anderer dort positiv getestet wurde.“ Der Experte nennt auch das Beispiel des Apple-Zulieferers Foxconn, wo Beschäftigte nach einem Corona-Ausbruch in der Fabrik eingeschlossen wurden, über mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Medizin klagten und später zu Tausenden zu Fuß flohen. Bilder davon gingen um die Welt.
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Berichte: Babys getrennt von Familien in Isolation
Auch Berichte über Babys und Kleinkinder, die nach einem Positivtest einfach von der Familie getrennt und in Isolation gesteckt werden, hält Sandschneider für realistisch: „Offensichtlich gibt es solche Exzesse, wenn irgendwelche nachgeordneten Chargen klare Ansagen bekommen und diese umsetzen, koste es, was es wolle. Auch ohne Rücksicht auf Eltern. Solche Berichte gibt es immer wieder“, sagt er. Wie oft es tatsächlich zu solchen Fällen komme, sei von außen schwer nachzuvollziehen.
Als Grund für die Proteste sieht der Politikwissenschaftler also vor allem die kritische Versorgungslage und keinen „demokratietheoretischen Hintergrund“. Was jedoch nicht bedeuten müsse, dass dieser nicht daraus entstehen könne. Es sei oft so, dass der Auslöser der unmittelbare Leidensdruck sei und es erst mit der Zeit politischer werde, so Sandschneider. Der genaue Auslöser im Fall der jetzigen Proteste war die Brandkatastrophe in der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas mit zehn Toten. Der Politikwissenschaftler erinnert in dem Zusammenhang an den Händler, der sich 2010 in Tunesien mit Öl übergoss und anzündete – „das war der Beginn des arabischen Frühlings“. Proteste mit konkretem Anlass könnten sich ausweiten in grundsätzliche Proteste gegen das politische System.
„Sicherheitsbehörden besser ausgerüstet als damals“
So sei es auch vor 33 Jahren in China gewesen, so Sandschneider. „Der Auslöser für die damaligen Proteste war, wenn man genau hinschaut, eine Erhöhung von Mensapreisen.“ Eine ähnliche Situation könne auch jetzt entstehen, meint er. Aber: „Das wissen die Sicherheitsbehörden auch und sind heute besser ausgerüstet und trainiert als damals und werden alles daran setzen zu verhindern, dass eine solche Eskalationssituation noch mal auftritt.“
Was hinzukommt, nicht nur bei der Kontrolle von Corona-Infektionen, sondern auch bei der von Protestierenden: „Die Leute in China werden technisch alle erfasst“, so Sandschneider, der auf Apps, Gesichtserkennung und Co. verweist. „Die Menschen auf der Straße sind aus der Sicht des Systems gläserne Menschen, die man relativ leicht lesen kann. „Der staatlichen Kontrolle zu entgehen ist quasi unmöglich.“
China-Experte: „Die halten an Null Covid fest“
Dass die chinesische Politik grundsätzlich etwas an ihrer Covid-Strategie aufgrund der Proteste ändert, glaubt der Experte aktuell nicht. „Die halten an Null Covid fest“, meint er. Die Strategie sei in den ersten zwei Jahren „durchaus erfolgreich“ gewesen, erst jetzt scheitere sie offensichtlich durch die schnellere Verbreitung der Omikron-Variante – die Zahlen in China waren stark angestiegen. „Aber das Umschalten ist gar nicht so einfach“, analysiert der Experte die Situation. Zum einen müsse China sich bereiterklären, westliche Impfstoffe im großen Stil zu importieren. Zudem befürchteten die chinesischen Behörden, dass explodierende Infektionszahlen das Gesundheitssystem zum Zusammenbruch bringen könnten. In der Breite sei das Gesundheitssystem seiner Meinung nach nicht gut genug aufgestellt, um mit Inzidenzen wie wir sie in Deutschland hatten – umgerechnet in Zahlen auf eine 1,4-Milliarden-Bevölkerung – umzugehen.
Doch soll die Impfkampagne verstärkt werden – besonders in der älteren Bevölkerung, wurde nun bekannt. Denn aus Angst vor Nebenwirkungen wurden Ältere in dem Land bislang weniger geimpft. Nur 40 Prozent der Menschen über 80 Jahren haben eine Booster-Spritze bekommen. Die unzureichende Impfung könnte bei einer unkontrollierten Corona-Welle zu vielen Toten führen.
mit dpa