Privilegien durch Corona-Impfung?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/R6EJBS7C5NBQNN6SPNNQNWAFFU.jpeg)
Ein Mitglied des medizinischen Personals hält am ersten Tag des größten Impfprogramms in der Geschichte Großbritanniens im Londoner Guy’s Hospital eine Ampulle mit dem Pfizer/Biontech-Corona-Impfstoff in der Hand.
© Quelle: Victoria Jones/PA Wire/dpa
Berlin. In Kürze beginnen auch in Deutschland die Corona-Impfungen. Dann wird eine Debatte losbrechen: Darf oder muss es für Geimpfte Vorteile geben? Sollen Geimpfte wieder ins Café, ins Museum und ins Stadion dürfen? Sollen sie dort mit anderen Geimpften Spaß haben – während die (Noch-)Nichtgeimpften draußen bleiben müssen?
Aktuell kann die Frage aus medizinischer Perspektive nicht beantwortet werden. Bisherige Tests der Impfstoffe haben zwar ergeben, dass die Geimpften mit über 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr an Covid-19 erkranken. Sie sind also weitgehend immun. Eine Sonderbehandlung von Geimpften kommt aber nur in Betracht, wenn mit ähnlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sie das Virus an andere weitergeben. Die Geimpften dürfen nach einem Virenkontakt also nicht ansteckend (infektiös) sein.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) gibt es derzeit noch keine gesicherten Erkenntnisse, ob Covid-Geimpfte noch infektiös sein können und ob dies bei allen drei bisher bekannten Impfstoffen gleich zu beantworten sein wird. Das RKI will derzeit nicht einmal andeuten, nach wie vielen Monaten Impfpraxis mit verlässlichen Erkenntnissen zu rechnen ist.
Verfassungsrechtlich Vorzugsbehandlung wohl möglich
Bei anderen bekannten Impfungen wie der Masernimpfung ist es allerdings üblich, dass sie auch die Infektiosität verhindern. Nur so ist auch die Masernimpfpflicht zu rechtfertigen, die seit März 2020 an Kitas und Schulen für Kinder und Personal gilt.
Sollte also auch die Covid-Impfung zu einer weitgehend ansteckungslosen Immunität führen, werden die Geimpften sicher fordern, dass die Corona-Einschränkungen für sie aufgehoben werden. Sie wären dann ja für ihre Mitmenschen viel weniger gefährlich als Nichtgeimpfte. Für eine Vorzugsbehandlung sprechen auch verfassungsrechtliche Gründe. Der Staat darf die Grundrechte von Bürgern nur so stark und so lange beschränken, wie dies erforderlich ist. Sonst ist die Beschränkung unverhältnismäßig.
Doch es gibt auch rechtlich relevante Argumente für eine Gleichbehandlung von Geimpften und Nichtgeimpften. So kann dabei vermutlich der gesellschaftliche Friede und Zusammenhalt besser gewahrt werden als in einer Zweiklassengesellschaft. Eine Gleichbehandlungspolitik könnte auch verhindern, dass die Geimpften dazu gedrängt werden, nun alle besonders ansteckungsträchtigen Arbeiten zu übernehmen.
Privilegierung oder Gleichbehandlung
Es geht also um eine politische Abwägung zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten, zwischen Privilegierung und Gleichbehandlung. Die Entscheidung muss der Gesetzgeber treffen. So könnte der Bundestag im Infektionsschutzgesetz eine bundesweit gültige Regelung beschließen. Oder die Landesregierungen bestimmen in ihren Corona-Verordnungen, ob die Einschränkungen jeweils auch für Geimpfte gelten.
Eine ähnliche Diskussion gab es schon im letzten Frühjahr. Sollten Erkrankte nach der Heilung einen Immunitätsausweis bekommen, der ihnen Vorteile im Alltag verschafft? Auch hier litt die Diskussion zunächst unter den ungeklärten medizinischen Vorfragen. Bis heute ist nicht vollständig bekannt, ob und wie lange die Covid-Genesenen dann immun sind und vor allem nicht mehr ansteckend sein können.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beauftragte dennoch vorsorglich den Deutschen Ethikrat, eine Empfehlung zu erarbeiten. Dies gelang zwar nicht, denn der Ethikrat zeigte sich gespalten. Die Positionen lagen aber weniger weit auseinander als bisher wahrgenommen. So sprach sich die eine Hälfte der 24 Mitglieder für den begrenzten Einsatz von Immunitätsausweisen aus, insbesondere bei der Pflege von Alten und Kranken. Die andere Hälfte des Ethikrats wollte Immunitätsausweise verbieten, außer bei der Pflege von Alten und Kranken.
Es liegt also auch impfpolitisch nahe, dass zunächst für Berufsgruppen, die mit vulnerablen Personen arbeiten, Sonderregeln eingeführt werden. Nichtgeimpfte könnten dann wohl nicht mehr beruflich mit Alten und Kranken arbeiten.
Spahn beruft sich auf das „Privatrecht“
Ob es auch echte Vorteile für Geimpfte geben soll, will Gesundheitsminister Spahn derzeit noch offenlassen. Die Praxis in Cafés, Museen und Stadien gehe den Staat nichts an, das sei eine Frage des „Privatrechts“, so seine Begründung.
Der Verweis aufs Privatrecht ist aber gewollt naiv. Denn auch das Privatrecht ist staatliches Recht oder beruht auf staatlichen Vorgaben. Wenn der Gesetzgeber nicht handelt, müssen staatliche Gerichte entscheiden, zum Beispiel weil Geimpfte gegen undifferenzierte Corona-Verordnungen klagen oder weil Gastronomie, Kultur und Sport fordern, dass ihre Spezialangebote für Geimpfte zugelassen werden.
Corona-Impfung: Briten in den Startlöchern
In der Universitätsklinik von Croydon in Südengland werden die ersten Lieferungen eines Impfstoffes gegen das Corona-Virus umgepackt.
© Quelle: Reuters
Dass der Staat sich zwischen Privilegierung und Gleichbehandlung entscheiden muss, könnte aber ein Übergangsphänomen sein. Je mehr Leute geimpft sind, umso stärker dürften die Infektionszahlen zurückgehen. Und dann können – wie im letzten Sommer – auch wieder viele staatliche Einschränkungen aufgehoben werden; für Geimpfte und Nichtgeimpfte.