Polen provoziert schon wieder die EU: Jetzt will Warschau Frauenrechte aushebeln
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Polens Justizminister Zbigniew Ziobro
© Quelle: imago images/newspix
Brüssel. Die nationalkonservative Regierung in Polen rückt weiter von europäischen Grundwerten ab. Sein Land plane, aus einem Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und Diskriminierung in Europa auszutreten, sagte jetzt Justizminister Zbigniew Ziobro.
Die Ankündigung, die sogenannte Istanbul-Konvention zu verlassen, sorgt in der EU für große Empörung. Der Fall könnte sich zu einem Lehrstück entwickeln, wie schwer es ist, gesamteuropäische Normen durchzusetzen.
Scharfe Kritik von Katarina Barley
Niemand könne ernsthaft gegen die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sein, sagte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Komme es zum Austritt aus dem Abkommen, “dann ist das für Polen ein weiterer Schritt weg von den europäischen Werten”, so die SPD-Politikerin.
Die Istanbul-Konvention des Europarates, dem 47 Staaten angehören, verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, jegliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie alle Formen häuslicher Gewalt als Verbrechen einzustufen. Außerdem sieht das Abkommen vor, dass Geschlechtergerechtigkeit im Schulunterricht thematisiert werden soll.
Die liberal-konservative Regierung unter Ministerpräsidentin Ewa Kopacz hatte die Konvention im Jahr 2015 ratifiziert. Zu einer Umsetzung der Richtlinien kam es jedoch nicht mehr. Denn die Regierung wurde abgewählt. Seither kämpft ein Rechtsaußenlager in Polen mit harten Bandagen gegen alles, das in den Augen der Nationalkonservativen nach linken oder liberalen Auswüchsen aussieht.
Im Dauerstreit mit der EU
Dabei geht die Regierung in Warschau auch auf Konfrontationskurs zu Europa. Sie liegt im Dauerstreit mit der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde wirft Polen einen Demokratieabbau vor und sieht in den Justizreformen Verstöße gegen das Prinzip der Gewaltenteilung.
Die Regierungskoalition in Warschau vertritt ein traditionelles, patriarchalisches Familienbild. Frauen sind demnach vor allem für die Kinder zuständig. Die Regelungen für Schwangerschaftsabbrüche zählen zu den härtesten in Europa. Homosexualität wird im stark katholisch geprägten Polen als ein Problem dargestellt.
Gestärkt durch ihren Sieg bei der Präsidentschaftswahl Mitte Juli will die Rechtsaußenregierung in Warschau den Kulturkampf nun offenbar fortsetzen. Noch ist allerdings unklar, ob die Koalitionspartner des Justizministers dem Vorstoß folgen werden. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki will zunächst das Verfassungsgericht einschalten.
Justizminister Ziobro sagte, die Konvention bedrohe die traditionellen Werte Polens. Das Abkommen enthalte auch Bestimmungen “ideologischer Natur”. In der Vergangenheit hatte Ziobro die Konvention schon einmal eine “feministische Schöpfung zur Rechtfertigung der homosexuellen Ideologie” genannt. Einen Beleg für diese Behauptung lieferte Ziobro nicht.
“Wagenburgmentalität”
Nach Ansicht der früheren deutschen Justizministerin Katarina Barley sind Begründungen nicht zu erwarten. “Alles, was außerhalb des traditionellen Familienbildes liegt, eignet sich in Polen dazu, eine Freund-Feind-Stimmung zu erzeugen.” Wie andere autokratische Regime auch versuche die polnische Regierung, “völligen Selbstverständlichkeiten einen Dreh zu geben und zu behaupten, das seien alles linke Verschwörungen”, sagte Barley.
Ziel sei es, eine “Wagenburgmentalität” bei den Menschen zu erzeugen. Die Regierung in Warschau handle nach dem Motto: “Wir verteidigen euch gegen die bösen Einflüsse von außen.”
Dazu zählt die polnische Regierung offenbar auch Homosexuelle. Mehrere Dutzend Städte und Gemeinden in Polen haben sich inzwischen zu sogenannten LGBT-freien Zonen erklärt. Die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender.
Das hat erneut zu heftigem Streit zwischen Warschau und der EU-Kommission geführt. Die EU-Behörde wies inzwischen die Anträge von sechs polnischen Kommunen auf finanzielle Förderung von Städtepartnerschaften zurück. Justizminister Ziobro sprach von einer illegalen Entscheidung.
Von der Leyen schaltet sich ein
Dagegen verwahrte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. “Unsere Verträge stellen sicher, dass alle Personen in Europa die Freiheit haben, zu sein, wer sie sind, zu leben, wo sie möchten, zu lieben, wen sie möchten, und so viel Ehrgeiz zu entwickeln, wie sie wollen”, schrieb sie auf Twitter. Doch der Werkzeugkasten der EU für solche Angelegenheiten ist relativ bescheiden ausgestattet. Bei den Städtepartnerschaften geht es um Summen von maximal 25.000 Euro.
Unklar ist noch, ob sich das substanziell verändern wird. Zwar haben die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Corona-Sondergipfel im Juli einen Rechtsstaatsmechanismus vereinbart. Demnach könnten Mitgliedsstaaten, die sich nicht an rechtsstaatliche Normen halten, mit Geldentzug aus Brüssel bestraft werden – theoretisch.
Doch Polen und Ungarn verweigerten auf dem Gipfel ihre Zustimmung zu einem glasklaren Mechanismus. Herausgekommen sei ein “schwammiger Beschluss”, der nicht zu greifen sei, sagte Barley. Deswegen werde das Parlament in den anstehenden Verhandlungen mit den EU-Institutionen alles versuchen, damit das “am Ende ein wehrhaftes Instrument sein wird”.