Historiker: In Polen gab es immer Sorge vor einem Verlust an Selbstständigkeit
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Der deutsch-polnische Grenzübergang Stadtbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Slubice (Polen) erstrahlt seit dem 2. November in grünem und blauem Licht – den Farben des gemeinsamen Logos beider Städte. Die Beleuchtung soll ein Zeichen für ein gemeinsames Europa setzen.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
Berlin. Das deutsche Polen-Institut wurde 1980 in Darmstadt gegründet mit dem Ziel, die Kenntnisse über beide Länder zu vertiefen und die deutsch-polnischen Beziehungen im Kontext der europäischen Integration zu verbessern. Seit Oktober 2019 ist der Historiker Peter Oliver Loew Direktor des Instituts. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sprach mit ihm über das deutsch-polnische Verhältnis und den Streit mit der EU.
Herr Prof. Loew, nach dem deutsch-polnischen Barometer 2021, an dem Ihr Institut mitarbeitet, bewerten 65 Prozent der Polen die Beziehungen beider Länder als sehr gut bis gut, aber nur 57 Prozent der Deutschen. Woran liegt das?
Auf solche Umfragen haben die tagespolitischen Entwicklungen einen großen Einfluss. Die vielfache Berichterstattung hierzulande über Probleme in Polen mit der Rechtsstaatlichkeit, die angebliche Unterdrückung von Minderheiten oder Nationalismus spielt dabei natürlich eine Rolle.
Auf der anderen Seite sehen viele Polen die guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland, und sie betrachten die Bundesrepublik auch als einen Stabilitätsanker in der EU. Für manche Polen ist Deutschland zudem ein Land, von dem sie sich politische Unterstützung erhoffen. Andere betrachten Deutschland aber auch als einen Gegner, der Polen etwas aufzwingen will, wie auch die EU.
Die Hälfte der Befragten, die das deutsch-polnische Verhältnis als schlecht bewerten, begründen das mit der aktuellen Politik der polnischen Regierung. Wie ordnen Sie das ein?
Ein zentraler Punkt der regierungsnahen Kreise in Polen ist ein antideutsches Narrativ. Deutschland wird hier als Vertreter linksliberaler Werte, als egoistischer Player in Europa und hochmütiger Nazi-Nachfolgestaat dargestellt.
Andererseits wirkt das, was in deutschen Medien transportiert wird, oft auch sehr holzschnittartig und spiegelt nicht die vielschichtigen Debatten wider, die es in Polen gibt. Das Land kommt hier als homophober, erzkatholischer und nationalistischer Staat rüber. Das wird der Sache überhaupt nicht gerecht.
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Prof. Peter Oliver Loew (54) ist Historiker und seit 2019 Direktor des deutschen Polen-Instituts mit Sitz in Darmstadt.
© Quelle: Grzegorz Litynski
„Die EU ist kein Staat“ hat der polnische Premier Mateusz Morawiecki unlängst gesagt und betont, die Hoheit liege bei den Ländern. Können Sie das nachvollziehen?
Schon vor 30 Jahren hat Polen intensiv über die EU und die polnische Zugehörigkeit zu Europa diskutiert. Und es gab immer Befürchtungen, dass man die gerade erst zurückerlangte Selbstständigkeit wieder abgeben müsse an Brüssel. Durchgesetzt haben sich die europafreundlichen Kreise, allerdings mit der Argumentation, dass Polen auch in der EU seine souveränen Rechte behalten werde.
Die Diskussion, die es heute gibt, spiegelt auch die jahrhundertelangen Kämpfe Polens für seine Unabhängigkeit wider. Das ist sehr im kollektiven Geschichtsbewusstsein verankert. Deshalb spielt das eine wichtige Rolle. Man muss verstehen, dass die polnische Gesellschaft hier bestimmte Ängste hat. Ob sie so dargestellt werden müssen, wie es der Ministerpräsident tut, ist eine andere Frage.
Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die unter Umgehung Polens russisches Erdgas nach Deutschland bringen soll, stand von Anfang an in Warschau in der Kritik. Morawiecki stellt da auch schon mal Analogien zum Hitler-Stalin-Pakt her, der Polen an zwei Diktaturen auslieferte. Wie sehen Sie das?
Aus deutscher Sicht schießt man da natürlich weit übers Ziel hinaus, schon deshalb, weil sich die deutsche Regierung nicht in der Nachfolge der Hitler-Regierung sieht. Vor dem Hintergrund der Traumata des 20. Jahrhunderts stellt sich aber auch das aus polnischer Sicht etwas anders dar.
Polen wurde immer wieder zwischen den beiden Großmächten Deutschland und Russland beziehungsweise Sowjetunion eingekreist, bedrängt und letztlich auch aufgeteilt und zerstört. Natürlich lassen sich solche Traumata auch politisch instrumentalisieren, weil man damit Emotionen anspricht, die irgendwo im Bewusstsein der Bevölkerung schlummern.
Ihr Institut hat sich seit Jahren für einen Gedenkort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen in Berlin eingesetzt. Inzwischen gibt es einen Bundestagsbeschluss dazu und ein Konzept. Warum wird dieser Ort gebraucht?
Es gibt in Deutschland bislang keinen zentralen Ort, an dem der Opfer der Republik Polen im Zuge des Zweiten Weltkriegs gedacht wird. Es gibt Orte, an denen bestimmter Opfergruppen gedacht wird, insbesondere das Holocaustmahnmal erinnert auch an die polnisch-jüdischen Opfer. Aber das Gedenken an die gesamte polnische Bevölkerung, die Opfer deutschen Terrors wurde, ist bisher eine Leerstelle im deutschen Gedenken.
Die Ukraine hatte im Zweiten Weltkrieg acht Millionen Tote zu beklagen, Polen sechs Millionen. Der ukrainische Botschafter in Berlin sieht es sehr kritisch, dass Polen nun ein Extradenkmal bekommt.
Polen hat insofern noch einmal eine besondere Bedeutung, als es unser unmittelbares Nachbarland ist. Wir haben mit Polen die wohl engsten bilateralen Beziehungen in Europa überhaupt. Und Polen war das erste Angriffsopfer im Zweiten Weltkrieg. Aber es steht außer Frage, dass auch alle anderen Opfergruppen ein Recht auf angemessenes Gedenken und Erinnern in der deutschen Öffentlichkeit haben.
Da sollte sich der neue Bundestag noch einmal Gedanken machen, auch im Kontext des derzeit vom Deutschen Historischen Museum in Arbeit befindlichen Konzepts für ein Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“. Ich denke, ein solches Zentrum bräuchte auch einen Ort, an dem erinnert werden kann. Da stellen sich dann auch Fragen des Gedenkens an nationale, aber auch regionale, konfessionelle und andere Opfergruppen.
Wie groß ist die Einflussnahme Ihres Instituts auf die inhaltliche Ausgestaltung des geplanten Gedenkortes?
Wir waren bei der Erstellung des Konzepts sehr eng eingebunden und haben maßgeblich daran mitgearbeitet. Wir gehen davon aus, dass wir auch weiterhin am Entstehungsprozess dieses Ortes sehr direkt beteiligt sein werden, insbesondere am Part Bildung und Begegnung, für dessen Ausgestaltung wir dann auch künftig gern Verantwortung übernehmen würden.
Als ein möglicher Standort ist der Platz im Gespräch, auf dem einst die Kroll-Oper stand. Was halten Sie davon?
Für mich hat der Standort Kroll-Oper viele Vorteile. Der Platz ist groß, liegt mitten im Zentrum des politischen Berlins und könnte auch die Möglichkeit bieten, hier räumlich getrennt, aber in der Nähe weiterer Opfergruppen zu gedenken, wenn das denn vom Bundestag so entschieden werden würde.
Nicht zuletzt spielt eine Rolle, dass Hitler in der Kroll-Oper am 1. September 1939 seine Rechtfertigungsrede zum Überfall auf Polen gehalten hat. Es gibt kaum einen anderen Ort in Berlin, der einen so starken historischen Anknüpfungspunkt bietet.
An welchen weiteren Projekten arbeitet Ihr Institut derzeit noch?
Es gibt viele. Ich möchte im Bereich Erinnerungskultur nur das Projekt „Lebenszeichen“ nennen. Dort geht es darum, Orte polnischen Leidens im Zweiten Weltkrieg in den deutschen Regionen aufzuzeigen. Wir haben mit Rheinland-Pfalz und dem Saarland begonnen und werden das nach und nach auf weitere Bundesländer ausdehnen. Dabei entstehen Texte und Ausstellungen.
Ein weiteres Projekt sind unsere Schulinitiativen. Wir haben zwei Polen-Mobile, die Schulen ansteuern und ein Basiswissen zu Polen vermitteln – aufbereitet für unterschiedliche Altersklassen. In einem anderen Projekt untersuchen wir die deutsch-polnische Kommunikation und arbeiten heraus, wie wir in beiden Ländern übereinander reden – im Alltag, in den Medien und in der Politik – und welche Begrifflichkeiten und Metaphern wir dabei verwenden.