Tories in der Krise: Für Boris Johnson wird es eng
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Der britische Premierminister Boris Johnson verlässt die Downing Street, um an der Fragestunde „Prime Minister’s Questions“ im Parlament teilzunehmen.
© Quelle: Getty Images
London. Viele Britinnen und Briten fühlen sich angesichts der Skandale um die Tories in den letzten Tagen wohl wie Zeugen eines Unfalls. Man schaut hin, obwohl man es eigentlich nicht möchte.
Boris Johnson entschuldigte sich wieder einmal halbherzig für seine Teilnahme an einer Party während des Lockdowns, woraufhin ihm Parteimitglieder den Rücken zudrehten und so den Weg für ein Untersuchungskomitee frei machten. Die Labour-Abgeordnete Angela Rayner wurde beschuldigt, sie habe konservative Abgeordnete ablenken wollen, indem sie im Parlament ihre Beine übereinanderschlug, und jetzt kam auch noch heraus, dass ein Tory im Unterhaus offenbar nichts Besseres zu tun hatte, als Pornos zu schauen. Kann es noch schlimmer kommen?
Die Wähler in London jedenfalls haben offenbar zunehmend die Nase voll von den nicht enden wollenden Skandalen um die Regierung. „Ein erneuter Schlag für die Tories“ titelte diese Woche „The Evening Standard“, eine Zeitung, die in den Abendstunden massenhaft an den U-Bahn-Stationen der Stadt verteilt wird, und berief sich dabei auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov.
Demnach hat die Labour-Partei kurz vor den lokalen Wahlen in England, Wales und Schottland am kommenden Donnerstag, die mit den Gemeinderatswahlen in Deutschland vergleichbar sind, in der britischen Hauptstadt mit 50 Punkten einen Vorsprung von 27 vor den Tories aufgebaut. „Dies wäre nicht das beste Ergebnis der Labour-Partei aller Zeiten, aber es sollte dazu führen, dass sie Gewinne erzielt“, erklärte Philip Cowley, Professor für Politik an der Queen Mary University of London.
Tories liegen zurück
Auch in anderen Teilen Großbritanniens liegt die konservative Partei seit November vergangenen Jahres zurück. Jüngste Umfragen zeigen, dass im Schnitt 42 Prozent für die Labour-Partei stimmen würden, die Tories kamen nur auf 32 Prozent. Andere Parteien wie die Grünen und die Liberaldemokraten legten zu. Experten machen dafür vor allem die Partygate-Affäre verantwortlich, die laut Sara Hobolt, Professorin an der London School of Economics (LSE), „nur teilweise durch die Ukraine-Krise überschattet“ wurde. Anfang April waren laut einer YouGov-Umfrage 65 Prozent der Britinnen und Briten der Meinung, dass er einen schlechten Job macht.
Absichtliche Irreführung des Parlaments? Boris Johnson kämpft um politisches Überleben
Parlamentsabgeordnete in Westminster haben am Donnerstag eine Untersuchung angestoßen, um herauszufinden, ob der Premier das Parlament in die Irre geführt hat.
© Quelle: Reuters
Noch halten die konservativen Parlamentsabgeordneten die Füße still, und das, obwohl viele Experten warnen, dass der Schaden für die Partei umso größer werde, je länger sie ihren jetzigen Premier festhalten. Obwohl die Kommunalwahlen am 5. Mai nicht überall stattfinden, gelten sie dennoch als Stimmungstest. Danach jedoch könnte es für Johnson eng werden und die Frage nach einem Nachfolger lauter.
Doch wer könnte das sein? Der einstige Favorit, Finanzminister Rishi Sunak, ist laut Experten aus dem Rennen, nachdem Anfang des Monats herauskam, dass seine Frau Akshata Murthy, eine indische Milliardärstochter, wegen einer umstrittenen Regelung kaum Steuern gezahlt hat. Als zweite aussichtsreichste Kandidatin gilt nach wie vor Liz Truss. Die Außenministerin wird jedoch von vielen als „zu glatt“ und „nicht authentisch“ beschrieben, wie Tim Bale, Professor an der Queen Mary University of London, einmal sagte.
Im Zuge des Krieges in der Ukraine zu einem möglichen Nachfolger Johnsons aufgestiegen ist der Verteidigungsminister Ben Wallace. Er ist laut einer Umfrage unter konservativen Abgeordneten der Website ConservativeHome mittlerweile der beliebteste Tory-Minister. Baroness Goldie, eine seiner Stellvertreterinnen im Verteidigungsministerium, sagte kürzlich, er gehe „mit gutem Beispiel voran“, sei „fleißig“, „sorgfältig“ und „akribisch“. Dass Tories noch ähnlich lobende Worte für Johnson finden, darf bezweifelt werden.