Nach dem klaren Atomvotum: Grüner Parteitag streitet über Waffenlieferungen an Saudi-Arabien
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Annalena Baerbock, Außenministerin, und Omid Nouripour, Bundesvorsitzender der Partei, beobachten beim Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen eine Abstimmung.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Bonn. Nachdem in den ersten Stunden der grünen Bundesdelegiertenkonferenz das Lob der Beteiligten für sich selbst und der Konsens unter ihnen überwogen hatte, wurde es am Samstagnachmittag plötzlich munter – auf dem Feld der Außenpolitik.
Da wandte sich etwa Klemens Griesehop aus Berlin gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. „Es muss Schluss sein mit immer mehr schweren Waffen, die Diplomatie muss siegen“, sagte der Mann von der Basis, der immer wieder für die Parteispitze unbequeme Anträge einbringt. Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky widersprach. Man könne die Ukraine „nicht mit Sonnenblumen verteidigen“, sagte er. „Wir müssen Waffen liefern.“ Bereits vorher hatte Irina Scherbakowa von der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten russischen Menschenrechtsorganisation Memorial erklärt: „Wer Frieden will, der muss dafür sorgen, dass die Ukraine alles für ihre Verteidigung Nötige bekommt.“
Der Applaus zeigte deutlich, bei welcher Position die grünen Sympathien liegen – bei der von Lagodinsky und Scherbakowa. Mit überwältigender Mehrheit sprach sich der Parteitag für die Lieferung weiterer Waffen aus. Gegenteilige Anträge waren chancenlos. Die Debatte bewies zugleich: Der Parteitag im alten Regierungsviertel in Bonn-Bad Godesberg hatte zwei Gesichter – mindestens.
Keine Einigung mit der FDP in Sicht
Am Freitagabend hatten sich die Grünen jenem Thema zugewandt, das seit Gründung der Partei Anfang der 1980er-Jahre prägend wirkt: dem Atomausstieg. Denn während sie angesichts der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise zwei der drei verbliebenen Meiler – Isar 2 und Neckarwestheim 2 – in eine sogenannte Einsatzreserve und damit in einen mutmaßlichen Streckbetrieb bis zum Frühjahr 2023 nehmen wollen, dringt die FDP darauf, auch das Atomkraftwerk Emsland zu verlängern, nicht allein bis 2023, sondern bis 2024. Oder länger.
Die Frage war, wie sich der Parteitag dazu stellen würde. Die Antwort fiel deutlich aus. „Bündnis 90/Die Grünen werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden sollen“, heißt es in dem mehrheitlich beschlossenen Antrag, der auch ein konkretes Datum nennt: den 15. April 2023. Dabei war es der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin, der das Datum in dem Antrag verankerte und die Bundestagsfraktion an das Votum des Parteitages band. Er hatte den ersten Atomausstieg Anfang der Nullerjahre durchgesetzt.
Grünen-Parteitag unterstützt Habeck bei AKW-Weiterbetrieb
Ein Antrag von Basisvertretern, weder eine Laufzeitverlängerung noch einen Streckbetrieb zuzulassen, scheiterte.
© Quelle: Reuters
Die Parteivorsitzende Ricarda Lang sagte: „Wir haben einen Kompromiss gefunden mit der Einsatzreserve. Jetzt ist keine Zeit für parteitaktische Spielchen. Neue Brennstäbe und einen Wiedereinstieg in die Atomindustrie, das wird es mit uns nicht geben. Atomkraft ist nicht die Zukunft, die Zukunft ist erneuerbar.“
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck hat fortan gegenüber Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner kaum noch Verhandlungsspielraum. Das belastet ihn; es entlastet ihn aber auch – weil er auf den Beschluss der Partei verweisen kann. Ob und wann sich Grüne und Liberale einigen, ist offen. Klar ist: Ohne Einigung gilt das Atomgesetz. Es sieht den Atomausstieg für alle Meiler am Jahresende vor.
Baerbock musste auch im niedersächsischen Wahlkampf eine Schutzweste tragen
Streitiger ging es bei der Außenpolitik zu. Zwar wurde Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrer Rede bejubelt. Sie betonte: „Wir unterstützen die Ukraine, weil wir eine Friedens- und Menschenrechtspartei sind.“ Dabei bleibe es, auch wenn „jeder einzelne Tag dieses Krieges eine Katastrophe“ sei. Für besonderes Aufsehen sorgte die Feststellung der Ministerin: „Ich musste dreimal eine Schutzweste tragen: in der Ukraine, in Mali und im niedersächsischen Wahlkampf.“
Rechtfertigen musste sie sich jedoch für die Entscheidung der Bundesregierung, Rüstungsgüter an Saudi-Arabien zu liefern. Es handele sich um einen „Altvertrag“ im Rahmen einer europäischen Rüstungskooperation, sagte Baerbock. Das überzeugte nicht alle. Der parteibekannte Delegierte Karl-Wilhelm Koch aus der Vulkaneifel sagte, an der Stelle müsse man Verbündeten auch mal signalisieren: „Da könnt Ihr nicht auf uns zählen.“ Die linke Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer äußerte sich ebenfalls kritisch.
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Anders als beim Thema Atom fiel die Entscheidung des grünen Parteitages beim Thema Saudi-Arabien am Ende weniger eindeutig als doppelbödig aus. Er lehnte Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ab. Er lehnte es aber genauso ab, das jüngste Votum der Bundesregierung rückgängig zu machen. Baerbock kann damit leben.