Nach Abkehr von der Linken

Welche Chancen hätte eine Wagenknecht-Partei?

Links blinken, rechts abbiegen? Sahra Wagenknecht auf ihrer Demonstration „Aufstand für den Frieden“ in Berlin.

Links blinken, rechts abbiegen? Sahra Wagenknecht auf ihrer Demonstration „Aufstand für den Frieden“ in Berlin.

Berlin. Die Ankündigung von Sahra Wagenknecht, 2025 nicht noch einmal für die Linkspartei für den Bundestag zu kandidieren, ist zunächst einmal keine Sensation. Von ihrer Partei hat sich die 53-jährige Bundestagsabgeordnete seit Jahren entfremdet. Höchstwahrscheinlich wäre sie ohnehin nicht wieder für den Bundestag aufgestellt worden.

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Doch bisher ist es ihre Rolle als Abweichlerin in der Linken, die ihr Aufmerksamkeit und Talkshow-Auftritte garantiert. Als freischaffende Publizistin ohne politische Heimat könnte sie es deutlich schwerer haben, durchzudringen.

Sie werde sich aus der Parteipolitik zurückziehen, „oder es ergibt sich politisch etwas Neues“, sagte Wagenknecht jetzt kryptisch. Über die Gründung einer neuen Partei werde „an vielen Stellen diskutiert“. Auf ihrer Berliner Demonstration rief Wagenknecht „eine neue Friedensbewegung in Deutschland“ aus und kündigte an: „Wir fangen jetzt an, uns zu organisieren.“

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Könnte eine Wagenknecht-Partei Erfolg haben?

19 Prozent der Wählerinnen und Wähler könnten sich generell vorstellen, für eine Wagenknecht-Partei zu stimmen. Das ergibt eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Kantar für den „Focus“. 60 Prozent der AfD-Wähler und die Hälfte der Linken-Wähler liebäugeln mit einer Liste Sahra.

Dass eine mögliche Wagenknecht-Partei bei Wahlen triumphiert, hält der Berliner Politikberater Johannes Hillje im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus zwei Gründen für unwahrscheinlich: „Erstens wählen die Menschen nicht nur eine Person, sondern auch ein Programm. Und Wagenknecht etwaiges Programm ist noch unbekannt. Dieses müsste auch über die Parolen und Narrative von ihren Kundgebungen und Manifesten deutlich hinausgehen. Der zweite Grund: Wählerpotenzial ist nicht gleich Wahlverhalten. Die Wähler sind grundsätzlich wechselbereiter geworden und das Interesse an neuen Parteien wird größer. Aber in diesen Potenzialstudien wird gefragt, ob man sich grundsätzlich vorstellen könne, eine andere Partei zu wählen. Vor der Bundestagswahl 2021 gab es Potenzialstudien, nach denen SPD, CDU und Grüne jeweils ein Potenzial von über 40 Prozent hatten. Aber am Ende wählt nur ein Teil des Potenzials tatsächlich eine Partei. Also: Wagenknechts Wahlchancen werden überschätzt.“

Wen könnte Wagenknecht anlocken?

Sie würde eine Lücke füllen, die in Deutschland gerade herrscht“, sagt Parteienforscherin Sarah Wagner dem „Tagesspiegel“. Für das „linksautoritäre Spektrum“, das linke Sozialpolitik und rechte Migrationspolitik wünscht, gebe es zurzeit kein Angebot.

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Doch genau dieses Feld versucht die AfD in Ostdeutschland seit Jahren mit ihrem „sozial-nationalen Kurs“ zu bestellen. Bislang jedoch ohne durchschlagenden Erfolg, meint Hillje: „Die AfD hat es bisher nicht geschafft, eine Glaubwürdigkeit in der Sozialpolitik aufzubauen. Der jahrelange Streit und der halbgare Kompromiss um das Rentenkonzept ist nur ein Beispiel.“

Vor allem eins habe Wagenknecht den AfD-Funktionären voraus, meint Hillje: „Sie ist nämlich eine charismatische Rednerin. Die AfD hat kein starkes und kommunikativ überzeugendes Führungspersonal. Das ist schon seit Längerem ein Punkt, der die AfD von anderen Rechtsaußenparteien in Europa unterscheidet: Giorgia Meloni, Marine Le Pen, Viktor Orbán spielen rhetorisch in einer ganz anderen Liga.“ Daher könnte Wagenknecht der AfD wirklich gefährlich werden.

Wagenknecht schließt erneute Kandidatur für die Linke aus

Sahra Wagenknecht wird nicht mehr für ihre Partei Die Linke kandidieren. Der Zeitung „Rheinpfalz“ sagte sie, eine erneute Kandidatur schließe sie aus.

Warum kokettieren AfD-Politiker mit einer politischen Nähe zu Wagenknecht?

Der rechtsextreme Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke lud Wagenknecht zum Übertritt in die AfD ein, Parteichef Tino Chrupalla gehörte zu den ersten Unterzeichnern ihres „Manifests für den Frieden“, der sächsische Landesvorsitzende Jörg Urban ging auf ihre Berliner Demonstration, AfD-Gründer Alexander Gauland lobt Wagenknecht schon seit Jahren: Unter AfD-Größen aus dem Osten gehört sie zu den beliebtesten Politikerinnen. Das andauernde öffentliche Lob für die Noch-Linke hat auch taktische Gründe, sagt Politikberater Hillje: „Für die AfD und Björn Höcke bietet Wagenknecht eine Steilvorlage, sich selbst zu verharmlosen. Denn wenn Sahra Wagenknechts Worte nicht von der AfD zu unterscheiden sind, dann hilft sie der AfD, harmloser dazustehen, als sie tatsächlich ist.“

Wie radikal wäre eine Wagenknecht-Partei? Wäre sie ein Fall für den Verfassungsschutz?

Die von Wagenknecht propagierte „neue Friedensbewegung“ zieht viele vor allem ältere Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum an, ist aber auch anschlussfähig für die Szene der Corona-Maßnahmengegner und darüber wiederum vereinzelt verbandelt mit rechtsextremen Akteuren. Diese „Querfront“ ist lokal auch in den Resten der einst von Wagenknecht ins Leben gerufenen „Aufstehen“-Bewegung festzustellen.

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Merz attackiert Wagenknecht: „Zynisch, menschenverachtend, niederträchtig"

CDU-Oppositionsführer Friedrich Merz hat die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit deutlichen Worten angegriffen.

Hillje erwartet, dass sich der Verfassungsschutz bald mit einer neuen Wagenknecht-Partei beschäftigen muss. Er sagt dem RND: „Das Potenzial von einer Wagenknecht-Partei liegt zu einem Teil in dem Milieu der sogenannten Delegitimierer des Staates. Das ist eine Kategorie, die der Verfassungsschutz im Zuge der Corona-Maßnahmenproteste eingeführt hat. Das sind Menschen, die als Opposition zur repräsentativen Demokratie verstanden werden müssen, die aber nicht allein links oder rechts einzuordnen sind. Und diese Menschen können mittlerweile in nahezu jeder krisenhaften Phase und bei jedem krisenhaften Thema gegen die Regierung und die demokratischen Institutionen mobilisiert werden.“

Auch die AfD versuche heute, sich als eine „thematisch flexible Anti-System-Partei aufzustellen“, weil sie diese Ausrichtung von einzelnen Mobilisierungsthemen unabhängig macht. Aus dem Milieu dieser allgemein Unzufriedenen, die immer stärker die repräsentative Demokratie ablehnen, würde auch Wagenknecht Wählerstimmen schöpfen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Sahra Wagenknecht eine Partei gründet?

Seit Längerem kokettiert Wagenknecht mit der Idee, eine neue politische Heimat aufzubauen, ohne dem Taten folgen zu lassen. Besonders ihre Nochgenossinnen kommentieren das hämisch. „Ehrlich gesagt, ich glaube da nicht dran, weil, das ist ihr viel zu viel Arbeit, nachdem sie gesehen hat, wie sie mit (der Bewegung) ‚Aufstehen‘ auf den Bauch gefallen ist“, sagt die Linken-Parteivize und Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert. „Aber selbst wenn es so ist, dann ist es so.“

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Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine trat vor einem Jahr aus der Linkspartei aus und verabschiedete sich in den Ruhestand. Dass er sich mit 79 Jahren noch einmal den aufreibenden Prozess einer Parteigründung für seine Frau antun wird, ist fraglich. Zudem drängt die Zeit: Die Europawahl im Mai nächsten Jahres wäre die beste Gelegenheit für Wagenknecht, sich zur Wahl zu stellen. Die Listen dafür müssen bis Februar 2024 eingereicht werden.


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