Mein persönlicher Abschied von Josef Ratzinger
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Gläubige gehen zum Petersdom, wo der Leichnam des verstorbenen Papst Benedikt XVI. öffentlich aufgebahrt ist.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Rom. Es ist ein seltsames Gefühl, über den Petersplatz zu gehen, um Josef Ratzingers sterblichen Überresten im Petersdom die letzte Ehre zu erweisen. Denn der deutsche Papst Benedikt XVI. ist einfach noch so gegenwärtig. Ich brauche nicht einmal die Augen zu schließen, um mich an Hunderte von Audienzen zu erinnern, bei denen er auf diesem Platz mit seiner dünnen Stimme die Bibel erklärte. Ich weiß noch, wie er einmal zur Generalaudienz auf diesen Platz kam, viel zu spät und sich entschuldigte. Er sagte: „Wir Deutsche sind eigentlich für unsere Pünktlichkeit bekannt, aber ich glaube, ich bin kein richtiger Deutscher mehr und viel zu spät, das tut mir leid.“ Ich weiß auch noch, wie die Menge zum ersten Mal „Be -ne- det-to“ über den Patz rief und der Papst wie erstarrt schien.
Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er die Gottesdienste verurteilt, die seiner Ansicht nach zu einem Spektakel ausarteten, wenn Hunderttausende Papst Johannes Paul II. zuschrien: „John Paul Two – we love you“ . Jetzt musste er lernen das auszuhalten, den Jubel der Menge, die den deutschen Papa-Razzi feiern wollte.
Verstorbener Papst Benedikt XVI. wird im Petersdom öffentlich aufgebahrt
Zwei Tage nach dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. wird sein Leichnam an diesem Montag im Petersdom in Rom aufgebahrt.
© Quelle: dpa
Ich weiß nicht mehr, wie viele Gäste ich zu den Audienzen begleitete oder dort antraf. Ich erinnere mich an einen ergriffenen Franz Beckenbauer und eine relativ kühle Kanzlerin Angela Merkel, die ihn in Castel Gandolfo traf.
Jetzt gehe ich seit eineinhalb Stunden in der Schlange auf die Peterskirche zu und versuche mich darauf vorzubereiten, zum letzten Mal den Körper von Josef Ratinger zu sehen.
„Wie war Ratzinger denn?“
Er war immer zierlich. Er aß nie viel, als mangele es ihm an Appetit. An seinem Stammplatz im Restaurant Quattro Mori in der Nähe des Petersdoms hängte der Wirt Fabio am Tag seines Todes eine kleine Erinnerungsplakette auf. Auch dort war ihm die exzellente Vorspeise meist genug. Er schätzt das italienische Essen, nur Fische mit zu viele Gräten waren ihm ein Greul. Josef Ratzinger war dankbar für die Spezialitäten aus Bayern, die seine zahlreichen Gäste mitbrachten. Aber eine heimliche Leidenschaft wie Papst Franziskus, der die in Lateinamerika geliebte, schrecklich ungesunde süße Dosenmilch liebt, hatte er nicht. Josef Ratzinger besaß außer seiner Faszination für den Glauben wenige Leidenschaften.
Als mich in der Schlange auf dem Petersplatz einige deutsche Pilger erkennen rufen sie mir zu. „Sie sind doch der Papstexperte. Wie war Ratzinger denn?“
Ja, wie war er? Ein zurückgezogener Mensch, dachte ich, das war er. Nur sehr selten gingen Freundschaften von ihm aus. Es gab zahlreiche Frauen und Männer, die seine Freundschaft suchten, aber das war häufig eine Einbahnstraße. Nahe an sich heran ließ er in seinem Leben nur sehr, sehr wenige. Sicherlich seine ältere Schwester Maria, deren Tod im Jahr 1991 ihn in tiefe Trauer stürzte, seinen Bruder Georg, seine Vertraute Ingrid Stampa und seine Sekretäre Josef Clemens und dessen Nachfolger Georg Gänswein, die nicht wirklich gut miteinander auskamen.
Die Pilger, die den sterblichen Überresten von Papst Benedikt XVI. die letzte Ehre erweisen, hören am Montag seltsame Geräusche. Während sich der Zug der Zehntausenden Menschen dem Altar nähert, vor dem der Leichnam des deutschen Papstes aufgebahrt worden ist, dringen die Geräusche von pneumatischen Hämmern aus den Grotten des Vatikans. Die Arbeiter lösen die Abdeckplatten über dem ehemaligen Grab von Papst Johannes Paul II. und bereiten es für den Sarg von Benedikt XVI. vor. Der Leichnam von Johannes Paul II. war nach der Heiligsprechung in den Petersdom umgebettet worden.
Es ist still in der Peterskirche. Alle Stühle sind weggeräumt eine schweigende Menge zieht dorthin, wo die Leiche des Josef Ratzinger aufgebahrt wurde. Er sieht furchtbar dünn aus. Die ohnehin schon schmalen Beine scheinen furchtbar abgemagert. Ich erinnere mich an den Schreck, als er in den Tagen nach seiner Wahl nicht bemerkte, dass seine Soutane viel zu kurz war und er mit seinen dünnen Beinchen vor die Gläubigen trat.
Das Gesicht haben sie dem Toten geschminkt, um ihm ein bisschen Farbe zu geben. Er sieht erschöpft aus. Der Junge aus Marktl am Inn ist einen weiten Weg gegangen. Einen Teil des Weges, immerhin 35 Jahre, habe ich ihm als Präfekt der Glaubenskongregation, Papst und Papa emeritus zugeschaut, wie er kämpfte, manchmal verlor und sich sein Weg in die Geschichte bahnte. Auf Wiedersehen, Joseph Ratzinger. Ich hoffe, dass du genau dort bist, wo du hinwolltest. Keiner wusste mehr über Gott als du, und ich weiß, was du sagtest, wenn ein geliebter Mensch verstarb. „Der Herr nimmt ihn jetzt in seine Arme.“