Pannen in der Krise: Was ist da los im Robert-Koch-Institut?
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Das Robert-Koch-Institut (RKI) im Berliner Stadtteil Wedding: immer wieder Ärger.
© Quelle: imago images/Xinhua
Berlin. Es war eine kleine Sensation, die da am späten Mittwochnachmittag unerwartet die Runde machte. Das Robert-Koch-Institut (RKI) rechne mit einem Corona-Impfstoff binnen weniger Wochen, vermeldeten mehrere Medien, auch das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Grundlage der Meldung war ein überraschend veröffentlichtes Thesenpapier des Robert-Koch-Instituts (RKI). “Die Impfstoffentwicklung gegen Sars-CoV-2 läuft unter Verfolgung verschiedener Ansätze weltweit unter Hochdruck. Vorläufige Prognosen lassen die Verfügbarkeit eines Impfstoffs (ggf. mehrerer) bis Herbst 2020 möglich erscheinen”, hieß es darin optimistisch.
Die Nachricht stieß in der Öffentlichkeit auf Begeisterung und in der Fachöffentlichkeit auf Skepsis. Lief die Prognose nicht geradezu konträr zu allen Ankündigungen, die bisher auf dem Markt waren? Hatten nicht Vertreter aus Wissenschaft und Politik gerade erst die vermeintlichen Erfolgsmeldungen russischer Impfstoffentwickler scharf kritisiert? Und hatte das Robert-Koch-Institut nicht selbst stets betont, dass ein Impfstoff frühestens im Frühjahr 2021 zur Verfügung stehen würde?
All diese Fragen waren berechtigt, denn die Meldung stimmte nicht. Das Thesenpapier hatte versehentlich seinen Weg auf die Homepage des Instituts gefunden. Es handelte sich um eine veraltete Version, deren aktuelle Variante erst in einigen Tagen veröffentlicht werden sollte, wie eine zerknirschte Sprecherin dem RND bestätigte. Es sei ein “sehr ärgerlicher Fehler”, räumte die Sprecherin ein, in der aktuellen Lage sei das verheerend.
Wohl wahr. Zumal es nicht das erste Mal ist, dass das RKI Kritik auf sich zieht. Ein vergleichbarer Lapsus wie am Mittwoch ist dem Institut in der Corona-Krise zwar noch nicht unterlaufen, Ärger allerdings gab es immer wieder:
- Zu Beginn der Pandemie wurde Kritik daran laut, dass das RKI mit den positiven Corona-Tests operierte, die die Gesundheitsämter der Länder meldeten. Es setzte sie jedoch nicht zu den insgesamt durchgeführten Tests ins Verhältnis, weil diese anfangs gar nicht erfasst wurden. Ein realistisches Bild sei so nicht zu erhalten, monierten Epidemiologen.
- Bei der Frage nach den Corona-Toten brachte das RKI Deutschlands Pathologen gegen sich auf. Das Institut empfahl, keine Obduktionen an Verstorbenen mit positiven Testergebnissen vorzunehmen und verbuchte sie stattdessen in der Statistik pauschal als Corona-Tote.
- Danach gab es Streit über die Bedeutung der sogenannten Reproduktionszahl R – also der Rate, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt. Zeitweise wirkte es so, als sei dieser Faktor für den Fortgang der Pandemie der einzig entscheidende Wert. Doch der R-Wert schwankte immer stark, vor allem bei lokalen Infektionsereignissen. Inzwischen ist das RKI dazu übergegangen, einen stabileren “Sieben-Tage-R-Wert” zu veröffentlichen. Dieser soll langfristige Trends sichtbarer machen.
- Auch beim Thema Masken musste das RKI sich korrigieren. Ende Februar sagte Präsident Lothar Wieler noch, es gebe für den Alltag “keinerlei Evidenz, dass das in irgendeiner Weise hilfreich ist”. Inzwischen gehen nahezu alle Experten davon aus, dass das Tragen von Mund-Nasen-Schutz ein wesentlicher Baustein bei der Bekämpfung der Pandemie ist.
- Kritik gab es auch an der Informationspolitik des RKI. Lud das Institut zu Beginn der Pandemie an jedem Werktag zu einer Pressekonferenz ein, wurde der Rhythmus später auf zwei Termine pro Woche reduziert. Anfang Mai dann stellte das RKI die Unterrichtungen der Öffentlichkeit per Pressekonferenz komplett ein. Kritiker monierten, durch diese Entscheidung könne der falsche Eindruck entstehen, dass das Virus bereits besiegt sei.
Trotz aller Kritik muss man dem RKI zugestehen, dass die Corona-Pandemie für das Institut der ultimative Stresstest ist und dass es auf eine monatelange Großlage dieser Art weder ausreichend vorbereitet war noch die passenden Ausstattung hatte. Im Gegenteil: Noch im Haushaltsjahr 2019 wurde dem RKI ein Millionenbetrag gestrichen.
Auch ist die Frage, was das Institut mit seinem Hauptsitz im früheren Berliner Arbeiterbezirk Wedding eigentlich sein will, nicht wirklich beantwortet. Forschungseinrichtung? Politikberatung? Behörde? Die bereits 1891 gegründete und nach ihrem ersten Direktor, dem späteren Nobelpreisträger Robert Koch, benannte Organisation ist von alledem ein bisschen.
Die Kernaufgaben der 1200 Mitarbeiter sind die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten, insbesondere Infektionskrankheiten. Corona ist da nur eine von vielen.
Das Urteil der Experten fällt deshalb gemischt aus. Dass Deutschland im internationalen Vergleich gut durch die Krise gekommen ist, daran habe das RKI einen Anteil, heißt es. Andere kritisieren, dass das Institut Fehler und Schwächen nicht konsequent genug aufarbeite und korrigiere.
So kritisiert eine Reihe von Wissenschaftlern seit Monaten die vom RKI verbreiteten Zahlen. In einem Positionspapier einer Gruppe um den Gesundheitsökonomen Gerd Glaeske heißt es, beim RKI herrsche unverändert eine “dramatisierende, in Teilen sachlich nicht adäquate Darstellung vor”. Das RKI unterscheide bei seinen Veröffentlichungen zum Beispiel weiterhin nicht zwischen Infizierten und tatsächlich Erkrankten.
Bei einer Pandemie, die mit einem hohen Anteil an völlig unkritischen Verläufen verbunden ist, sei das jedoch die falsche Herangehensweise. Um das Ziel zu verfolgen, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, müsse man sich auf relevante Daten konzentrieren, also etwa auf die Zahl der Patienten, die stationär und intensivmedizinisch behandelt werden müssen.
Experten fordern mehr Unabhängigkeit – und mehr Mittel
Kritisch wird von den Wissenschaftlern zudem gesehen, dass das RKI weiterhin aus seinen Zahlen die “Inzidenz” ableitet, also die Anzahl von Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Tatsächlich sei das jedoch völlig unwissenschaftlich. Denn das RKI beziehe sich stets nur auf die Zahl der positiven Tests, die letztlich völlig willkürlich zustande kämen.
Mit anderen Worten: Je mehr getestet wird, desto höher wird nach den RKI-Zahlen die Krankheitsrate. Das sei ein “methodisch unhaltbarer Zustand”, so die Expertengruppe. Tatsächlich müsse die Inzidenz mit einer vorher festgelegten Population über einen definierten Zeitraum mittels einer definierten Methode ermittelt werden.
Schon jetzt scheint sicher, dass das RKI nach der Corona-Pandemie nicht mehr dasselbe sein wird wie zuvor. Mehr Unabhängigkeit vom Bundesgesundheitsministerium und mehr Mittel fordern Experten. Das amerikanische RKI-Pendant “Center for Disease Control and Prevention” etwa verfügt über ein Budget von über 10 Milliarden Dollar – mehr als hundertmal so viel wie das Berliner Institut.
Wer weiß: Vielleicht bewahrheitet sich ja auch für das RKI der alte Satz, dass in jeder Krise auch immer eine Chance liegt.