Im Rückwärtsgang: Organspenden 2019 leicht gesunken
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Im Transplantationszentrum am Universitätsklinikum Leipzig transplantieren Prof. Dr. Daniel Seehofer (2.v.r) und Oberarzt Sebastian Rademacher (2.v.l.) beim Empfänger eine Niere (im Vordergrund OP-Schwester Annett Heide). Die Zahl der Organspender ist 2019 zurückgegangen.
© Quelle: Waltraud Grubitzsch/zb/dpa
Berlin/Frankfurt. Die Zahl der Organspender ist im vergangenen Jahr leicht von 955 auf 932 zurückgegangen. Auch bei den gespendeten Organen verzeichnete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) laut Mitteilung vom Montag einen Rückgang von 3113 im Jahr 2018 auf nun 2995. Die Zahlen wurden wenige Tage vor der wichtigen Abstimmung im Bundestag zum Thema Organspende veröffentlicht. Die Zahlen in den Jahren davor lagen jedoch unter denen aus dem vergangenen Jahr. Der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, spricht daher für 2019 auch nur von statistischen Schwankungen und keiner großen Änderung.
"Allerdings bildet Deutschland mit einer bundesdurchschnittlichen Spenderrate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner nach wie vor eines der Schlusslichter im internationalen Vergleich", heißt es in der in Frankfurt/Main verbreiteten Mitteilung. Es habe zuletzt aber mehr Kontakte mit Krankenhäusern gegeben. "Die DSO geht davon aus, dass die öffentlichen Diskussionen um die Organspende dazu beitragen, das Bewusstsein für Organspende in den Kliniken zu verbessern."
Lambrecht will nicht für Spahns doppelte Widerspruchslösung stimmen
Am Donnerstag (16. Januar) soll der Bundestag über neue Regeln für Organspenden entscheiden. Dabei geht es um die sogenannte Widerspruchslösung. Ein fraktionsübergreifender Gesetzesentwurf von einer Gruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Fachpolitiker Karl Lauterbach will das bisherige Prinzip radikal umkehren, wonach Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja zulässig sind. Sie strebt die "doppelte Widerspruchslösung" an. Ab dem 1. Oktober 2022 sollen demnach alle Bürger grundsätzlich als Spender gelten. Man soll dazu aber später Nein sagen können. Ansonsten wäre noch bei Angehörigen nachzufragen, ob ihnen ein Widerspruch bekannt ist.
Nicht zu dieser Gruppe gehört Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Sie will bei der Abstimmung in der kommenden Woche gegen den Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stimmen. Das bestätigte ihr Ministerium der „Welt am Sonntag“. Laut der Zeitung ist Lambrecht damit das einzige Kabinettsmitglied mit Bundestagsmandat, das sich gegen Spahns Vorschlag stellt.
Eine andere Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linke-Vorsitzende Katja Kipping lehnt einen so tiefen Eingriff in die Selbstbestimmung ab. Sie schlägt vor, dass alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende angesprochen werden. Daneben hat die AfD einen Antrag eingebracht, der eine doppelte Widerspruchslösung ablehnt. Gemeinsames Ziel ist, zu mehr Organspenden in Deutschland zu kommen.
Welche Gruppe gewinnt die Mehrheit?
Abstimmen sollen die Abgeordneten im Bundestag ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben. Vorgesehen ist nach dpa-Informationen, dass als erstes über den Gesetzentwurf der Gruppe um Spahn entschieden werden soll, der die weitestgehende Veränderung bedeuten würde. Bekommt er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wäre die Widerspruchslösung beschlossen. Ansonsten soll dann als nächstes über den Entwurf der Gruppe um Baerbock abgestimmt werden.
Die Mehrheitsverhältnisse sind schwer einzuschätzen. Bei einer ersten offenen Debatte waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung deutlich geworden. Als im Sommer 2019 die Gesetzentwürfe eingebracht wurden, hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte 191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.
Spahn sagte dem „Tagesspiegel“ (Samstag), eine Widerspruchsregelung werde nach seiner Überzeugung einen kulturellen Wandel bewirken. „Normal wäre dann die Bereitschaft zur Spende. Aktiv müssten nicht mehr diejenigen werden, die das wollen, sondern die, die für sich entscheiden, dass sie nicht Organspender sein möchten.“
"Mit Appellen erreicht man wenig"
Der medizinische Vorstand des DSO, Rahmel, zeigt sich skeptisch gegenüber dem Vorschlag der Gruppe um Baerbock. "Mit Appellen erreicht man wenig", sagte Rahmel. Allerdings erwarte er auch keine besonderen Effekte, wenn am Bürgeramt Flyer verteilt werden. "Das haben wir im Prinzip heute schon." Hingegen würde die Widerspruchslösung dazu führen, dass sich jeder mit dem Thema auseinandersetzen müsse. "Mehr als 40 Prozent der ablehnenden Entscheidungen werden heute von Angehörigen getroffen, die gar nicht wissen, was der Verstorbene wollte." Jedoch warnte Rahmel auch: "Die Widerspruchslösung ist nur ein Baustein. Dadurch werden sich nicht von einem auf den anderen Tag die Zahlen verdoppeln."
Dabei ist die Zustimmung zu Organspenden in der Bevölkerung laut einer neuen Umfrage weiterhin hoch. 84 Prozent der Bundesbürger stehen Organspenden generell eher positiv gegenüber, wie die Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse ergab. Allerdings gibt es laut den Ergebnissen, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, auch Unterschiede - und längst nicht so viele Menschen haben tatsächlich einen Spendeausweis.
Hohe Zustimmung zu Organspenden - vor allem bei jungen Leuten
Am höchsten ist die prinzipielle Zustimmung der Umfrage zufolge bei jungen Leuten zwischen 18 und 29 Jahren mit 93 Prozent. Schlusslicht sind demnach die 50- bis 69-Jährigen. Von ihnen sehen aber auch noch 79 Prozent Organspenden eher positiv. Eher negativ eingestellt sind 8 Prozent aller Befragten, weitere 8 Prozent äußerten sich neutral. Für die Umfrage wurden den Angaben zufolge vom 4. bis 16. Dezember 2019 bundesweit 1002 Menschen ab 18 Jahre telefonisch vom Institut Forsa zu verschiedenen Gesundheitsthemen befragt.
Einen ausgefüllten Organspendeausweis haben demnach 40 Prozent der Befragten. Man kann damit aber nicht nur Zustimmung, sondern auch ein Nein dokumentieren. Einen Ausweis mit angekreuztem Ja haben laut der Umfrage 37 Prozent aller Befragten. Insgesamt zeigen sich ebenfalls Unterschiede je nach Alter. Unter den Jüngeren von 18 bis 29 hat jeder Zweite überhaupt einen Spendeausweis (51 Prozent), ab 70 ist es noch jeder Vierte (25 Prozent). Bei den Altersgruppen dazwischen liegt dieser Anteil zwischen 40 und 45 Prozent.
RND/dpa