Lehrerverband kritisiert Politik: Versprechen von sicheren Schulen gebrochen

Ein Testkit liegt im Klassenzimmer zum Unterrichtsbeginn auf einer Federtasche (Symbolfoto).

Ein Testkit liegt im Klassenzimmer zum Unterrichtsbeginn auf einer Federtasche (Symbolfoto).

Berlin. Am Mittwoch wurde erneut der Höchststand an Corona-Neuinfektionen in Deutschland gebrochen. Mehr als 100.000 Menschen hatten sich in den zurückliegenden 24 Stunden mit dem Coronavirus infiziert – eine Vielzahl von ihnen vermutlich mit der neuen Omikron-Variante. Diese hochansteckende Virusmutation verändert auch den Blick auf die Schulen und den Schulalltag. Dort fühlen sich Schülerinnen und Schüler, Eltern, aber auch die Lehrkräfte mehr und mehr im Stich gelassen.

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„Statt Normalität herrscht vielerorts der permanente Ausnahmezustand und statt der versprochenen Sicherheit erleben wir so hohe Infektionszahlen an Schulen wie noch nie“, beklagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). Die Politik habe vollständigen Präsenzunterricht und sichere Schulen versprochen und erlebe jetzt, „dass beide Versprechungen nicht gehalten werden können“. Ob der Präsenzunterricht weitgehend aufrechterhalten werden könne, werde sich vor allem an der Frage entscheiden, wie viele Lehrkräfte wegen Infektion oder Quarantäne demnächst ausfallen werden. „Bei einem Personalausfall von 20 Prozent eines Lehrerkollegiums ist vollständiger Präsenzunterricht eine Illusion“, warnte Meidinger. „Wenn in den nächsten Tagen und Wochen die Abwesenheitsquote weiter zunimmt, wird der Unterrichtsausfall massiv ansteigen.“

Omikron-Welle: Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger will Schulen offen halten
Im Klassenzimmer statt zu Hause: Lehrerin Jessica Metsch unterrichtet Schüler der Klasse 7.1. an der IGS Peine. Die Schüler kommen im Wechsel zur Schule.

Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) setzt auf Präsenzunterricht mit Hygienemaßnahmen.

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Mit Sorge blicken Schulverantwortliche auf die ausbleibende Nachverfolgung der Gesundheitsämter. „Es werden kaum noch Leute in Quarantäne geschickt. Anders, als es die Bundesregierung beschlossen hat, werden trotzdem nur einzelne Menschen isoliert und keine Kontaktpersonen“, sagte Anja Bensinger-Stolze von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Das habe am Ende zur Folge, dass es an Schulen zur Durchseuchung komme. „Die Lehrerverbände sind von der Politik häufig als Alarmisten verspottet worden, wenn sie vor einer ungehinderten Durchseuchung der Schulen gewarnt haben. Jetzt ist aus unseren Warnungen leider in einigen Bundesländern Realität geworden“, sagte Meidinger. „Omikron hat inzwischen der Politik an den Schulen das Heft des Handelns aus der Hand genommen.“

Die Politik spiele mit dem Vertrauen der Betroffenen, „und das schon lange“, warnte Anja Bensinger-Stolze. „Die Lehrkräfte bekommen immer neue Regeln vorgesetzt, die zudem von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind.“ Die Schulträger, die Kultusministerinnen und ‑minister veränderten immer wieder Vorgaben und beachteten oft nicht, was das das Robert Koch-Institut empfehle. „Viele wissen tatsächlich gar nicht mehr genau, was aktuell geht und was nicht“, sagte Bensinger-Stolze dem RND.

VBE-Chef Udo Beckmann: KMK soll Omikron-Einschätzung vom Corona-Expertenrat erhalten

Deswegen fordert der Verband Bildung und Erziehung (VBE) schon „seit Beginn der Pandemie immer wieder, dass es bundeseinheitlich festgelegte Standards gibt, was bei einer bestimmten Infektion zu geschehen hat und was die Gesundheitsämter dann einzuleiten haben“, so der VBE-Vorsitzende Udo Beckmann. Die Kultusministerkonferenz (KMK) müsse sich endlich mal vom Corona-Expertenrat der Bundesregierung beraten lassen, forderte Beckmann gegenüber dem RND.

„Ich habe das Gefühl, dass die Politik nach wie vor weiter auf das Prinzip Hoffnung setzt und dass wenig auf das gehört wird, was die Interessenvertretungen von Eltern, Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften immer wieder an Forderungen und an Hinweisen aus der Praxis vorbringen.“ Auch Lehrerverbands-Chef Meidinger beklagte: „Eine systematische Einbeziehung der Schulfamilie in die Entscheidungen während der Pandemie hat es nicht gegeben.“

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Vor allem das Schwarz-Weiß-Denken der Politik mit Blick auf Corona-Maßnahmen an Schulen hält Meidinger für einen großen Fehler. Man habe so getan, „als sei die Alternative zu vollständigem Präsenzunterricht die komplette Schulschließung oder der wochenlange Distanzunterricht, den keiner will, die Lehrkräfte mit Sicherheit auch nicht“. Die Politik sei in diesem Antagonismus gefangen. Man habe versäumt, differenzierte Maßnahmen zu entwickeln, um auf heftige Infektionswellen zu reagieren.

GEW: „Muss man wirklich um jeden Preis Prüfung machen?“

„Wir brauchen nach wie vor einen möglichst bundeseinheitlichen Orientierungsrahmen, der es Schulen abhängig vom Infektionsgeschehen ermöglicht, angemessen zu reagieren“, fordert Meidinger. Das bedeute aber nicht gleich Distanzunterricht: Auch eine vorübergehende Aussetzung der Präsenzpflicht oder des Mindestabstands im Unterricht sei laut Meidinger eine Möglichkeit. „Übrigens hätte der viel gescholtene Distanz- und Wechselunterricht deutlich besser funktioniert, wenn die Politik hinsichtlich der Digitalisierung der Schulen ihre Hausaufgaben gemacht hätte. Das hat sie bis heute nicht“, prangerte Meidinger an.

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Um mit gleichen Voraussetzungen in Abschlussprüfungen zu gehen, forderte Bensinger-Stolze ein Überdenken der aktuellen Prüfungsregularien an Schulen. „Muss man wirklich um jeden Preis Prüfung machen? Oder ist es möglich, die Durchschnittsnote zu nehmen?“ Es gäbe vieles, was die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Lehrkräfte vorgeschlagen hätten. „In Deutschland könnte man die Prüfungsstellung wieder in die Hand der Schulen geben. So kann man den großen Druck, der auf den Schülerinnen und Schülern in der Pandemie lastet, rausnehmen – auch für das Abitur“, so Bensinger-Stolze.

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