Wut nach Niederlagen bei Olympia: Pekings nationalistische Spiele
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Der chinesische Sportler Shi Zhiyong bei der Siegerehrung des 73-Kilogramm-Gewichtheberwettbewerbs der Männer bei den Olympischen Spielen 2020. Seine Goldmedaille widmete er der Kommunistischen Partei seines Landes.
© Quelle: imago images/Xinhua
Peking. In China kann mittlerweile auch eine Silbermedaille Grund genug für eine tränengeschwängerte Entschuldigung sein. „Das ganze Land hat sich auf dieses Finale gefreut. Ich glaube, unser gesamtes chinesische Team kann das Ergebnis nicht akzeptieren“, sagte der 31-jährige Tischtennisspieler Xu Xin, der gemeinsam mit seiner Partnerin Liu Shiwen im gemischten Doppel gegen Japan verlor.
Der nationalistische Internetmob war außer sich: Zum ersten Mal seit 13 Jahren riss die chinesische Siegesserie, und das ausgerechnet gegen den Erzfeind schlechthin: Das kaiserliche Japan hatte schließlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teile Chinas besetzt und brutale Verbrechen an der Bevölkerung begangen – von Massakern über Massenvernichtungswaffen bis hin zu Menschenexperimenten.
Insbesondere auf Weibo, einer sozialen Plattform ähnlich wie Twitter, schäumten die Emotionen über: Jeder Chinese müsse die „Blutrache gegen Japan im Kopf behalten“, meinte etwa ein User. Andere wünschten sich, dass „diese Insel endlich untergehen muss“.
Millennial-Generation führt Wut an
Die Wut wird vor allem von der internetaffinen Millennial-Generation angeführt. „Kleine Pinks” werden die patriotischen Internetuser im Chinesischen auch genannt. Ältere Semester hingegen dürften sich noch sehr gut an die Strategie der sogenannten „Wolfsaufzucht” erinnern, die der chinesische Tischtennisverband noch in den 2000ern propagierte: Aus Angst, dass die chinesische Dominanz der internationalen Attraktivität des Sports schaden würde, hat man aktiv die Emigration von chinesischen Spielern ins Ausland gefördert und teilweise einige Athleten aus wichtigen Turnieren abgezogen.
Doch solche Nuancen gehen im Onlinediskurs der Volksrepublik längst unter. In den letzten Jahren hat sich die gesellschaftliche Stimmung unter Xi Jinping zudem stark gewandelt. Die politische Führung fördert den neu gewonnen Nationalstolz innerhalb der Bevölkerung, der nicht selten in handfeste Fremdenfeindlichkeit kippt – insbesondere in den stark zensierten sozialen Medien.
Niederlage führt zu Beleidigungen
Ein dort mindestens ebenso rotes Tuch ist der Inselstaat Taiwan, der von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird, die es notfalls auch mit militärischem Zwang wiedereinzugliedern gelte. Umso schmachvoller nahmen viele chinesische Netizens am Samstag die Niederlage gegen die Taiwaner Lee Yang und Wang Chi-lin im Badminton-Doppel-Finale auf.
„Gegen Taiwan zu verlieren war eine Schande. Ich hoffe, dass wir uns daran erinnern werden: Taiwanesen sind nicht unsere Geschwister, sondern Feinde“ lautete darauf ein viel gelikter Kommentar auf Weibo. Er gehörte noch zu den freundlicheren Postings.
Taiwans Außenminister: „China wird gefährlich, wenn es unter Druck gerät“
Taiwans Außenminister Joseph Wu fürchtet, sein Land könne eines Tages zum Sündenbock für Chinas innere Probleme werden.
© Quelle: RND
Taiwans Athleten dürfen auf Druck Pekings nur unter dem Namen „Chinesisch Taipeh” antreten und auch die offizielle Flagge nicht verwenden. Als die Sportler bei der Eröffnungszeremonie in Tokio das Stadion betraten, drehte Chinas Streamingdienst Tencent kurzerhand die Übertragung ab – und schaltete auf eine beliebige Sport-Talkshow um.
Doch da die Zensoren nicht rechtzeitig reagierten, verpassten die Zuschauerinnen und Zuschauer versehentlich auch den Einlauf der Delegation Festlandchinas.
Olympische Spiele sind politisiert
Die Politisierung der Olympischen Spiele zieht sich in China wie ein roter Faden durch die Sportveranstaltung. Das chinesische Konsulat in New York veröffentlichte etwa eine vor Wut schäumende Rede gegen den US-Fernsehsender NBC, weil dieser eine China-Karte ohne Taiwan und die Territorien im Südchinesischen Meer verwendet hat.
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Der chinesische Gewichtheber Shi Zhiyong widmete etwa seine Goldmedaille der Kommunistischen Partei, die dieses Jahr ihr Gründungsjubiläum feiert. Sie besteht nun seit 100 Jahren. Und am Montag haben zwei Athletinnen des chinesischen Bahnradsprints bei der Siegerehrung Anstecknadeln mit dem Konterfei Mao Tsetungs getragen. Das internationale Olympische Komitee, stets auf politisch neutrale Spiele bedacht, prüft nun einen möglichen Regelverstoß.
Dabei sind die nationalistischen Untertöne nur ein Vorgeschmack für kommenden Winter: Dann nämlich finden die Olympischen Spiele in Peking statt.