Nominierung von Scholz: Das Rennen um die Kanzlerschaft ist eröffnet
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Dass Olaf Scholz SPD-Kanzlerkandidat wird, war längst klar. Jetzt ist es auch offiziell. Den Weg dahin hat die SPD überraschenderweise nicht verstolpert.
© Quelle: imago images/Xinhua
Berlin. Die Brasserie Le Bon Mori ist einen Steinwurf vom Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg entfernt. Man muss nur die Straße überqueren, um es sich auf den dunkelgrünen Lederbänken bequem zu machen und so etwas wie “einen kulinarischen Kurzurlaub in Frankreich” zu genießen, den der Küchenchef seinen Gästen verspricht.
Den vier Männern und der Frau, die das Restaurant am Abend des 7. Juli betreten, geht es indes weniger um französische Rotwein- und Käsespezialitäten. Es ist eine Arbeitsbesprechung, die an diesem Abend zwischen den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Generalsekretär Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und Vizekanzler Olaf Scholz stattfindet.
Es geht um die Zukunft der SPD, um die Frage, wer die Partei in die Bundestagswahl 2021 führen soll, und ein bisschen geht es damit auch um die Zukunft des Landes.
Scholz tritt für die SPD als Kanzlerkandidat an
Bundesfinanzminister Olaf Scholz soll für die SPD als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl im nächsten Jahr antreten.
© Quelle: Reuters
Dabei ist die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt im Grunde längst gefallen. Olaf Scholz wird Kanzlerkandidat der SPD. Er ist der Einzige, der das wirklich will, und nach Meinung vieler Genossen auch der Einzige, der das wirklich kann.
Fraktionschef Mützenich war zwar zwischenzeitlich öffentlich gehandelt worden – doch der Mann aus Köln hatte in Wahrheit keinerlei Ambitionen. Intern hatte er das früh deutlich gemacht und zeitweise mit der Idee gespielt, diese Absage auch öffentlich zu erklären. Doch dann stellte sich Mützenich in den Dienst der Partei. Für Esken und Walter-Borjans war es wichtig, wenigstens den Eindruck zu wahren, dass sie eine freie und souveräne Entscheidung treffen könnten. Mützenich tat seinen Vorsitzenden den Gefallen, diesen Eindruck aufrechtzuerhalten.
An dem Abend im Le Bon Mori geht es also nicht mehr um das Ob einer Kanzlerkandidatur von Scholz, sondern nur noch um das Wie. Ein Termin für die Verkündigung der Kandidatur wird in dem dreistündigen Gespräch beschlossen. Und ein Fahrplan dorthin.
Der erste nicht verstolperte Wahlkampfstart seit Schröder
Dass dieser Fahrplan gehalten und dass niemand Wind von der Sache bekommen hat, ist schon eine Nachricht an sich. Zum ersten Mal seit Gerhard Schröder verstolpert die SPD den Start in eine Kanzlerkandidatur nicht. Im Gegenteil: Alle befolgen den von Generalsekretär Klingbeil ausgetüftelten Regieplan.
Am Montagnachmittag marschiert Olaf Scholz gut gelaunt in ein zur Eventlocation umgebautes ehemaliges Gasometer im Berliner Ortsteil Schöneberg. Walter-Borjans und Esken nehmen den Mann aus Hamburg in ihre Mitte. Am Morgen hatten sie ihre Entscheidung dem SPD-Präsidium formell mitgeteilt, dem Vernehmen nach äußerten alle Mitglieder Zustimmung. Danach tagte der Parteivorstand. Auch dort ging die Personalie einstimmig durch, nicht mal eine Enthaltung soll es gegeben haben. Die Sozialdemokraten – zumindest ihre Amts- und Funktionsträger – präsentieren sich an diesem Tag einig wie lange nicht.
Es ist schon eine besondere Wendung – selbst in der an Turbulenzen nicht gerade armen jüngeren Parteigeschichte der SPD. Denn Scholz war ja genau genommen gleich zweimal politisch erledigt. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles im Frühjahr 2019 sah es kurzzeitig so aus, als könne es auch ihren treuesten Mitstreiter hinwegfegen. Und als Scholz dann Ende des Jahres im Mitgliedervotum um den Parteivorsitz gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verlor, wurden die politischen Nachrufe auf ihn nicht nur geschrieben, sondern auch gedruckt.
Aber die Bundespolitik ist ein extrem volatiles Geschäft geworden, weshalb am Ende häufig derjenige triumphiert, der den längsten Atem hat. Und das ist nun Olaf Scholz.
Es hat deshalb durchaus etwas Symbolhaftes, als er im Gasometer seine Atemschutzmaske abnimmt. Er weiß, das ist sein Triumph. Auch wenn er erst einmal nichts sagen darf. Es sind Esken und Walter-Borjans, die nun die Kandidatur ein bisschen länglich begründen.
Scholz habe mit seiner “entschlossenen und durchsetzungsstarken Art, aber auch mit seiner Besonnenheit” einen wesentlichen Anteil daran, dass Deutschland bislang so gut durch die Corona-Krise gekommen sei, sagte Walter-Borjans: “Krisen meistern zu können, das ist ein ganz wichtiges Qualitätskriterium für einen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wir sind uns ganz sicher, dass Olaf Scholz dieses Kriterium erfüllt.”
“Wir wissen auch, dass diese Entscheidung für viele eine ungewöhnliche Wendung darstellt”, räumt Esken gleich darauf ein. “Gerade diejenigen, die wir überraschen, möchten wir um Vertrauen bitten auf diesem gemeinsamen Weg.”
“Es ist zum Kotzen”, wütet ein linker Genosse
Es ist ein Appell an die eigene Anhängerschaft, die Scholz in inniger Abneigung verbunden ist. Stellvertretend für viele macht Henning Höppe, Chemieprofessor von Beruf und in Augsburg Beisitzer im Vorstand des SPD-Ortsvereins Untere Stadt, seinem Unmut bei Twitter Luft: “Sorry. Unsäglich Saskia. Es ist zum Kotzen.”
Wie viele das so sehen wie er, ist schwer zu sagen. Die Mandats- und Funktionsträger der SPD geben sich begeistert. “Olaf Scholz kann Kanzler. Wir spielen mit ihm im nächsten Jahr auf Sieg und nicht auf Platz”, sagte Fraktionsvize Dirk Wiese dem RND. SPD-Europaparlamentarierin Katarina Barley nennt die Nominierung ein “gutes Signal an alle progressiven Kräfte in der EU”.
Kanzlerkandidat Scholz: "Ich will gewinnen"
Der neu ernannte Spitzenkandidat der SPD für die nächste Bundestagwahl; Vizekanzler Olaf Scholz, sagt, er wolle die kommende Bundesregierung anführen.
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Scholz selbst bedankt sich artig für das Vertrauen und verspricht Geschlossenheit und Kooperationsbereitschaft. Er meint das auch mit Blick auf die Bundesregierung. “Der Wahlkampf beginnt nicht heute”, sagt er. “Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun.” Am Ziel allerdings lässt Scholz auch keinen Zweifel: “Ich will gewinnen.”
Die anderen Parteien setzt die SPD mit ihrer Ankündigung aber doch unter Zugzwang. Auch wenn sie sich nach außen gelassen geben.
Die Union bleibt “gelassen”
Am ruhigsten bleibt es bei der Union. Die CDU-Zentrale ist noch im Sommerferienmodus: Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist im Urlaub. Zu Scholz schweigt sie zunächst. Abtropfen lassen und so versuchen, die Nachricht zur Fußnote schrumpfen zu lassen, das ist die Strategie. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak verschickt eine Handlungsempfehlung: Die Nominierung “nehmen wir mal gelassen zur Kenntnis”, heißt es darin. “Für Wahlkampf ist jetzt nicht die Zeit.” Und ohnehin: Die SPD nominiere einen Kandidaten, den sie bei der Wahl zum Parteivorsitz nicht überzeugend genug fand.
Allerdings ist bei der CDU selbst noch nicht einmal klar, wer künftig die Partei führen soll – von der Kanzlerkandidatur ganz abgesehen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der frühere Umweltminister Norbert Röttgen und der Vizepräsident des CDU-nahen Wirtschaftsrats, Friedrich Merz, haben sich für den Vorsitz gemeldet. Wer auch immer vom Parteitag im Dezember gewählt wird, hätte auch Aussichten auf die Unionskanzlerkandidatur.
Eigentlich hat die Union die Grünen als Hauptgegner ausgemacht. Mit großem Schwung stürzen sich die Generalsekretäre zudem auf die Offenheit der SPD-Chefs für ein Bündnis mit der Linkspartei, die sie am Tag vor der Nominierung noch eilig angekündigt hatten.
Mit Scholz wird eine Rote-Socken-Kampagne nun wohl schwieriger, weshalb sich die Union fürs Erste lieber auf das Binnenverhältnis zwischen SPD und Kandidat einschießt. “Als Bundesfinanzminister macht Olaf Scholz einen pragmatischen Job, aber an seiner irrlichternden SPD wird er schnell verzweifeln und vermutlich scheitern”, sagt Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann dem RND. Und Röttgen sieht in Scholz eine “taktische Lösung, die nicht glaubwürdig ist”.
Die Grünen machen einen auf “cool”
Die Grünen reagierten so, wie sie sich seit Monaten am besten gefallen: cool. Man werde sich auf keinen Fall unter Zugzwang setzen lassen, sagte Parteichef Robert Habeck nach der Vorstandssitzung in Berlin.
Auch die Debatte über eine Koalition von SPD, Linken und Grünen will die Grünen-Spitze nicht vorantreiben. Dabei hatte SPD-Chefin Esken am Vortag nicht einmal ausgeschlossen, dass ihre Partei als Juniorpartner unter grüner Führung antreten würde – auf “progressive Inhalte” komme es an. Die seien nun gerade von Scholz nicht zu erwarten, spottet man beim linken Flügel der Grünen: “In der Vergangenheit ist Olaf Scholz nicht unbedingt als progressiver Vorkämpfer aufgefallen, sondern eher als Verwalter des Status quo”, sagt etwa der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler dem RND. Fraktionsvize Konstantin von Notz liest Scholz als Zeichen dafür, “dass es überhaupt nicht ausgeschlossen ist, dass es nach der Bundestagswahl 2021 wieder zu einer GroKo kommt”.
Andere Parteien reagieren abwartend auf die Nominierung von Olaf Scholz
Die SPD-Führung hat Finanzminister Olaf Scholz als "Kanzlerkandidaten" für die Bundestagswahl im nächsten Jahr nominiert.
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Das dürfte auch die größte Angst der Parteichefs Habeck und Annalena Baerbock sein. Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün, das dürfte für die megaflexiblen Grünen keine Zerreißprobe mehr werden. Der Unterschied: Regierten sie mit SPD und Linken, würde nach aktueller Umfragelage nicht Scholz Kanzler, sondern – ja, Habeck oder Baerbock. Dem Vernehmen nach wollen die beiden Parteichefs diese Frage unter vier Augen klären. Kein Wunder, dass die Grünen noch etwas Zeit brauchen, ehe sie in den Wahlkampf starten können.
Die SPD hat da nun einen gewissen Vorsprung. Den allerdings kann sie auch gut gebrauchen. Wenn er im Kampf um das Kanzleramt mitmischen will, wird Scholz in den Umfragen kräftig aufholen müssen.