Olaf Scholz in Lissabon: Nur mal kurz die Welt retten
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/PWH55B3QKRFXBGKM3PP3FRGLSI.jpeg)
Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Rande des Treffens mit seinen EU-Kollegen in Lissabon.
© Quelle: Armando Franca/AP/dpa
Lissabon. 15 Monate. Er hat das noch einmal nachgerechnet. So lange ist es her, dass Olaf Scholz zum letzten Mal mit großem Tross zu einem internationalen Gipfel gereist ist. Im Februar 2020 war das, Scholz flog damals zum G20-Finanzministertreffen nach Riad in Saudi Arabien. Dann kamen die langen Corona-Monate, die den Menschen im Land aber auch dem Vizekanzler und Krisenmanager Scholz einiges abverlangt haben.
Man kann nicht sagen, dass in diesen Monaten alles glatt gelaufen ist. Die Zustimmung der Deutschen zu ihrer Bundesregierung ist stark gesunken, auch die SPD konnte sich der allgemeinen Unzufriedenheit nicht entziehen. Wie festgemauert verharrt die Partei in den Umfragen zwischen 14 und 16 Prozent, was sich auch mit der Übernahme der Kanzlerkandidatur durch Olaf Scholz nicht änderte.
Am Donnerstagabend aber ist Scholz guter Dinge. Um kurz nach 22 Uhr ist der Regierungsflieger vom Flughafen Willy Brandt abgehoben, eine gute Stunde später steht Scholz im hinteren Teil des Flugzeugs und sagt „Ich freue mich, dass es wieder losgeht.“ Die Maschine fliegt in Richtung Lissabon, wo der Rat der europäischen Finanzminister (Ecofin) in Präsenz tagt. Es ist nur ein informelles Treffen, aber immerhin. Das sei doch ein „Zeichen der Hoffnung“, findet Scholz.
Scholz will den Takt vorgeben – auch auf dem internationalen Parkett
Und gleichzeitig ist der inoffizielle Gipfel für den Kanzlerkandidaten der SPD eine willkommene Gelegenheit, sich in einem Umfeld zu präsentieren, das seinen Kontrahenten Annalena Baerbock (Grüne) und Armin Laschet (CDU) bislang verwehrt ist: auf der internationalen Bühne.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/R3Z7GL4YNNGG7JZSOPYMHQN33Q.jpeg)
Lissabon: Bruno Le Maire (links), Finanzminister von Frankreich, und Olaf Scholz (SPD), Finanzminister von Deutschland, sprechen während eines Treffens der EU-Finanz- und Wirtschaftsminister.
© Quelle: Armando Franca/AP/dpa
Scholz, dessen Selbstbewusstsein selbst langjährigen Begleitern bisweilen etwas unheimlich ist, hat in seiner Zeit als Finanzminister keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich den Tanz auf dem diplomatischen Parkett nicht nur zutraut, sondern dass er dort auch den Takt vorgeben will.
Erst in der vergangenen Woche hat er eine Idee vorgestellt, wie Industrieländer ihre Wirtschaft auf CO₂-neutrale Produktionsweise umstellen und sich gleichzeitig vor Billigkonkurrenz aus Ländern mit geringeren Klimaschutzstandards schützen können. „Klimaclub“ heißt seine Lösung für dieses Dilemma. Die Mitgliedsstaaten sollen sich beim Einsparen von Klimagasen auf gemeinsame Standards einigen und einen Grenzausgleich für die Einfuhr von Waren aus Drittstaaten beschließen.
Solche Konzepte brauche es jetzt, sagt Scholz. Bevor jedes Land von Japan bis Kanada eigene Strategien bastele, die dann in einigen Jahren wieder mühsam zusammengeführt werden müssten, könne man das doch besser jetzt schon zusammendenken, findet er. „Wir müssen kooperieren. Wir müssen etwas aufbauen, das unsere Industrie schützt, wenn wir uns an Klimaschutzpläne halten und andere nicht.“
Es ist ein echter Scholz. Dinge zusammendenken, dicke Bretter bohren, vorangehen, so sieht sich der Mann aus Hamburg am liebsten. Dass viele in der SPD lieber konkrete Ergebnisse im Kleinen statt großer Visionen sehen würden, dass viele Menschen bei der Art nicht mitkommen, wie er Probleme denkt und beschreibt, ficht ihn nicht an. Er versteht es ja für alle anderen mit. Muss doch eigentlich reichen.
Gute Nachrichten zum Frühstück
Am Freitagmorgen in Lissabon erwartet Scholz am Frühstückstisch eine gute Nachricht. Die neue US-Regierung von Präsident Joe Biden hat in der Nacht vorgeschlagen, eine weltweite Steueruntergrenze von 15 Prozent einzuführen. Mindestens. Damit kommt Bewegung in die jahrelange Debatte auf Ebene der Industrieländerorganisation OECD, wie die Steuerflucht großer Konzerne verhindert werden kann. Auch Scholz hat sich daran bislang die Zähne ausgebissen. Dabei verkündet die SPD seit Jahren, dass es ein Unding sei, wenn der Bäcker an der Ecke mehr Steuern bezahle als die Filiale der internationalen Kaffeehauskette gegenüber.
Ein „Durchbruch“ sei die Nachricht aus Washington jubelt Scholz in fließendem Englisch, bevor die Tagung mit seinen EU-Kollegen beginnt. Er sei an diesem Morgen „sehr froh“, weil er hart und lange daran gearbeitet habe. Schon im Sommer könnte es eine Einigung geben, hofft der Finanzminister.
Womöglich schon beim Treffen der G20-Finanzminister im Juli? Wahlkämpfer Scholz weiß, dass er eine solche Erfolgsmeldung in dieser Phase wirklich gut gebrauchen könnte.
Nach seinem Statement marschiert er in das Kongresszentrum, wo weitere große Themen auf der Tagesordnung stehen. Eines ist der 750 Milliarden Euro schwere Fonds, mit dessen Hilfe die EU die Corona-Krise überwinden will, den aber noch nicht alle Mitgliedsländer ratifiziert haben. Bis zu Sommer werde das passieren, sagt Scholz. „Wir werden dann einen neuen Schritt in der europäischen Geschichte gehen.“
Scholz hat noch eine Menge mehr Ideen, wie es mit der Entwicklung der EU weitergehen könne. Auch für die will er im Kreis seiner Kollegen werben.
Sein letzter internationaler Auftritt in Riad hat ihm übrigens Glück gebracht. Direkt im Anschluss gewann sein Nachfolger Peter Tschentscher die Wahl in Hamburg. Womöglich ein gutes Omen. Gebrauchen könnte Scholz es jetzt allemal.