Kann Scholz führen? Deutschlands Bild im Ausland trübt sich ein

Wie nun weiter? Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sitzung seines Kabinetts am 26. Januar in Berlin.

Wie nun weiter? Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sitzung seines Kabinetts am 26. Januar in Berlin.

Außenministerin Baerbock zum Ukraine-Konflikt: Bundesregierung mit geschlossener Haltung
27.01.2022, Berlin: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. Auf der Regierungsbank sitzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Hauptthemen der 14. Sitzung der 20. Legislaturperiode sind die Schlussberatung und Verabschiedung des Nachtragshaushalts 2021, sowie Debatten zum Ukraine-Konflikt, zur Zukunft Europas, zur deutschen G7-Präsidentschaft, und zur deutschen Landwirtschafts- und Ernährungspolitik. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestags erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die Bunderegierung trete im Thema Ukraine geschlossen auf.

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Katrin Bennhold, Korrespondentin der „New York Times“ in Berlin, hatte dieser Tage Grund zur Freude. Ihre Kollegen am Hudson River platzierten Bennholds jüngsten Beitrag über Deutschland auf Seite eins der nach wie vor einflussreichsten Zeitung der USA. „Deutschland schwankt im Drama um die Ukraine und beunruhigt seine Verbündeten“, lautete die Schlagzeile.

Deutsche Diplomaten in Berlin und in aller Welt lasen den Artikel mit ihren ganz eigenen Gefühlen: Für sie hätte der Tag nicht unerfreulicher beginnen können.

Im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt in Berlin sagt es niemand laut: Sieben Wochen nach ihrem Amtsantritt ist die von Olaf Scholz geführte neue Bundesregierung außenpolitisch ins Gerede gekommen.

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Das Thema ist nicht mehr nur eine Sache für Spezialisten. NBC zum Beispiel, einer der großen amerikanischen Sender, auf dem viele Amerikaner abends die Nachrichten sehen, bevor sie sich dem Unterhaltungsprogramm zuwenden, stellte Deutschland soeben als „das schwächste Glied in der Kette“ der westlichen Welt dar.

Zur Illustration jüngster deutscher Seltsamkeiten zeigten mehrere US-Sender Bilder des vor wenigen Tagen entlassenen Chefs der deutschen Marine, der in einem kontroversen Interview in Indien gefordert hatte, man solle Wladimir Putin mehr Respekt zeigen.

„Deutschland denkt immer nur sich“

Mehr Respekt für Putin? Ausgerechnet jetzt? Und dieser Mann war bis vor Kurzem Deutschlands höchster Admiral?

Auch in Großbritannien, Dänemark, den drei baltischen Republiken, Polen und den Niederlanden nimmt die Kritik an den Deutschen zu: Erst hätten sie aus lauter Sorge um ihre Geschäfte gezögert, Russland für den Fall eines Einmarsches in der Ukraine Sanktionen anzudrohen, einschließlich des Verzichts auf Nord Stream 2. Und nun weigerten sie sich auch noch, den Ukrainern mit der Lieferung von Defensivwaffen zumindest bei der Selbstverteidigung zu helfen.

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„Deutschland denkt eben immer nur sich“, schimpft eine Leserbriefschreiberin aus New Jersey.

Es half den Deutschen nicht, dass am Donnerstag in Berlin Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) den Ukrainern die Lieferung von 5000 Helmen zusagte. Im Gegenteil, die Kommentare in den sozialen Netzwerken wurden noch bitterer. „Schlimmer als nichts“, sei das, ätzte ein Kritiker. „Als ob man einem Kellner einen Cent Trinkgeld gibt.“

Die ehrwürdige „Times“ in London höhnte, Berlin sei immerhin einen Schritt hinausgegangen über die von Kiew befürchtete Lieferung von Kissen für eine Kissenschlacht.

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Inzwischen geht es in den Debatten über Deutschland auch um den Kanzler persönlich. Ganz Brüssel, meldet das europäische Politikportal „Politico“, diskutiere derzeit über die Frage nach der Führungskraft des neuen deutschen Regierungschefs: „Can Scholz lead?“

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Verblüfft hatten die EU-Partner zur Kenntnis genommen, dass Scholz anfangs die Gaspipeline Nord Stream 2 komplett aus der Sanktionsdebatte heraushalten wollte. Inzwischen hat er die These vom „rein wirtschaftlichen Projekt“ aufgegeben. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, sagt Scholz – doch seine an dieser Stelle weiterhin sehr leise und undeutliche Art lässt Zweifel aufkommen an einer wirklich klaren Haltung Deutschlands.

Als gäbe es gar keine Krise

Scholz nimmt offenkundig Rücksicht auf Leute in seiner Partei: auf SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der zu Beginn der Krise klipp und klar gefordert hatte, Nord Stream 2 auszuklammern, auf den SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich, der seit Langem von einer neuen Russlandpolitik träumt, und auch auf Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die erst dieser Tage wieder gesagt hatte, nun sei es aber an der Zeit, die Pipeline endlich zu zertifizieren.

Als Scholz diese Woche in Berlin neben dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor die Presse trat, überließ er einmal mehr dem Franzosen alle markigen Worte. Macron warnte die Russen vor einer Eskalation und warf ihnen vor, in Europa zunehmend zu einer „Kraft der Instabilität“ zu werden. Zugleich stellte Macron in Aussicht, er werde noch am Freitag mit Wladimir Putin reden. Der Franzose hat die Lücke gesehen, die durch den Abgang Angela Merkels entstanden ist – und sie bereits ausgefüllt. Berlin macht sich jetzt politisch kleiner, als es ist.

Auch militärisch duckt sich Deutschland derzeit weg, und zwar gleich doppelt: bei zusätzlichen Aktionen der Nato für die Mitgliedsstaaten Estland, Lettland und Litauen ebenso ebenso wie bei Waffenlieferungen für das Nichtmitglied Ukraine.

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Ein pazifistisches Land? Nicht ganz

Um das Vertrauen der baltischen Republiken ins Bündnis zu stärken, schickt Dänemark mehr Flugzeuge und Spanien eine zusätzliche Fregatte. Frankreich will Truppen nach Rumänien entsenden. Die Niederlande verlegen Kampfflugzeuge vom Typ F-35 nach Bulgarien. Aus Deutschland kommt: nichts.

Um den Ukrainern Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, fliegen Briten und Amerikaner täglich Waffen nach Kiew. Lieferungen kommen auch aus Estland, Lettland, Litauen, Polen und Tschechien. Die Amerikaner zeigten in der Nacht zum Donnerstag, dass in einem einzigen ihrer Flugzeuge 300 Panzerabwehrsysteme vom hochmodernen Typ Javelin Platz gefunden hatten. Die Türkei liefert der Ukraine Kampfdrohnen, die sich gegen Panzer einsetzen lassen. Aus Deutschland kommen: Helme.

300 Javelin-Panzerabwehrsysteme pro Flug liefert die US-Luftwaffe derzeit nach Kiew. Die Aufnahme entstand in der Nacht zum 26. Januar.

300 Javelin-Panzerabwehrsysteme pro Flug liefert die US-Luftwaffe derzeit nach Kiew. Die Aufnahme entstand in der Nacht zum 26. Januar.

Man müsse das verstehen, hob am Donnerstag ein Militärexperte im globalen „CNN Talk“ an, der aus Abu Dhabi gesendet wurde: Deutschland sei nach dem Zweiten Weltkrieg „ein pazifistisches Land“ geworden.

Andere Teilnehmer der Debatte widersprachen prompt: Berlin wolle mit Russland im Geschäft bleiben, allein hier liege der Grund der Zurückhaltung. Deutschland sei in Wahrheit einer der größten Rüstungsexporteure der Welt – und schrecke nicht mal vor Lieferungen nach Ägypten zurück.

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Die Blamierten bemerken die Blamage nicht

Auf diesen Punkt zielt auch die wachsende Kritik aus Kiew. Waffenlieferungen mit weihevollem Ton unter Verweis auf Deutschlands Geschichte auszuschließen, halten die Ukrainer für den Gipfel der Heuchelei. Tatsächlich fielen dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion nicht zuletzt Ukrainer zum Opfer. „Warum bei der Rücksichtnahme auf damalige Opfer nur nach Moskau geblickt wird, war mir schon immer völlig schleierhaft“, urteilt die in Ukraine-Freundschaftskreisen engagierte langjährige Grünen-Europapolitikerin Rebecca Harms.

Braucht die Berliner politische Szene vielleicht erst mal, wie beim Thema Impfpflicht, eine „Orientierungsdebatte“? So etwas könnte wohl helfen. Denn noch bedrückender als die zunehmende Blamage Deutschlands ist der Umstand, dass die Handelnden von ihrem Blamiertsein gar nichts merken.

Mit allzu großem Ernst verkündete Verteidigungsministerin Lambrecht den Helm-Beschluss – den schon wenige Minuten später der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko einen „absoluten Witz“ nannte. Kann niemand in der neuen Berliner Regierung solche Reaktionen vorher abschätzen, einschließlich des sauren Regens, der jetzt weltweit in den social networks auf Deutschland niedergeht?

Deutschland allein zu Hause?

Wolfgang Ischinger, einst deutscher Botschafter in Washington und London, fragte schon am vorigen Wochenende auf Twitter: „Wie vielen in Berlin ist eigentlich bewusst, wie massiv unsere konfus wirkende Ukrainepolitik nicht nur Deutschland, sondern der gesamten EU schadet? Unsere östlichen Partner klammern sich immer stärker an USA/Nato, die Glaubwürdigkeit der EU leidet Schaden. Germany home alone?“

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Deutschlandkritiker im Ausland wählen inzwischen eine ruppigere Tonart als bisher. Zu spüren bekommen dies sogar so allseits beliebte transatlantische Akteure wie Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington. Dieser Tage schrieb Haber auf Twitter, Deutschland arbeite Hand in Hand mit den westlichen Verbündeten „am gemeinsamen Ziel: der Verteidigung der Souveränität der Ukraine.“

Eine Frau aus Colorado konterte knallhart mit dem Wunsch nach Konkretem: „Es ist Zeit, dass Deutschland der Ukraine defensive Waffen liefert.“ Eine Trumpistin? Nein. In ihrem Account stellt sie sich als Demokratin vor, Unterstützerin von „Biden/Harris 2020″, Black Lives Matter und der Schwulen- und Lesbenbewegung.

Ein Kipppunkt ist erreicht. Deutschland verliert derzeit weltweit an Sympathie – auch in Kreisen, in denen es noch vor nicht allzu langer Zeit als ein vorbildliches Land gefeiert wurde.

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