Beruhigungspillen des Bundeskanzlers für die Bevölkerung
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/YGI7FZAE5NEONBY35SQNPAWWNI.jpg)
Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag.
© Quelle: IMAGO/Fotostand
Berlin. 27 Minuten Zeit nimmt sich der Bundeskanzler für die Erklärung seiner Politik. Erläuterungen sind dringend nötig, denn der Großteil der Bevölkerung ist verunsichert. Vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die hohe Inflation beunruhigen nach einer neuen Allensbach-Studie mehr als 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger.
Olaf Scholz verteilt am Mittwoch im Bundestag mit seiner Regierungserklärung Beruhigungspillen. Er geht auf den Krieg, die Inflation, die wachsende Zahl von Geflüchteten, das umstrittene milliardenschwere US-Investitionsprogramm und den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel ein. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) verlangt vom Kanzler, Ankündigungen auch wahr zu machen.
Das Kanzlerversprechen: „Wir behalten die Nerven“
Scholz versichert, dass Deutschland und die Nato nicht in Russlands Krieg hineingezogen würden, und warnt zugleich vor einem Wetteifern um Waffenlieferungen. Der Zusammenhalt des Bündnisses werde gestärkt, indem Entscheidungen zunächst vertraulich vorbereitet würden. „Was unserer Geschlossenheit hingegen schadet, ist ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert mehr?“ Kritik an Verbündeten nützten nur einem: Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
Scholz betont, er werde bei den Waffenlieferungen „die Umsicht und die Nervenstärke“ für die nötigen abgewogenen Entscheidungen behalten. Und verspricht: „Darauf können die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes fest vertrauen. Und dafür stehe ich mit meinem Wort.“ Am Nachmittag wird bekannt, dass er und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Paris treffen wollen. Zuvor war Selenskyj in London, danach wird er in Brüssel erwartet. Selenskyj fordert etwas, was Scholz in neue Bedrängnis bringt: Kampfjets.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Der Newsletter mit persönlichen Eindrücken und Hintergründen aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Scholz will Subventionswettlauf mit den USA verhindern
Das allgemeine Unbehagen über das milliardenschwere US-Investitionsprogramm, über den sogenannten Inflation Reduction Act, bezeichnet Scholz lediglich als „gute Ausgangsbasis“ für die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA. Die USA müssten auf Regeln verzichten, die europäische Unternehmen gegenüber Unternehmen etwa aus Kanada und Mexiko benachteiligten.
Das US-Programm ist umstritten, weil es Milliardeninvestitionen in den Klimaschutz an solche Subventionen und Steuergutschriften knüpft, sodass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. Die EU werde partnerschaftlich und gelassen mit Washington beraten, erklärt Scholz. Er warnt einerseits vor „Kassandrarufen“ und andererseits vor einem „ungehemmten Subventionswettlauf mit den USA“.
„Wutwinter“ nicht eingetreten – kein wirtschaftlicher Niedergang
Es sei auch nicht zu einem wirtschaftlichen Niedergang infolge des Krieges in der Ukraine gekommen. Deutschland sei deutlich besser durch diese schwierige Zeit gekommen, als viele befürchtet hätten. Die Energiepreise gingen wieder zurück. Weder habe es einen „Wutwinter mit Massenprotesten“ gegeben noch hätten Menschen in Deutschland frieren müssen. Große Sorgen haben sie laut Umfragen trotzdem.
Scholz kündigt weitere Sanktionen gegen Russland an
Scholz machte die Prinzipien seiner Ukraine-Politik deutlich – und sprach sich gegen einen „Überbietungswettbewerb“ bei Waffenlieferungen aus.
© Quelle: Reuters
„Wer kein Bleiberecht hat, muss Deutschland verlassen“
Scholz wirbt für die Zuwanderung von Fachkräften und sagt über die Abschiebung von Geflüchteten: „Wer hier kein Bleiberecht erhält, muss Deutschland wieder verlassen.“ Ihm schallt partiell höhnisches Gelächter entgegen. Denn eines der großen Probleme in Deutschland ist, dass Abschiebungen oft scheitern, weil Herkunftsstaaten etwa straffällig gewordene Landsleute nicht zurückkehren lassen wollen. Für seine lobende Erwähnung des von Innenministerin Nancy Faeser angekündigten neuerlichen Flüchtlingsgipfels erntet er harsche Kritik von Merz. Schon das letzte Treffen habe nichts gebracht, sagt dieser. An vielen Orten seien die Aufnahmekapazitäten erschöpft, Kommunalpolitiker riefen laut um Hilfe. Da dürfe der Kanzler nicht bloß auf einen neuen Gipfel verweisen. Faeser sei außerdem schon mit ihrem „Kopf in Hessen“, wo sie Ministerpräsidentin werden will. Den Gipfel müsse Scholz schon zur Chefsache machen. Der Chef rutscht auf seinem Stuhl vor und zurück. Bequem hat er es in der Parlamentsdebatte nicht.