Länderchefs nehmen Scholz in die Mangel: Keine Kollateralschäden im Osten
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/R4DP2OUOHNHXTM3AFNX7RBS6F4.jpg)
Auf der Insel Riems nahe der Stadt Greifswald trafen sich die ostdeutschen Regierungschefs und ‑chefinnen mit Bundeskanzler Scholz.
© Quelle: IMAGO/BildFunkMV
Berlin. Sanktionsfolgen, Protestwähler und ‑wählerinnen und eine nervöse SPD: Der Zufall wollte es an diesem Montag, dass aus dem turnusmäßigen Treffen der ostdeutschen Regierungschefs in diesem Jahr ein politisch pikanter Termin wurde – nicht nur, weil der Bundeskanzler an der Ostrunde teilnahm und weil gerade Krieg herrscht.
Freilich war das der entscheidende Punkt der separaten Ministerpräsidentenkonferenz, die auf der kleinen Ostseeinsel Riems bei Greifswald stattfand: Der russische Angriffskrieg und seine Folgen drohen, vor allem durch westliche Sanktionen, besonders in Ostdeutschland spürbar zu werden – wo es die drei derzeitigen Bundeskoalitionsparteien ohnehin schwer haben.
Bundeskanzler Scholz plant offenbar Reise nach Kiew
Begleitet wird der Regierungschef des mächtigsten EU-Staats demnach von zwei europäischen Verbündeten.
© Quelle: dpa
Wahlbeteiligung vielerorts unter 50 Prozent
Zufällig fiel das Treffen auf den Tag nach den Landratswahlen in Sachsen – bei denen die CDU überraschend ihre Dominanz behauptete und in fast allen Landkreisen klar auf Platz eins landete. Doch auch die CDU muss wachsenden Frust im Osten fürchten: So lag die Wahlbeteiligung vielerorts unter 50 Prozent, teilweise holten die rechtsextremen Freien Sachsen 20 Prozent.
Alarmiert über die Stimmung im Osten war man schon vorher gewesen: „Die steigenden Energiepreise machen vielen Menschen große Sorgen. Das gilt gerade in Ostdeutschland, wo die Einkommen oft niedriger sind und oft weitere Wege zur Arbeit zurückgelegt werden müssen“, erklärte am Montag Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD).
Ausgerechnet Schwesig hält Vorsitz von Ost-MPK
Auch das ein brisanter Zufall: Der Vorsitz der Ost-MPK wechselt jährlich, ausgerechnet jetzt hält ihn aber Schwesig, die unter massivem Druck steht, weil ihre Standortpolitik rund um die Nord-Stream-2-Pipeline allzu sehr dem Kreml folgte. Dass es nun sie war, die von Olaf Scholz, der am Nachmittag hinzustieß, weitere Erleichterungen für den Osten und für Rentner und Rentnerinnen forderte, verkomplizierte die Lage zusätzlich.
Denn im Osten, wo man aus historischen Gründen direkt vom russischen Öl abhängig ist, wird mit Argwohn verfolgt, dass Scholz und sein Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die EU-Ausnahme vom Ölboykott gegen Russland ausschlagen und aus Prinzip aus den Lieferungen aussteigen wollen.
Ostländer stellen sich hinter Kurs der Ampel
Bei dem Treffen haben sich die Ostländer trotzdem klar zum Kurs der Bundesregierung bekannt, Sanktionen gegen Putins Russland zu verhängen und zudem unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden, wie Schwesig danach sagte. „Wir wollen aber gemeinsam mit der Bundesregierung dafür sorgen, dass wir die Energiesicherheit und bezahlbare Energiepreise gewährleisten.“ Der Osten könne da viel Ölenergie aus Solar- und Windkraft einbringen, er sei aber auf Hilfe angewiesen, was die Speichertechnologie anginge.
Mit Anschubfinanzierung vom Bund gründete die Runde deshalb eine „Interessenvertretung Wasserstoff“ zur Bündelung dieser Anstrengungen für den Osten. Zudem arbeite man an Alternativen zu russischem Pipelineöl.
Kretschmer warnt vor „wirtschaftlichem Fiasko“
Im Bund ist das die Baustelle von Habeck. Er weiß, wie skeptisch man in Ostdeutschland seine Ausstiegspläne verfolgt. So griff Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf Riems zu scharfen Worten: „Vieles von dem, was wir da hören, erinnert sehr an Planwirtschaft. Und es wird am Ende genauso enden: teuer und mit einem wirtschaftlichen Fiasko“. Ohne russische Energie müsse man über Atomkraft diskutieren und dürfe den Kohleausstieg nicht – wie die Grünen wollen – vom vereinbarten Jahr 2038 vorziehen.
Habeck war zwar nicht auf Riems, erklärte aber beim ostdeutschen Wirtschaftsforum im brandenburgischen Bad Saarow, dass die Taskforce zur Rettung der Raffinerie in Schwedt Optionen jenseits der Öllieferungen prüfe – etwa neue bioökonomische und chemische Verfahren. Man müsse „Schwedt zu Leuna“ machen: In der Raffinerie in Sachsen-Anhalt habe man von russischen Pipelines zu 80 Prozent auf Lieferungen aus Norwegen umgestellt.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Spotify Ltd., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Woidke warnt vor Naivität
Dafür warb auch der Ostbeauftragte der Bundesregierung am Montag: Carsten Schneider, der Thüringer SPD-Politiker, für den Scholz den Posten aus dem Wirtschaftsministerium ins Kanzleramt umgesiedelt hatte, versprach, man werde durch die Umstellung auf Tankeröl die Versorgung im Osten „zu normalen Preisen“ sichern und Wettbewerbsnachteile etwa für die Chemieindustrie der Region verhindern: „Daran ist dieser Verzicht auf russisches Öl gekoppelt“, versprach er: Keine Kollateralschäden der Embargopolitik im Osten!
Dennoch warnte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke – noch ein SPD-Genosse – vor Naivität. Es werde harte Folgen aus der Umstellung geben, die der Bund ausgleichen müsse. Das forderte auch Bodo Ramelow (Linke), Regierungschef von Thüringen, wo Tausende Jobs an der energieintensiven Glasindustrie hängen: „Eine bundesrepublikanische Kraftanstrengung, damit die neuen Länder nicht einen zusätzlichen Schlag bekommen.“