Olaf Scholz auf der re:publica: die Digitalmesse im Zeichen der Ampelkoalition
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Digital ist besser: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin.
© Quelle: Getty Images
Berlin. „In einer Gesellschaft wie dieser bin ich nur im Weg“, sang die Hamburger Band Tocotronic 1995. „Aber digital ist besser / Für mich“. Der Song wurde zur Hymne, Tocotronic sind schon lange erwachsen geworden und digital ist nicht mehr besser, sondern unvermeidlich für eine Gesellschaft wie diese.
Das zeigt sich nicht zuletzt an der Entwicklung der Digitalmesse re:publica, die noch bis Freitag nach zweijähriger Zwangspause wieder in Berlin stattfindet. Tocotronic spielen das Abschlusskonzert, und ein anderer prominenter Hamburger sprach am Donnerstag über „Digitalpolitik in der Zeitenwende“. Die Zeiten sind härter geworden, digital ist auch eine Bedrohung in Kriegszeiten.
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Bundeskanzler Olaf Scholz spricht mit Linda Zervakis, Journalistin, Moderatorin und Autorin, auf der re:publica.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Erstmals besuchte mit Olaf Scholz ein Bundeskanzler die Messe, die zu den größten Veranstaltungen ihrer Art in Europa zählt. „Any way the wind blows“ ist das diesjährige Motto der re:publica, eine Textzeile aus Queens’ „Bohemian Rhapsody“: Egal, woher der Wind weht, es kümmert mich nicht. In der „Zeitenwende“ könnte das fast schon fahrlässig klingen. „Der Wind bläst der Gesellschaft brutal ins Gesicht“, sagt Scholz dann auch.
Scholz: „Digitale Technologien als geopolitische Machtinstrumente“
„Immer häufiger werden digitale Technologien als geopolitisches Machtinstrument missbraucht, teils auch gezielt für Desinformationskampagnen“, warnte Scholz. Dazu kämen Cyberangriffe durch Staaten oder kriminelle Organisationen. „Darauf werden wir uns besser einstellen“, kündigte Scholz an. Etwas stolperte Scholz über das Wort „Splinternet“ in seiner Rede, der Abschottung des Netzes durch Zensur und Überwachung wie in China und Russland. „Eine offene und demokratische Debatte ist immer noch die stärkste Verteidigung, die wir zustande bringen können“, betonte Scholz.
Erstmals zu Besuch: Bundeskanzler Olaf Scholz auf der re:publica
Die re:publica ist eine Konferenz rund um das Web 2.0. Bundeskanzler Scholz war am Donnerstag dort zu Gast.
© Quelle: Reuters
Er versprach eine Aufholjagd beim Ausbau der digitalen Infrastruktur und verwies auf den strategischen Ansiedlungserfolg der Intel-Chipfabrik in Magdeburg. Beim anschließenden Gespräch mit Moderatorin Linda Zervakis wurde Scholz eher geschont – „wir wollen hier ja auch gute Stimmung verbreiten“, meinte Zervakis. Mit freundlichem Applaus wurde der Kanzler verabschiedet, das Publikum strömte zu den Liegestühlen an der Spreekante der neuen Konferenzlocation.
Drei Tage lang geht es wieder um Netz und Nerds, Pop und Politik, Wifi und Weltrettung, und neben Scholz ist das halbe Bundeskabinett vertreten. Bei der Vorgängerregierung war das noch fein getrennt: SPD-Vertreter wie Hubertus Heil kamen 2019 schon und kommen auch jetzt wieder gerne. Auch Scholz war als Bundesfinanzminister bereits einmal zu Gast.
Andreas Scheuer und Dorothee Bär blieben der Messe stets fern
Unionspolitiker wie Andreas Scheuer und Dorothee Bär hielten sich trotz fachlicher Zuständigkeit fürs Digitale fern, weil sie den Veranstalterkreis für zu linksgewirkt einschätzten – und damit auch nicht hinter dem Berg hielten. Und Angela Merkel, Neuland bewahre, war zwar immer eingeladen, wollte aber nie kommen, wie re:publica-Mitgründer Markus Beckedahl jetzt berichtete.
Im Eröffnungsvortrag verurteilte die Transformationsforscherin Maja Göpel den Tankrabatt der Bundesregierung als Paradebeispiel für den Irrglauben, mit Werkzeugen aus der Vergangenheit neue Ergebnisse zu erreichen. Der für den Tankrabatt zuständige Minister Volker Wissing sprach dann am Donnerstag, doch er tat es in seiner Funktion als Digitalminister.
Er wurde mit freundlichem Beifall empfangen und zitierte gleich Captain Picard aus „Raumschiff Enterprise“: „Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, sind wir alle unwiderruflich gefesselt.“ Redenschreiber glauben wohl, für die re:publica Popkulturverweise vorweisen zu müssen. Aber das Zitat passte auch zu Wissings Leitmotiv. Er warnte vor den Gefahren der EU-Pläne zur Chatkontrolle und kündigte an, private Kommunikationsräume im Netz verteidigen zu wollen.
Auf Beckedahls Fragen zur Digitalstrategie der Bundesregierung antwortete Wissing: „Unser Ansatz ist strategisch und ambitionierter“ als der der Vorgängerregierung. Alle Ressorts sollten jetzt Vorschläge machen, wie viel sie tun können, „und nicht nur, was sie tun müssen“. Die ersten Entwürfe gingen ihm noch nicht weit genug. „da muss noch Butter bei die Fische“. Er dränge dennoch auf eine Kabinettsabstimmung im Juli.
Die re:publica-Gemeinde reagiert freundlich abwartend auf die Digitalpläne der Ampel. Als wolle sie erst einmal abwarten, woher denn nun der Wind weht.
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