Hoch verschuldete Kommunen fordern Altschuldenlösung für NRW
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Das Bündnis „Für die Würde unserer Städte“ machte bereits im Oktober 2021 in Berlin auf die benachteiligten Kommunen aufmerksam. Nach der NRW-Wahl fordert das Bündnis am kommenden Montag in Düsseldorf erneut eine schnelle Lösung der Altschuldenfrage.
© Quelle: Andreas Endermann
Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben deutlich mehr Ausgaben als Einnahmen. Schließlich müssen sie hohe Sozialkosten schultern; eine Folge des noch nicht bewältigten Strukturwandels weg vom Steinkohlebergbau. Gleichzeitig nehmen sie vergleichsweise wenig an Steuern ein und müssen Berge an Altschulden bedienen. Die Folge: Das Geld fehlt, die Lebensqualität leidet. Schwimmbäder, Bibliotheken und Sportanlagen bleiben geschlossen, die Digitalisierung in Schulen lahmt.
„Die hohen Schulden knebeln viele NRW-Städte seit Jahrzehnten und engen ihren Handlungsspielraum ein“, erklärte Helmut Dedy (63), Geschäftsführer des Städtetages NRW gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die betroffenen Städte würden einen Berg von knapp 23 Milliarden Euro kommunaler Altschulden vor sich herschieben.
Städtetag NRW: „Das Zeitfenster schließt sich“
„Das Land muss den Ball der Bundesregierung für eine kommunale Altschuldenlösung annehmen und jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen“, betont Dedy. „Wir brauchen eine nachhaltige Lösung, solange die Zinsen noch niedrig sind. Das Zeitfenster schließt sich. Die Städte können nicht warten, bis lange Koalitionsverhandlungen fertig ausgehandelt sind. Jetzt müssen die Details schnell geklärt werden.“
Vorbild für eine Altschuldenlösung könnte Rheinland-Pfalz sein, das Land will etwa die Hälfte der kommunalen Altschulden seiner Städte übernehmen. Das Land erwartet nun, dass der Bund die andere Hälfte übernimmt. Saarland und Hessen als einzig weitere betroffene Länder mit hohen kommunalen Altschulden haben ebenfalls Lösungen gefunden: Dort haben die Länder mit der Hessenkasse beziehungsweise dem Saarlandpakt den Kommunen schon Teile ihrer Schulden abgenommen. Die Chancen stehen gut, dass nun der Bund den verbliebenen Teil übernimmt.
Aktionsbündnis besucht Parteizentralen
Am kommenden Montag plant das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“, dem 36 nordrhein-westfälische Kommunen angehören, die Parteizentralen von CDU, Grünen, SPD und FDP in Düsseldorf zu besuchen, um eine schnelle Lösung des Altschuldenproblems zu erwirken. „Das Thema Altschuldenlösung ist hoch drängend“, betonte Christian Herrendorf (44) vom Aktionsbündnis im Gespräch mit dem RND.
Die Inflation, höhere Zinsen, steigende Bau- und Energiekosten seien ein „Bündel an Faktoren“, das die Situation in den Kommunen zusätzlich erschweren würde. Zudem seien bereits die enormen Kosten im Zuge der Corona-Pandemie und zuletzt Kosten für die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine ein Problem: „Das sind große, finanzielle Herausforderungen, bei denen die Kommunen oftmals in Vorleistung gegangen sind“, weiß Herrendorf.
In den vergangenen Jahren haben viele Kommunen jedoch kleine Erfolge erzielt: „Sie haben enorme Sparanstrengungen unternommen und auch mit Hilfe von Bund und Ländern wieder ausgeglichene Haushalte erreicht“, erklärt Herrendorf. Es sei spürbar vorwärts gegangen.
Verschuldung Oberhausens gebremst, doch das Problem der Altschulden bleibt
Haushaltskonsolidierungen hat es auch in Oberhausen gegeben. Denn: Der Stadt Oberhausen machen rund 350 Millionen Euro an Investitionskrediten zu schaffen. Das weitaus größere Problem: Rund 1,6 Milliarden Euro an Liquiditätskrediten, also aufgenommene Schulden zur Deckung des Bedarfs an liquiden Mitteln.
In den letzten Jahren blieben Sportanlagen geschlossen, das Personal in der Verwaltung wurde abgebaut und Investitionen sowie Instandhaltungsmaßnahmen heruntergefahren: „In 2017 hatte Oberhausen dann erstmals wieder einen genehmigten Haushalt. Das hatten wir zuvor 35 Jahre lang nicht“, so Apostolos Tsalastras (SPD), Erster Beigeordneter, Kämmerer und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen im Gespräch mit dem RND.
„Einsparmaßnahmen zehren an Lebensqualität“
Doch auf Dauer sei die Konsolidierung nicht durchzuhalten: „Ständige Einsparmaßnahmen zehren an der Lebensqualität in unserer Stadt“, sagt Tsalastras (58). Die Folge: Abwanderung von Bürgerinnen und Bürgern. „Vor allem denjenigen, die es sich leisten können, ziehen weg. Also bleiben vor allem Menschen mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsgrad. Das ist ein Teufelskreis.“
Wenn eine Lösung für die Altschulden gefunden würde, würden für die Stadt Oberhausen alleine 20 Millionen Euro an Zinsen wegfallen. „Wir könnten endlich in Zukunftsaufgaben wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Digitalisierung investieren“, so Tsalastras. Derzeit könnten etwa Projekte für digitale Ausstattung in Schulen nur umgesetzt werden, wenn es Fördermittel gäbe: „Aus eigener Kraft können wir weder für ein gutes Glasfasernetzwerk sorgen noch Endgeräte für Schülerinnen und Schüler anschaffen“, bedauert Tsalastras. Und nicht nur an Schulen gäbe es finanziellen Bedarf: Auch im Kitabereich sowie im Kanal- und Straßenbau.
Krisenbewältigung eingeschränkt
Auch in der Krisenbewältigung sei die Stadt stets eingeschränkt: „Wir haben immer die Altschulden im Nacken und lösen Krisen wie die Pandemie und die Unterbringung von Flüchtlingen immer auf Kosten von anderen Dingen.“ Während der Pandemie sei beispielsweise lediglich Personal im Gesundheitsbereich umgeschichtet worden, an zusätzliches Personal sei trotz Krise nicht zu denken gewesen. Derzeit bestehe wieder die Gefahr eines Nothaushaltes.
Auch die Stadt Essen warte seit Jahren auf eine Altschuldenlösung: „Je schneller die Altschuldenhilfe kommt, umso schneller wird der Essener Haushalt von Zinsrisiken befreit und strukturell dauerhaft in Höhe von jährlich mindestens 17 Millionen Euro entlastet“, sagte Essens Kämmerer Gerhard Grabenkamp. „Dabei sollte ein Modell der Altschuldenübernahme unbürokratisch, einfach und schnell umgesetzt werden.“ Denn auch in Essen drängen Zukunftsthemen wie der Klimaschutz und Nachhaltigkeit, aber auch die Modernisierung der Verwaltung.
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Wüst gegen Kutschaty: ein Duell mit Auswirkungen für ganz Deutschland
Hendrik Wüst (CDU) ist seit rund einem halben Jahr Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty (SPD) will ihn ablösen. Davon, wer sich durchsetzt, hängt auch für die Bundesparteien einiges ab. Unterwegs zwischen Düsseldorf und Münsterland mit den beiden Spitzenkandidaten. Eine Reportage.
Bochum: „Tickende Zeitbombe“
Auch die Stadt Bochum will Zukunftsthemen angehen, ist aber nun schon jahrelang auf Sparkurs: „Haushaltskonsolidierungen und Spardiktate der Aufsichtsbehörden führten unter anderem zu erheblichen Investitionsstaus in der gesamten städtischen Infrastruktur, Einsparungen in der Stadtraumpflege, erheblichen Verzögerungen in der Digitalisierung und Abbau von Servicequalitäten“, heißt es von der Stadt auf RND-Anfrage.
Bochum ist noch mit rund 700 Mio. Euro Kassenkrediten belastet. Eine Zinserhöhung führt zu erheblichen Mehraufwendungen im Bochumer Haushalt: „Auch wenn das nicht unmittelbar erfolgt, so doch sukzessive, da auch die Stadt Bochum einen Teil ihrer Kassenkredite längerfristig finanziert hat und damit nicht sofort einem Zinsänderungsrisiko ausgesetzt ist. Nur mit einer Altschuldenlösung kann dieser tickenden Zeitbombe entgegengewirkt und zukünftige Belastungen aus unverschuldeten Risiken verhindert werden“, so Stadtsprecher Thomas Sprenger.
Für die kommenden Jahre stehen in Bochum jede Menge Investitionen an: Laut Stadt sollen 250 Millionen in die Schulinfrastruktur, 180 Millionen in die Verkehrsinfrastruktur und 160 Millionen in die Entwässerungsanlagen und den Überflutungsschutz investiert werden: „Die aktuelle Veränderung der Zinslandschaft behindert diese wichtigen Vorhaben. Eine Entlastung würde hier die Altschuldenlösung bringen.“
Nicht nur die Pandemie und der Ukraine-Krieg belasten den aktuellen Haushalt erheblich. Alleine für die Bekämpfung der Pandemie habe die Stadt Bochum in 2020 und 2021 eine zusätzliche Belastung in Höhe von voraussichtlich 90 Millionen Euro zu verzeichnen. Die gesamte Flüchtlingsfinanzierung belastet den Haushalt der Stadt Bochum noch mit rund 17 Mio. Euro, die Kitafinanzierung mit dem Recht auf U3-Betreuung führte in den letzten Jahren von 2019 nach 2022 zu einer Mehrbelastung von 30 Millionen Euro jährlich. Auch der Digitalpakt hat die Kommunen zwar aktuell bei der Bereitstellung einer Erstausstattung mit digitalen Endgeräten für Schülerinnen und Schüler unterstützt. „Langfristig ist aber noch nicht geklärt, wie die Finanzierung der digitalen Ausstattung und der digitale Support bei den Schulen durch den Schulträger realisiert werden soll“, so Sprenger.
Stadtdirektor Wuppertals: „Lösung des Altschuldenproblems überfällig“
Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Wuppertal: Der Haushalt der Stadt weist Liquiditätskredite von rund einer Milliarde auf. „Die Lösung des Altschuldenproblems ist überfällig: In der letzten Wahlperiode hat die Landesregierung leider keine Lösung in Angriff genommen, obwohl dies im Koalitionsvertrag zugesagt war. Mittlerweile ist NRW das einzige Bundesland, in dem es keine Lösung für die kommunalen Altschulden gibt“, sagte Wuppertals Stadtdirektor Johannes Slawig auf RND-Anfrage.
Wenn eine strukturelle Lösung des Altschuldenproblems unter Beteiligung von Land und Bund gelingen würde, würden zusätzliche Möglichkeiten für Zukunftsinvestitionen entstehen, vor allem beim Bau zusätzlicher Schulen, beim Ausbau von Ganztagsangeboten und beim Klimaschutz.
Auch in Wuppertal sei die sorge um die Handlungsfähigkeit der Stadt groß: „Seit 2017 ist der Haushalt wieder ausgeglichen – zum ersten Mal seit 25 Jahren. Aber die finanziellen Folgen von Corona und Ukraine-Krieg gefährden in diesem Jahr den Haushaltsausgleich. Für die Jahre ab 2023 erwarte ich wieder Fehlbeträge, die nur wenige Jahre durch Verzehr von Eigenkapital ausgeglichen werden können, bevor wieder Haushaltssicherung droht“, sagte Slawig.
Lösung müsse bis 2023 gefunden werden
„Die Erfolge der Kommunen, die Verschuldung abzubauen, waren vergeblich, wenn bis 2023 keine Lösung in der Altschuldenfrage gefunden wird“, fürchtet Herrendorf, „und der Unmut der Bürgerinnen und Bürger schlägt sich im Endeffekt in einem Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen nieder.“
Anders bei einer Lösung der Altschuldenfrage: „Wenn der kommunale Altschuldenberg endlich abgeräumt ist, können die Städte Zukunftsinvestitionen besser aus eigener Kraft stemmen. Das nährt Zuversicht vor Ort“, glaubt Städtetags-Geschäftsführer Dedy.
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