New York nach dem Tod von George Floyd: “An diesen Protesten war nichts organisiert”

Demonstranten blockieren in New York die Manhattan Bridge.

Demonstranten blockieren in New York die Manhattan Bridge.

New York. Es ist viertel nach neun am Dienstag, dem zweiten Abend der Ausgangssperre in New York, die nach den Ausschreitungen infolge der Tötung des Afroamerikaners George Floyd erlassen wurde. Und wenn es nach der Anordnung des Bürgermeisters ginge, dann wären die Straßen seit mehr als einer Stunde leer. Doch auf der Lafayette Street im Shopping District SoHo bewegt sich noch immer eine Menge von rund 1000 Demonstranten in Richtung Norden und skandiert “Black Lives Matter”.

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Einige haben Hämmer dabei, doch als einer von ihnen sich anschickt, ein Schaufenster zu zertrümmern, halten die umstehenden Mitdemonstranten ihn zurück. Am Ende der Straße stehen zwei Polizeiwagen mit Blaulicht, doch die Cops machen keine Anstalten, die Menge aufzulösen, so lange es keine Ausschreitungen gibt. An diesem Abend will niemand mehr eine Eskalation provozieren.

Bis jetzt war es ein friedlicher Tag in New York, dem fünften der Proteste gegen Polizeigewalt in der Stadt. Um sieben Uhr, dem Termin, zu dem seit Wochen die New Yorker abendlich ihre Ärzte und Krankenschwestern feiern, hielten die Demonstranten am Times Square für fünf Minuten inne, um den Lebensrettern in den Krankenhäusern ihren Tribut zu zollen. Es ist ein erhebender Moment der Solidarität und Gemeinsamkeit in einer angespannten Woche in New York.

Hunderte von Protestmärschen mitorganisiert

Dan Efram ist zu Hause geblieben an diesem Dienstag, er war bislang jeden Tag dabei. “Vielleicht ist es ohnehin zu spät”, sagt er, “aber irgendwann muss ich auch einmal an mein Covid-Risiko denken.” Efram ist ein erfahrener politischer Aktivist. Im Jahr 2016, im Anlauf zur Präsidentschaftswahl, wurde er wie viele junge Menschen von der Vision von Bernie Sanders, der damals in den Vorwahlen der Demokraten Hillary Clinton unterlag, in die Politik hineingezogen. Und als die Wahl vorbei war, hat er einfach weitergemacht.

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Seitdem hat er Hunderte von Märschen mitorganisiert, mit viel Fleiß und Herzblut. “Das war oft ein irrsinniger Aufwand, 200 Leutchen zusammenzubekommen, um für einen Gesetzesentwurf zur Strafrechtsreform im Staat New York zu demonstrieren.” Doch diesmal musste er gar nichts machen. “An diesen Protesten war nichts organisiert”, sagt Efram.

Erneut Massenproteste in den USA

In den USA hat sind am Dienstag erneut Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rassismus, Diskriminierung und Polizeibrutalität zu demonstrieren

In den verschiedenen politischen Netzwerken wurde zwar online seit dem Tag, an dem George Floyd starb, heftig über die Notwendigkeit von Aktionen gesprochen. “Doch letztlich sind die Menschen spontan auf die Straße gegangen. Ich habe in meiner politischen Karriere noch nie so etwas Wunderbares erlebt.”

Es gab nie einen Marsch in New York, einen Treffpunkt oder eine Route. In allen Stadtteilen ist man zu den größeren Plätzen gegangen, hat sich getroffen und ist dann gemeinsam die Boulevards heruntermarschiert. Und überall sind die Menschen mitgelaufen. “Wenn ich an Occupy Wall Street zurückdenke”, so Efram, “da wurden wir von vielen Leuten beschimpft. Diesmal war es das Gegenteil.” Das war am vergangenen Freitag. Und so geht es seither weiter. Tag für Tag, und es ist kein Ende in Sicht.

Gouverneur bezichtigte Bürgermeister, versagt zu haben

Natürlich gab es auch gewaltsame Eruptionen. Gerade in den ersten Tagen. Polizeiwagen wurden zertrümmert und mit Molotowcocktails angezündet. Ein umzingeltes Polizeifahrzeug fuhr in eine Menge und verletzte Umstehende. Und es gibt Abend für Abend die Plündereien. So wie am Montagabend, als aus dem Nichts Autos mit Jugendlichen in Midtown auftauchten, die Jugendlichen gezielt und systematisch in die Läden und Kaufhäuser rannten, den Kofferraum vollluden und wieder verschwanden. “Das hilft natürlich niemandem”, sagt Efram. “Aber man muss das verstehen. Die Leute sind wirtschaftlich unter enormem Druck.”

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US-Professorin Layne: “Maischbergers Redaktion hat mich erst am Dienstagnachmittag kontaktiert”

Die US-amerikanische Professorin Priscilla Layne wird in Sandra Maischbergers Talk zugeschaltet – und kritisiert die Gästeauswahl scharf.

So denken mittlerweile viele über die Plündereien. Immer wieder werden die Worte von Martin Luther King zitiert, der sagte: “Krawall ist die Sprache der Ungehörten. Man kann sie nicht verurteilen, ohne die unerträglichen Zustände in unserer Gesellschaft zu verurteilen.” Dennoch waren es diese Zwischenfälle, die zu Beginn der Woche zu den Ausgangssperren führten. Gouverneur Cuomo bezichtigte öffentlich den Bürgermeister, versagt zu haben. Vor allem aber wollen beide vermeiden, einen ohnehin schon erzürnten Präsidenten noch weiter zu provozieren und schlimmstenfalls ein militärisches Eingreifen zu riskieren.

So versucht die New Yorker Polizei Nacht für Nacht den schmalen Grad zu wandern, die Ordnung zu halten, aber nicht noch mehr Öl in die Flammen zu gießen. Manchmal gelingt es. Manchmal nicht. Immer wieder kommt es zu Rangeleien und Verhaftungen. Trotzdem findet Efram, dass die New Yorker Cops das unter den Umständen ganz gut hinbekommen. Vertrauen in das Polizeikorps, das wie die meisten Polizeitruppen der Nation eine lange Tradition exzessiver Gewalt hat, hat er trotzdem nicht.

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Erinnerungen an den Fall Eric Garner

Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass auf den Straßen New Yorks Eric Garner im Würgegriff der Polizei mit denselben Worten starb wie George Floyd: “I can‘t breathe.” Wirklich gelernt habe die New Yorker Polizei daraus nicht. Noch immer sei alles an der Polizei militärisch und martialisch. Die Ausrüstung. Der Habitus. Und vor allem die Mentalität, eine Mentalität die über Generationen gewachsen ist. Es ist eine Mentalität der Konfrontation. Und der Dominanz wie jener, die Donald Trump fordert. Und natürlich tief sitzender Annahmen über Minderheiten, auch wenn diese stark im New Yorker Polizeikorps vertreten sind. “Das dauert Jahrzehnte bis das sich ändert.”

Immerhin gab es in diesen Tagen auch Szenen wie diese. Im Stadtteil Queens legten Polizisten ihre Ausrüstung ab und knieten sich im Andenken an die Opfer von Polizeigewalt gemeinsam mit den Demonstranten nieder. Ein Symbol der Hoffnung. Trotzdem: Die Dinge bleiben angespannt in den Straßen von New York. Und jeder fragt sich, wie lange das beide Seiten noch durchhalten. Wenn es nach Dan Efram geht, dann geht das noch lange so weiter. “Wir müssen so lange Druck machen, bis sich wirklich etwas ändert”, sagt er. “Im Grunde ist es schon zu spät, das hätte alles vom ersten Tag der Trump-Regierung an passieren müssen.”

Der Tod von George Floyd war für Aktivisten wie Efram der Schock, der die Menschen in Amerika aufgerüttelt hat. Nicht nur, was die Polizeigewalt angeht, sondern auch den Zustand, in dem das ganze Land sich befindet. Der Rassismus. Die extreme soziale Ungleichheit. Die Korruption. Die Menschen in Amerika haben genug. Sie sind müde und angewidert. Sie wollen gehört werden. Und sie wollen nicht mehr warten.

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