Neue Grenzen auf dem Balkan: Wie ein Non-Paper für Aufregung in Brüssel sorgt

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag vor dem Abflug nach Serbien und ins Kosovo.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Donnerstag vor dem Abflug nach Serbien und ins Kosovo.

Brüssel/Berlin. Es war ein Antrittsbesuch vor einem brisanten Hintergrund. Von Hilfe bei der Normalisierung der Lage sprach Außenminister Heiko Maas am Donnerstag vor seinem Abflug in den Kosovo, zum ersten Besuch bei der neuen Regierung. Unter Diplomaten allerdings schlägt gerade ein Vorschlag hohe Wellen, bei dem von Normalität keine Rede sein kann.

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In einem sogenannten Non-Paper werden radikale Grenzänderungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens vorgeschlagen. Damit sollen die Krisen auf dem Westbalkan beendet werden. Doch Balkanexperten sind in Sorge und schlagen Alarm: Sie fürchten eine Wiederkehr der militärischen Konflikte aus den 1990er-Jahren, sollten die Ideen Wirklichkeit werden.

„Ein Weg nach vorn“?

Das Papier mit dem Titel „Westbalkan – ein Weg nach vorn“ hat es in sich: Die Grenzen von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Serbien und Nordmazedonien sollen neu gezogen werden. Konkret heißt es in dem autorenlosen Papier, das das slowenische Internetportal necenzurirano.si vor einigen Tagen veröffentlicht hat: Das Kosovo solle sich Albanien anschließen, und Bosnien-Herzegowina solle zerschlagen werden.

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Der mehrheitlich von Kroaten besiedelte Teil des Landes solle zu Kroatien kommen und der serbische Teil Serbien angeschlossen werden. Der Rest Bosniens, in dem mehrheitlich Muslime leben, solle sich dann in einem Referendum entscheiden, ob die Zukunft in der EU oder eher in einer Hinwendung zur Türkei liege.

Der oder die Urheber des Dokuments sprechen von „ungelösten nationalen Fragen“, die geklärt werden müssten, bevor die Länder des Weltbalkans der EU beitreten könnten. Doch neue Grenzen entlang ethnischer Linien wären nach Ansicht von Experten ein klarer Bruch der internationalen Balkanpolitik seit dem Ende der Jugoslawienkriege. Diese spricht sich explizit gegen neue Grenzen aus. „Damit würde die Büchse der Pandora“ geöffnet, sagte ein EU-Diplomat in Brüssel. Es bestehe die akute Gefahr, dass neue Konflikte entstünden.

Grüne: Grenzen sind unantastbar

Während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien kam es in den 1990er-Jahren zu sogenannten „ethnischen Säuberungen“. Das war ein Euphemismus für Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. Dazu gehört auch das Massaker von Srebrenica im Jahr 1995, bei dem mehr als 8000 Menschen von Soldaten der bosnischen-serbischen Armee getötet wurden.

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Entsprechend alarmiert klangen die Reaktionen auf den jüngsten Vorschlag. Bei seinem Besuch in der Kosovo-Hauptstadt Pristina sagte Außenminister Maas am Donnerstag: „Die Vorstellung, man könnte komplexe soziale und politische Fragen mit neuen Strichen auf der Landkarte lösen, halten wir nicht nur für unrealistisch, sondern auch für brandgefährlich.“ Er sei deshalb froh, „dass der jüngste Vorstoß in diese Richtung – von wem auch immer er kommen mag – schnell wieder in die Schublade und hoffentlich auch endgültig in den historischen Reißwolf verfügt wurde“, so Maas.

Manuel Sarrazin, Sprecher für Osteuropapolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, sah es ähnlich. „Die Grenzen auf dem Westbalkan sind unantastbar und müssen es bleiben“, sagte Sarrazin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Kriegsziele der 90er-Jahre, die Schaffung von vermeintlich ethnisch ‚reinen‘ Gebieten, müssen endlich ein für alle Mal der Vergangenheit angehören.“

Stattdessen sei die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos genauso unerlässlich wie die Schaffung einer Bürgergesellschaft in Bosnien und Herzegowina oder die Eröffnung der ersten EU-Beitrittskapitel für Albanien und Nordmazedonien.

Rätselraten über Verfasser

Obwohl das Schreiben seit Tagen in der Welt ist, rätseln Diplomaten und Politiker in Brüssel immer noch über die Autorenschaft, die Authentizität und den Zweck des Dokuments. Unter einem Non-Paper verstehen Diplomaten schriftliche Vorschläge ohne Unterschrift, die als Grundlage für Diskussionen dienen oder als Testballons in besonders umstrittenen Fragen.

Zunächst wurde das Papier dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa zugeschrieben. Doch Jansa dementierte energisch. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama erklärte dagegen, Jansa habe ihm vor einiger Zeit ein Dokument gezeigt, in dem von neuen Grenzen auf dem Balkan die Rede gewesen sei. Wer Recht hat, lässt sich vorerst nicht klären.

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Angesichts der ins Stocken geratenen Westbalkanpolitik der EU könnten allerdings viele Akteure ein Interesse an ungewöhnlichen Vorschlägen haben. Hinter vorgehaltener Hand verweisen EU-Diplomaten zum Beispiel auf Albanien. Dort sind am kommenden Wochenende Parlamentswahlen, und die Aussicht auf eine Neuauflage der Debatte um ein Großalbanien könnte Wählerinnen und Wähler womöglich zur Stimmabgabe motivieren, hieß es.

Auch die slowenische Regierung könnte – trotz ihres Dementis – ein Interesse daran haben, wie die brisante Idee in Brüssel ankommt. Slowenien übernimmt im zweiten Halbjahr die Ratspräsidentschaft in der EU. Es wird erwartet, dass das kleine Mitgliedsland die EU-Erweiterung auf dem Balkan auf die Tagesordnung bringen wird. Und schließlich, so heißt es in Brüssel, seien auch Kroatien und Serbien potenzielle Nutznießer der Vorschläge.

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