Impfskepsis in Osteuropa: Mittlerweile steigen die Impfquoten doch
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Eine Frau bereitet Fläschchen der COVID-19 Impfstoffe des chinesischen Herstellers Sinopharm (l.) und mit dem russischen Impfstoff Sputnik V in einem Impfstoffzentrum, das in einem serbischen Einkaufszentrum eingerichtet wurde, vor.
© Quelle: Darko Vojinovic/AP/dpa
Sarajevo. Als Fata Keco in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo kürzlich ihre erste Corona-Impfdosis erhielt, hatte sie Angst vor möglichen Nebenwirkungen. Aber das Schlimmste, unter dem sie in den nächsten Tagen litt, waren „moderat unangenehme Schmerzen“ im linken Arm in der Gegend der Einstichstelle, sagt die 52-jährige Reinigungskraft nun. Sie sei erleichtert, etwas zum Schutz ihrer Gesundheit getan zu haben, „nachdem ich mich so lange selbst in Gefahr gebracht habe. Und es schadet auch nicht, dass es mein Leben leichter machen wird, wenn ich mich dazu entschließe, ins Ausland zu reisen.“
Keco steht mit ihrer Entscheidung, sich nach langem Zögern gegen Corona impfen zu lassen, in ihrer Heimat nicht alleine da. In Osteuropa sind so manche Skeptiker in jüngster Zeit ins andere Lager umgeschwenkt – vor dem Hintergrund neuer Infektionswellen und Hindernissen etwa beim Reisen für Ungeimpfte. Letzteres war beispielsweise der Hauptgrund für die 18-jährige Esma Dzaka, sich ebenfalls kürzlich in Sarajevo die erste Spitze geben zu lassen. „Ich möchte reisen und im Ausland studieren, und dafür muss ich geimpft sein“, sagt die junge Frau.
Keco räumt ein, dass sie monatelang „sehr empfänglich“ für das gewesen sei, was sie jetzt als „die absurdesten Theorien“ bezeichnet. So habe sie etwa gehört, „dass das Coronavirus nicht existiert, Journalisten bezahlt worden sind, um Panik zu verbreiten, dass Flugzeuge uns nachts mit Viren besprühen und Vakzine von Machthabern benutzt werden, uns Mikrochips einzupflanzen“.
Pflegekräfte impfen in Sarajevo in Einkaufszentren
Die Gesundheitsbehörden in Sarajevo sind derzeit dabei, ihre Immunisierungsbemühungen so stark wie möglich auszuweiten, nachdem öffentliches Misstrauen und eine Flut von falschen Informationen die Kampagne behindert haben. So werden jetzt zum Beispiel Pflegekräfte zum Impfen in Einkaufszentren entsandt, in der Hoffnung, dass ein leichterer Zugang mehr Menschen dazu bringt, sich die Spritze geben zu lassen.
Sarajevos Topgesundheitsbeamter, Haris Vranic, glaubt, dass manche Skeptiker in der jüngsten Vergangenheit ihre Meinung geändert haben, weil sie zum Beispiel frei ins Ausland reisen wollen, aber auch, wie er sagt, weil „die Zahlen nicht lügen“. Die Statistik sei klar, „zwischen 92 und 94 Prozent unserer Menschen, die während der dritten und der (derzeitigen) vierten Welle gestorben sind, waren nicht geimpft“. Bosnien, das immer noch unter Nachwirkungen des Krieges von 1992 bis 1995 leidet, hat bis jetzt knapp ein Viertel seiner 3,3 Millionen Einwohner geimpft, eine der niedrigsten Raten in Europa.
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Medizinisches Personal versorgt einen Patienten in der COVID-19-Abteilung des Universitätsklinikums von Banja Luka.
© Quelle: -/AP/dpa
Nun mag verbreitetes Misstrauen gegenüber Vakzinen in diesem armen, von Korruption geplagten und ethnisch gespaltenen Land keine Überraschung sein. Doch auch viele Nachbarn Bosniens auf dem Balkan, darunter einige EU-Mitglieder, sind nicht von ähnlichen Problemen verschont geblieben.
Rumänische Impfrate rasant gestiegen
In Rumänien etwa, einem EU-Land mit rund 19 Millionen Einwohnern, hat sich die Impfrate bis Mitte Oktober um 28 Prozent herum bewegt. Dann nahm die Zahl von Neuinfektionen und Todesfällen zu, so dramatisch, dass einige Krankenhäuser gezwungen waren, Leichensäcke auf ihren Fluren unterzubringen, weil es keinen Platz mehr in Leichenhäusern gab. Furcht – gepaart mit schärferen Bestimmungen wie nächtlichen Ausgangssperren und Zugangsverboten zu vielen öffentlichen Orten für Ungeimpfte – führte zu einem rapiden Anstieg der Impfrate, der Online-Publikation Our World in Data zufolge auf über 40 Prozent bis zum 10. Dezember.
Auch die 18-jährige Ofelia Gligor hat eingelenkt, sich diese Woche in einem Impfzentrum in der kleinen rumänischen Stadt Sighisoara die erste Dosis geben lassen. „Ich hatte Angst, es gab so viele (negative) Gerüchte“ über die Vakzine, sagt die werdende Krankenschwester. Sie musste ihre Furcht aus praktischen Gründen überwinden: Ohne Impfnachweis könnte sie nicht an ihrem Ausbildungsprogramm in einer örtlichen Klinik teilnehmen. Jetzt rät sie allen anderen, sich ebenfalls immunisieren zu lassen, „denn früher oder später werden Vakzine zur Vorschrift werden“, sagt sie.
Impfpflicht für Angestellten im öffentlichen Sektor in Kroatien
Kroatien, seit 2013 EU-Mitglied, hat ein ähnliches Szenario erlebt wie Rumänien. Nach einer deutlichen Zunahme von Neuinfektionen und Todesfällen führten die Behörden am 15. November einen Impfzwang für alle Angestellten im öffentlichen Sektor und alle Bürger ein, die deren Dienste in Anspruch nehmen. Seitdem ist die Impfrate stetig nach oben gegangen, lag am 11. Dezember bei fast 55 Prozent der 4,2 Millionen Einwohner.
Im ethnisch und verwaltungsmäßig zersplitterten Bosnien, wo die Zuständigkeit für Anti-Corona-Maßnahmen auf 14 Regierungsebenen verteilt ist, hat man bislang auf die Einführung von Impfpässen verzichtet. Masken in Innenräumen und Sicherheitsabstände sind vorgeschrieben, aber die Durchsetzung ist willkürlich.
„Leute und ihr Gerede haben mich verrückt gemacht“
Mehr als 12.900 Coronapatienten sind in dem Land bislang gestorben, aber für manche Leute wie Keco bedurfte es mehr als harscher Statistiken, um die Realitäten der Pandemie anzuerkennen. Es bedurfte eines Disputs mit ihrer Tochter Mahira. „Sie sagte, „Mama, Impfstoffe wirken 100 Prozent. Millionen Menschen haben sich impfen lassen, und es geht ihnen allen gut, sei nicht töricht“, schildert Keco.
„Ich habe schließlich eingesehen, dass ich mich impfen lassen muss, wenn ich geschützt sein will. Leute und ihr Gerede haben mich verrückt gemacht. Zumindest eine Zeit lang habe ich alle ihre dummen Geschichten geglaubt.“
RND/AP