Nach der Thüringen-Wahl: In Erfurt ist guter Rat jetzt ziemlich teuer

Wahlparty der Linken in Erfurt. Im Bild: Bundesvorsitzende Katja Kipping, Ministerpräsident Bodo Ramelow und seine Frau Germana Alberti vom Hofe.

Wahlparty der Linken in Erfurt. Im Bild: Bundesvorsitzende Katja Kipping, Ministerpräsident Bodo Ramelow und seine Frau Germana Alberti vom Hofe.

Erfurt. Einer der Ersten, die am Sonntag ihren Kopf durch die Tür des Thüringer Landtages steckten, war Dietmar Bartsch, der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Er strahlte. Und seine Worte spiegelten das Strahlen wider. Das Ergebnis der Thüringer Linken unter Führung von Bodo Ramelow sei „grandios“, sagte er. Ja, es sei „sensationell“.

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Ergebnis nach der Wahl in Thüringen

Erstmals sei die Linke stärkste Partei geworden. Und es gebe überhaupt keine andere Möglichkeit, als dass Ramelow Ministerpräsident bleibe. Landeschefin Susanne Hennig äußerte sich kurz darauf ähnlich. Wie es weitergehe, müsse man sehen, sagte sie. Es klang recht frohgemut.

Ganz in der Nähe frohlockte auch die AfD, die trotz des rechtslastigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke noch vor der CDU auf Platz zwei landete. Unterdessen machten CDU, SPD und Grüne lange Gesichter, weil sie verloren hatten.

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Linke siegt klar in Thüringen 0 Grüne und FDP im Landtag

Wahlsieg für Regierungschef Ramelow mit seinen Linken in Thüringen – wer das Land aber künftig führt, ist völlig offen.

„Tief durchatmen“, sagte die sichtlich konsternierte grüne Spitzenkandidatin Anja Siegesmund, als sie den Landtag betrat. Neben der Linken und der AfD freute sich lediglich die FDP, die es anders als in Brandenburg und Sachsen wieder in den Landtag schaffen konnte. Mit anderen Worten: Diesen Wahlabend auf einen Nenner zu bringen ist unmöglich. Unterm Strich war das Ergebnis zweigeteilt.

So feiert die AfD das Wahlergebnis von Thüringen

Auf der einen Seite war da die AfD, deren Ergebnis alle anderen mehr oder weniger schockierte. Sie feierte in Erfurt ganz oben – in einer Gaststätte mit Biergarten in schönster Hanglage. Und das, obwohl ihr Ergebnis auf den zweiten Blick gar nicht so gut ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Zwar wurde die 20-Prozent-Marke deutlich übertroffen, die erhofften 25 Prozent wurden jedoch ebenso deutlich verfehlt. Für eine rauschende Feier war dennoch alles vorbereitet. Statt Mettigel und Bier gab es Carpaccio, Tomaten-Mozzarella-Salat und Prosecco. Denn das Hanglokal ist ein Italiener. Ausländischer Einfluss, wenn er europäisch und gehaltvoll ist, wird hier gerne angenommen.

Um mit Höcke zu feiern, waren alle nach Erfurt gekommen, die im unter Rechtsextremismusverdacht stehenden „Flügel“ und in der AfD des Ostens Rang und Namen haben: Parteichef Alexander Gauland, Brandenburgs Landeschef Andreas Kalbitz, Frank Pasemann, Bundesvorstandsmitglied aus Magdeburg. Aus Sachsen kamen Landeschef Jörg Urban und Tino Chrupalla, Wunschkandidat der Ostverbände auf die Gauland-Nachfolge. Im Publikum, neben den Thüringer Lokalgrößen, saßen einige junge Männer aus dem Dunstkreis der Identitären Bewegung, die beim Verfassungsschutz definitiv als rechtsextrem gilt.

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Höcke und die Parteigrößen drängten sich Punkt 18 Uhr auf die kleine Bühne im Wintergarten. „Heute vollenden wir die Wende", rief der Höcke-Vertraute und Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl. Höcke jubelte kaum, als die 24 Prozent der ersten Prognose über den Fernseher flimmerten. Vielmehr beschwerte er sich über die Kritik an ihm. „Noch nie wurden ein Kandidat und eine Partei so diffamiert", sagte Höcke. Über das Wahlergebnis verlor er kaum ein Wort, sondern schaute weit nach vorn. „Das nächste Mal holen wir die absolute Mehrheit", rief der Mann, vor dem sich weite Teile der Republik fürchten.

Am schärfsten war unterdessen nicht Höcke, sondern der wahre Chef des „Flügels“, Andreas Kalbitz. Er rief: „Wir jagen dieses inländerfeindliche Establishment. Auch im Westen holen wir uns die Stimmen, die wir brauchen." Parteisenior Gauland nutzte den knappen Vorsprung der AfD vor der geschwächten CDU, um gegen die Konservativen zu treten. „Die CDU muss sich überlegen, ob sie weiter mit Sozialdemokraten und Grünen zusammenarbeiten oder mit der einzig wahren Volkspartei regieren will – der AfD", sagte er.

Die Realität ist den AfD-Größen im Ristorante nicht genug. Wieder einmal zweitstärkste Kraft, wieder einmal keine Regierungsoption, davon kann man sich nichts kaufen. Das weiß auch Sachsen-Chef Urban. „Eine Regierungsbeteiligung gibt es für uns nur, wenn wir deutlich stärkste Kraft werden", sagte er. Gauland gab als Fernziel aus: „50,1 Prozent für die AfD“, also die absolute Mehrheit. Das, so glauben hier viele, wäre nur mit einer radikalen Höcke-Linie zu erreichen.

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Nach der Wahl in Thüringen 2019: Guter Rat ist jetzt teuer

Auf der anderen Seite jenseits der AfD stehen alle anderen Parteien, die mit dem Wahlergebnis irgendwie umgehen müssen. Leicht wird das nicht. In Thüringen ist guter Rat jetzt ziemlich teuer.

Klar, zunächst zieht jede Partei für sich allein Bilanz. Bodo Ramelow darf sich als Winfried Kretschmann des Ostens fühlen – als einer, der es 2014 als erster Linker überhaupt vermochte, Ministerpräsident zu werden, und der es in den fünf folgenden Jahren überdies vermochte, an Popularität noch zuzulegen, um diese Popularität auf die Mühlen seiner Partei zu lenken. Die Stimmung bei der linken Wahlparty war denn auch enthusiastisch. So viel zu feiern hat die Partei sonst nie. Neben Bartsch war Parteichefin Katja Kipping im ICE nach Erfurt geeilt.

Die Sozialdemokraten sind in Thüringen ohnehin ziemlich ernüchtert; mit großen Erfolgen rechnen sie da schon lange nicht mehr. Anders als die Grünen, die nach Brandenburg und Sachsen die dritte unerwartete Schlappe hinnehmen mussten und sogar um den Einzug in den Landtag bangten. Der grüne Höhenflug ist fraglos vorüber. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel. Die CDU unter ihrem Spitzenmann Mohring muss sich schließlich fragen, woran es liegt, dass sie von der absoluten Mehrheit früherer Tage weiter entfernt ist denn je.

Allesamt stehen sie seit Sonntagabend vor dem Problem, eine Regierung bilden oder sie aus nachvollziehbaren Gründen ablehnen zu müssen. Das wird schwer – auch wenn Mohring am Sonntagabend sagte: „Die Regierung Ramelow ist abgewählt worden.“

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Klar ist, was nicht geht. Was nicht geht, ist die Fortsetzung von Rot-Rot-Grün – auch wenn alle drei Parteien das anstrebten. Dazu fehlt die Mehrheit. Was genauso wenig geht, ist die nach den Nationalfarben des afrikanischen Staates benannte Simbabwe-Koalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP. Dazu sind alle vier Parteien zu schwach.

Denkbar ist hingegen eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung mit Ramelow an der Spitze. Sie müsste sich für den nächsten Haushalt oder bestimmte Gesetze jeweils die Unterstützung anderer Parteien suchen. Denkbar waren am Sonntagabend ebenfalls die Erweiterung von Rot-Rot-Grün um die FDP oder ein Bündnis aus Linken und CDU. Die erste Variante schloss am Sonntag aber der FDP-Vorsitzende Christian Lindner aus, die zweite Variante CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.

Gewiss ist damit lediglich, dass sich Ramelow trotz Verlusts der Mehrheit in einer relativ komfortablen Situation befindet. Das hängt mit seiner Popularität zusammen. Ramelow sei „eine Nummer geworden“, sagte Bartsch am Sonntag. Hinzu kommt die Landesverfassung, deren Artikel 75 lautet: „Der Ministerpräsident und auf sein Ersuchen die Minister sind verpflichtet, die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen." Diese Verfassung stärkt den Amtsinhaber enorm.

Ramelow hatte darauf erst kürzlich gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hingewiesen, als er sagte: „Es gibt bei uns keine Vorschrift, in welcher Frist der Ministerpräsident gewählt werden muss. Sondern der Ministerpräsident wird dann gewählt, wenn eine Fraktion den Antrag dazu stellt.“ Eine nach der Wahl einstweilen weiter amtierende Landesregierung sei darum „auch keine Minderheitsregierung oder eine geschäftsführende Regierung“, sondern „einfach die Landesregierung“, fuhr Ramelow fort. Der Haushalt für 2020 ist bereits beschlossen. Der Regierungschef hätte unter anderem aus diesem Grund vor allem eines: Zeit.

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In der Linken hat das Modell einer Minderheitsregierung einige Sympathisanten, wie am Sonntag verlautete. Verwunderlich ist das nicht. Schließlich wollen sie ihren bundesweit bisher einzigen Ministerpräsidenten nicht verlieren. Erst mal werde in der Regierung alles bleiben, wie es ist, hieß es. Ganz nach dem Motto: Erst schaun mer mal, und dann sehen mer schon.

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