Mutmaßlich rechte Terrorzelle wollte offenbar sechs Moscheen angreifen
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Eine Person wird in Karlsruhe von Polizisten in den Bundesgerichtshof gebracht.
© Quelle: Uli Deck/dpa
Berlin. Die Mitglieder der mutmaßlichen rechten Terrorzelle um Werner S. sollen Angriffe auf sechs Moscheen in kleineren Städten geplant haben. In Sicherheitskreisen gelten ihre Planungen als "besonders ernstzunehmender Fall". Und zwar auch deshalb, weil die Männer, die sich nach dpa-Informationen in einer Telegram-Chatgruppe kennengelernt und nur zwei Mal getroffen hatten, schnell handlungsbereit waren. An der Aufklärung der Aktivitäten der Gruppe, die von den Ermittlern "Gruppe S." genannt wird und intensiv observiert wurde, war neben der Polizei auch der Verfassungsschutz beteiligt.
Einer der Männer in der mutmaßlichen rechten Terrorzelle hat nach einem Medienbericht Informationen über die Gruppe an die Ermittler weitergegeben. Er habe bereits Anfang Oktober umfangreiche Angaben gegenüber der Polizei gemacht, berichteten SWR und ARD-Hauptstadtstudio am Montag. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe äußerte sich dazu nicht.
Informant in der mutmaßlichen Terrorzelle
Der Mann war am Freitag als Einziger nicht festgenommen worden. Dem Bericht zufolge soll der Kontakt zur Polizei in der vergangenen Woche abgerissen sein. Das federführende Landeskriminalamt Baden-Württemberg habe deshalb einerseits um seine Sicherheit gefürchtet, andererseits Sorge vor spontanen Taten der Gruppe gehabt.
Einer der zwölf festgenommenen Männer soll den Auftrag erhalten haben, Waffen zu beschaffen. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen zählen zu den Waffen, die bei den Razzien am vergangenen Freitag gefunden wurden, Äxte, Schwerter und Schusswaffen.
Nach den Razzien in sechs Bundesländern hatte der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Haftbefehle gegen zwölf Männer erlassen. Vier mutmaßliche Mitglieder der Gruppe und acht mutmaßliche Unterstützer sind in Untersuchungshaft. Die Gruppe um den 32-jährigen Werner S. aus dem Raum Augsburg soll Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime ins Auge gefasst haben, um “bürgerkriegsähnliche Zustände” auszulösen und so die Gesellschaftsordnung ins Wanken zu bringen.
Verfassungsschutz geht von 12.700 gewaltbereiten Rechtsextremisten aus
Die Festnahmen hätten deutlich die akute Gefahr rechtsmotivierter Anschläge gezeigt, sagte der FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser. Deshalb sei es unbedingt nötig, “die Schutzstandards für gefährdete Objekte wie religiöse Einrichtungen deutschlandweit einheitlich zu gestalten”.
Der Verfassungsschutz geht aktuell von rund 12.700 gewaltorientierten Rechtsextremisten aus. Die Polizei stuft bundesweit 53 Rechte als Gefährder ein. Als “Gefährder” bezeichnet die Polizei im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Menschen, denen sie schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut.
Die Planungen der "Gruppe S." weisen Ähnlichkeiten zu den Plänen der Gruppe "Revolution Chemnitz" auf. Deren Mitglieder waren im Oktober 2018 festgenommen worden.
Islamverbände fordern besseren Schutz
Die Islamverbände sind alarmiert. Ditib und Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) fordern nun ein umfassendes Sicherheitskonzept. Moscheen, Synagogen und andere Einrichtungen religiöser Minderheiten in Deutschland mit einer erhöhten Bedrohungslage müssten vom Staat geschützt werden, erklärte die IGMG am Montag in Köln. Es könne nicht sein, dass Moscheegemeinden, die mit Spendengeldern finanziert würden, auch noch ihre eigene Sicherheit finanzieren müssten. Der Staat stehe in der Pflicht, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. „Dazu gehören auch Muslime.“
Auch der türkisch-islamische Verband Ditib forderte, den Schutz der Moscheen und Muslime „konsequent zu gewährleisten“. Der Verband appelliert vor allem an Politik und Gesellschaft, deutlich Stellung zu beziehen. „Das Schweigen der Mehrheit, auch der Politik und der moderaten Kräfte in unserem Land, insbesondere bei Angriffen gegen Muslime, wird nicht nur von einer breiten Gesellschaftsschicht als stillschweigende Duldung verstanden“, kritisierte der Verband.
Die Ditib habe wiederholt davor gewarnt, dass bei bestimmten Gruppen der Eindruck entstehe, dass ein Vorgehen gegen Muslime „eigentlich legitim“ sei, erklärte der Verband. Das Ausheben der rechten Terrorzelle mit zwölf Tatverdächtigen und Anschlagsplänen am Sonntag rücke die steten Mahnungen und Warnungen in ein neues Licht und zeigten den Ernst der Lage.
Muslime haben nicht das Gefühl, als hätte die Politik vom NSU-Komplex Lehren gezogen.
Islamische Gemeinschaft Milli Görüs
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs warf der Politik vor, die Bedrohungslage nicht mit dem nötigen Ernst zu betrachten. „Muslime haben nicht das Gefühl, als hätte die Politik vom NSU-Komplex Lehren gezogen.“ Nach wie vor warteten die meisten der vorgeschlagenen Empfehlungen der Untersuchungsausschüsse auf ihre Umsetzung. Dies sei grob fahrlässig.
Die Ditib spricht von fast 100 registrierten Angriffen pro Jahr auf Moscheen in Deutschland. Allein in den ersten sechs Wochen dieses Jahres seien bereits über zehn Angriffe erfasst worden. In der vergangenen Woche hatten Moscheen in Unna, Hagen, Essen und Bielefeld über E-Mails Bombendrohungen erhalten. In allen vier Fällen wurden der Polizei zufolge die Gebäude mit Spürhunden durchsucht und dabei nichts Verdächtiges entdeckt. In Marl hatten zuvor Unbekannte offenbar ein alevitisches Gemeindehaus beschossen
RND/dpa/epd